Bei Tische formulierte Luther gewohnt deftig: „Wer sind sie denn, die da Christen sein mugen? Seinds die, so Ulenspiegel lesen? Oder, was gleich viel und noch erger ist, die des Bapsts dreck und stanck lesen?“
Da hatte der Reformator schon einen Punkt getroffen. Den Papst hielt Luther bekanntlich für den Antichrist, also den leibhaftigen Teufel. Und Eulenspielgel hat durchaus auch etwas Teuflisches. Dreck und Stank jedenfalls produziert auch der vermeintliche Schalk in einigen Mengen.
Ob es jenen Till tatsächlich gegeben hat, den Anfang des 16. Jahrhunderts der Braunschweiger Schreiber Herman Bote zum (Anti-)Helden eines Buches mit 95 Historien machte, ist ungewiss. Als Geburtsort wird jedenfalls Kneitlingen im Elm angenommen. Deshalb gibt es im Nachbarort Schöppenstedt ein Till-Eulenspiegel-Museum. Das hat nun seine Dauerausstellung erneuert.
Zu einem modernen Museum gehören heutzutage allerlei Medien. Ein elektronischer Führer und Hörstationen werden angeboten. Aus dem ersten Kopfhörer tönt eine wohlige Märchenonkelstimme: „Wer in meinen Spiegel schaut, schaut in sein Gesicht und geht mit sich ins Gericht...“
Da ist er schon, der andere Till, der beliebte Volksheld, der weise Narr, der lustige Schelm. Es gibt wohl keine Figur der Weltliteratur, welche im Laufe der Jahrhunderte sein Image derart um 180 Grad gedreht hätte – vom bösen Teufel zur bunten Lichtgestalt. Botes ursprünglicher Eulenspiegel habe mit der volkstümlichen Figur mit der Narrenkappe, als welche Till bis heute im Bewusstsein der Menschen herumspaßt, absolut nichts zu tun, sagt der Politikwissenschaftler Ernst-August Roloff an einer anderen Hörstation.
Ein Grund dafür mag sein, dass Till im Laufe der Zeit in die Kinderliteratur übertragen wurde. Da wurden die harmlosen Historien nacherzählt – also solche, in denen Till auf schikanöse Weise Redensarten wörtlich nimmt oder die schafsköpfige Gutgläubigkeit der Leute ausnutzt. Die große Zahl der bösen, ekligen Geschichten wurde schlicht weggelassen.
„Nach der Wende hatten wir hier viele Leute aus der ehemaligen DDR“, erzählt Museumsleiterin Charlotte Papendorf. „Die haben gesagt, dass sie Till natürlich kennen – als einen, der für Gerechtigkeit war, gegen die Obrigkeit, für die kleinen Leute.“
Stimmt leider auch nicht. Till hat mit Vorliebe Arme und Benachteiligte geschädigt, Kinder gehasst, Tiere gequält. Immerhin aber, meint Charlotte Papendorf, sei er ein unabhängiger, aufmüpfiger, eigensinniger, unbezähmbarer Querkopf gewesen, der sich in keine Ordnung einfügen und keine Regeln anerkennen wollte. Ein Anarcho-Typ, der sich von nichts und niemandem vereinnahmen ließ. Insofern sei die Till-Figur auch für viele Künstler besonders interessant gewesen.
Die neue Ausstellung trägt den Facetten des Till recht gut Rechnung. Natürlich mag man die sympathischen Züge der Volksfigur lieber, das ist ja für ein solches Regionalmuseum und seinen Helden auch nachvollziehbar. Aber die schwarze Seele wird keineswegs unterschlagen.
Sympathisch auch, dass das Museum in seinen Wandschriften und Texttafeln nicht belehrend daherkommt, sondern fragend, zum Teil auf originelle Weise zum eigenen Nachdenken über Till anregend. Da schaut man im Sinne des „Gerichts über sich selbst“ in Zerrspiegel, da sind in einer Art Kinderzimmer allerlei Spielarten der Eulenspiegel-Verniedlichung präsent. Elegante Porzellan-Figuren tändeln heiter im Narrengewande. Eine Till-Skulptur posiert gar wie Hamlet Auge in Auge mit einem Totenschädel.
Die traditionelle Narren-Figur wird thematisiert, die internationale Ausstrahlung des Till Eulenspiegel, die künstlerische Auseinandersetzung. Tills Rolle im Nationalsozialismus beleuchten Braunschweiger Historiker in einer Hörstation. Till sei vor allem für den Nazi-Ministerpräsidenten Klagges eine Art braunschweigische Identifikationsfigur gewesen, ein niedersächsisch-bäurischer Tatmensch, der seine Scholle verteidigt habe.
In der DDR gab es einen Film nach einem Buch von Christa Wolf. Till, gespielt von Winfried Glatzeder, ist dort als despektierlicher Störer der feudalen Ordnung im 30-jährigen Krieg angesiedelt. Ausschnitte aus dem Film sind in Schöppenstedt zu sehen.
„Bald erscheint ja der neue Roman von Daniel Kehlmann “, freut sich Charlotte Papendorf. „Der handelt auch von Till Eulenspiegel!“ Man sieht, es will kein Ende nehmen mit diesem Kerl.