Berlin. Wegen Belästigungsvorwürfen verklagt ein ehemaliger Korrespondent den WDR. Im Interview spricht Intendant Buhrow über den Skandal.

Seit Anfang April häuften sich die Berichte über mutmaßliche sexuelle Belästigung

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. Manchen Fälle sollen bereits mehrere Jahrzehnte zurückliegen. In der vergangenen Woche erklärte der Intendant des öffentlich-rechtlichen Senders, Tom Buhrow, die Aufarbeitung der meisten Fälle für abgeschlossen.

In einem Interview mit unserer Reaktion spricht Buhrow über den Skandal, Sparmaßnahmen beim WDR und seine beruflichen Ambitionen.

Herr Buhrow, wann haben Sie erfahren, dass in Ihrem Sender Frauen sexuell belästigt worden sein sollen?

Tom Buhrow: Ich hatte als junger Redakteur von dem Doppelzimmer-Gerücht gehört ...

... also von dem Fall eines ehemaligen Auslandskorrespondenten, der 1990 für eine junge Mitarbeiterin und sich unter dem Vorwand, der Sender müsse sparen, für eine Dienstreise ein gemeinsames Doppelzimmer buchte.

Buhrow: Das ging damals ja sogar durch die Presse – allerdings war das damals für einen Jung-Redakteur Flurfunk. Mit der Sache musste ich mich dann wieder im April beschäftigen. Dabei kam heraus, dass dieser Mitarbeiter sich weiterer Verfehlungen schuldig gemacht hat.

Er galt im WDR spätestens seit der von Ihnen erwähnten Doppelzimmer-Affäre als ein Mann, dessen Zudringlichkeit gegenüber Frauen kaum Grenzen kannte.

Buhrow: Das sagen Sie. Die Fernsehdirektion hatte zwischen der Sache mit dem Doppelzimmer und dem Fall von 2016...

... da nötigte er eine Praktikantin, sich mit ihm Pornos anzuschauen...

Buhrow: ...keine Hinweise auf weitere Fälle. Sein Umfeld schien stabil zu sein: Er hatte eine Familie gegründet. Als dann doch Hinweise auftauchten, wurde ihnen mit Konsequenz nachgegangen.

Der Mann durfte nach dem Vorfall mit der Praktikantin nicht mehr als Korrespondent arbeiten, stand aber noch immer vor der Kamera. Als die Praktikantin ihn im Fernsehen sah, alarmierte sie die Journalisten von „Stern“ und Correctiv. Dann gelangten sukzessive die anderen Fälle an die Presse. Warum konnte der WDR die Sache nicht selbst aufklären?

Buhrow: Wir haben selber aufgeklärt. Im Zuge der öffentlichen Debatte haben sich weitere Betroffene gemeldet. Dass sie sich trauen, dafür mit ihrem Namen möglicherweise in einem Arbeitsgerichtsprozess einzustehen, hat dann dazu geführt, dass wir dem Mitarbeiter kündigen konnten.

Dazu bedurfte es erst eines Anstoßes von außen.

Buhrow: Es hat nicht des Anstoßes von außen bedurft, dass wir aufklären. Aber dieser Anstoß hat dazu geführt, dass weitere Kolleginnen sich uns mit neuen Hinweisen anvertraut haben.

Die Verfehlungen des Mannes waren vergleichsweise leicht zu recherchieren. Wir haben beispielsweise mit der Frau gesprochen, vor der er sich entblößt hatte.

Buhrow: Vermutlich wäre das Gespräch, das Sie mit ihr führten, nicht arbeitsrechtlich verwertbar gewesen.

Richtig. Sie sagte uns, sie wolle dem WDR nicht ihren Namen nennen, da sie ab und an noch für Ihren Sender arbeitet und Angst hat, Aufträge zu verlieren, wenn sie sich zu erkennen gibt.

Buhrow: Diese Angst der betroffenen Frauen versuche ich seit April zu entkräften. Mit zunehmendem Erfolg. Anderenfalls hätten sich die Frauen ja nicht uns anvertraut. Sobald wir etwas Verwertbares bekommen, gehen wir dem nach – ohne Rücksicht auf die Person.

Hat der ehemalige Auslandskorrespondent seine Kündigung klaglos akzeptiert?

Buhrow: Er klagt gegen die Kündigung.

Das hat Ihr ehemaliger Fernsehspielchef Gebhard Henke auch getan, dem Sie ebenfalls wegen sexueller Belästigung gekündigt hatten. Nun haben Sie sich mit ihm außergerichtlich geeinigt. Warum haben Sie die Sache nicht vor Gericht durchgezogen?

Der ehemalige WDR-Fernsehspielchef Gebhard Henke.
Der ehemalige WDR-Fernsehspielchef Gebhard Henke. © dpa | Oliver Berg

Buhrow: Beide Seiten bestehen auf ihre Rechtspositionen. Wir sind da mit uns im Reinen. Wir vermeiden einen langwierigen Prozess und ersparen es einigen Zeuginnen vor Gericht aufzutreten. Aber wir hätten keine Angst vor der gerichtlichen Auseinandersetzung gehabt.

Nun wirft Henke Ihnen vor, Sie hätten nichts gegen ihn in der Hand. Es gibt den Vorwurf der Autorin und Moderatorin Charlotte Roche, er habe ihr fest auf den Po gefasst. Das bestreitet Henke. Dann soll