Braunschweig. Das TU-Institut für Philosophie fragt internationale Experten: Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen möglich. Jeder kann teilnehmen.

In einer sich rapide wandelnden Arbeitswelt mit zunehmender Automatisierung und immer mehr prekären Beschäftigungsverhältnissen steigt die Zahl der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens. Das TU-Institut für Philosophie lädt in dieser Woche gemeinsam mit dem Zentrum für Ethik und Armutsforschung der Universität Salzburg zu einer öffentlichen Online-Tagung ein, die das Thema von vielen Seiten beleuchten will. Der Braunschweiger Philosophie-Professor Hans-Christoph Schmidt am Busch erläutert vorab, worum es geht.

Wie definiert man das bedingungslose Grundeinkommen?

Es geht um ein monatlich ausgezahltes Grundeinkommen, auf das jeder Erwachsene einen Anspruch hat. Bedingungslos ist es in zwei Hinsichten: Erstens ist es nicht gekoppelt an die Bereitschaft des Empfängers, eine Erwerbsarbeit auszuüben, und zweitens nicht an soziale Bedürftigkeit. Die meisten Befürworter treten dafür ein, dass es eine existenzsichernde Höhe hat.

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Auch Vermögende haben Anspruch auf das Grundeinkommen

Ausgezahlt würde es auch an Menschen, die so vermögend sind, dass sie es eigentlich nicht benötigen?

Ja, auch Wohlhabende hätten einen Anspruch darauf. Natürlich ist diese Vorstellung kontrovers: angesichts der gesellschaftlichen Finanzierungsmöglichkeiten, aber auch, weil Wohlhabende das steuerfinanzierte Grundeinkommen entscheidend mitfinanzieren würden. Ich bin mir sicher, dass dieser Punkt stark diskutiert werden wird.

Müsste der Staat Steuern erhöhen, um das Grundeinkommen zu finanzieren?

Vermutlich ja. Allerdings hängt das von der Höhe ab und davon, ob dann andere Sozialleistungen entfallen. Befürworter des Grundeinkommens argumentieren, dass viel bürokratischer Aufwand gespart würde, weil es ja bedingungslos ist. Es bedürfte also keiner Prüfungen durch entsprechende Administrationen. Ich habe den Eindruck, dass es schwer ist, genaue Prognosen über den Finanzierungsbedarf zu erstellen. Viele Befürworter sprechen sich für einen pragmatischen Weg aus: die sukzessive Einführung über einen längeren Zeitraum.

Jeder muss arbeiten – historisch eine noch junger Grundsatz

Der Braunschweiger Philosophie-Professor Hans-Christoph Schmidt am Busch.
Der Braunschweiger Philosophie-Professor Hans-Christoph Schmidt am Busch. © Atelier Elenass

Das Grundeinkommen würde Menschen vom Zwang zu arbeiten befreien. Aber ist die Vorstellung, dass jeder etwas beitragen muss zu einer gelingenden Gemeinschaft, und dass Arbeit quasi seit der Vertreibung aus dem Paradies eine Grundkonstante unserer Existenz ist, nicht zutiefst verankert?

Ich glaube, dass die Idee der gesellschaftlichen Integration durch Arbeit ein Charakteristikum der westlichen Moderne ist. Antike und mittelalterliche Gesellschaften haben sie nicht gekannt. Für uns ist die Teilnahme an der Arbeitswelt normativ mit der Vorstellung verbunden, dadurch auch gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten. Es ist wichtig, dass wir uns darüber verständigen, wie ein unbedingtes Grundeinkommen diese tief verankerten Vorstellungen verändern würde – und ob wir die mutmaßlichen Veränderungen gutheißen können oder eben nicht.

Bei den Griechen und Römern war Muße anerkannt – aber doch nur, weil es nicht-egalitäre Gesellschaften waren, in denen Sklaven die notwendige Arbeit im Übermaß verrichten mussten.

Ja, aber Arbeit wurde eben nicht als solche wertgeschätzt, und sie fungierte auch nicht als Medium der gesellschaftlichen Integration. Im Gegenteil, das Ansehen und die Freiheit des Bürgers in der antiken Polis beruhten gerade darauf, dass er es nicht nötig hatte zu arbeiten. In der Hinsicht hat die westliche Moderne Normen revolutioniert. Für uns ist Arbeit tatsächlich zentral, wenn es um gesellschaftliche Zugehörigkeit geht. Dabei spielen der Protestantismus und das Ideal einer egalitären Gesellschaft eine große Rolle – Ideen, die jüngeren Datums sind und im 18. und 19. Jahrhundert massive gesellschaftliche Umbrüche hervorgerufen haben.

Prekäre Beschäftigungsverhältnisse befeuern die Debatte

Für viele Menschen wird es immer schwieriger, ein auskömmliches Einkommen durch Erwerbsarbeit zu erzielen, während das Vermögen einer Minderheit stetig wächst – ohne, dass das gesellschaftlich breit hinterfragt würde. Eigentlich ist es doch auch in unserer Gesellschaft akzeptiert, dass reiche Menschen eben reich sind und nicht arbeiten müssen.

Ich glaube, dass wir uns in einer paradoxen Situation befinden. Einerseits gibt es nach wie vor das Ideal der gesellschaftlichen Integration durch Arbeit. Andererseits vermag die Arbeitswelt diese Funktion nicht angemessen zu erfüllen. Der Umfang prekärer Beschäftigungsverhältnisse hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Zugleich beeinflussen Einkommensformen wie Schenkungen oder Erbschaften, die gerade nicht an Arbeit gekoppelt sind, unser Leben stark. Aus Sicht der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens könnte die Gesellschaft dadurch besser werden, dass es die Menschen von prekären ökonomischen Entwicklungen unabhängig macht, sie materiell absichert und davon befreit, als Bittsteller aufzutreten.

Skeptiker glauben, dass viele Menschen, die ein Einkommen ohne Gegenleistung beziehen, sich gehen lassen würden. Befürworter des Grundeinkommens haben vermutlich ein sehr positives Menschenbild?

Zunächst muss man sagen, dass ein existenzsicherndes Grundeinkommen nur Grundbedürfnisse decken würde. Befürworter sind der Meinung, dass die tatsächliche Freiheit des Einzelnen entscheidend ist für die Möglichkeit, ein gelingendes Leben zu führen. Die Annahme ist die, dass tatsächliche Freiheit nicht nur rechtliche, sondern auch praktische Handlungsspielräume einschließt, und dass das Grundeinkommen solche Freiräume in bescheidenem Maße eröffnen kann und so die individuelle Freiheit stärkt. Ob es dazu führen würde, dass die Gesellschaft atomistischer wird, weil Menschen sich zurückziehen und von gesellschaftlichen Zusammenhängen abkoppeln, ist eine Frage, die kontrovers diskutiert wird.

Experten berichten über Versuche in Deutschland und Finnland

Es gibt ja bereits Feldversuche mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Welche Ergebnisse liefern sie?

Genau darum wird es auch auf der Tagung gehen. Wir haben mit Jürgen Schupp und Olavi Kangas zwei Experten zu Gast, die an Pilotprojekten in Deutschland und Finnland beteiligt waren und darüber referieren. Darüber hinaus wollen wir diskutieren, ob das Grundeinkommen wirklich geeignet ist, die Freiheit des Einzelnen zu vergrößern – und ob Freiheit nur individualistisch gedacht werden kann oder nicht auch eine soziale Dimension hat. Weitere Frage sind die, ob Gerechtigkeit nehmen und geben beinhaltet – und was daraus für die theoretische Verteidigung des Grundeinkommens folgen würde.

Die Online-Tagung „Freiheit, Gerechtigkeit, Wertschätzung: Welche Perspektiven eröffnet das bedingungslose Grundeinkommen?“ mit internationalen Experten findet am 3. und 4. März statt. Interessierte können sich unter der Adresse grundeinkommen2022 @tu-braunschweig.de anmelden. Mehr Infos unter https://www.tu-braunschweig.de/philosophie/grundeinkommen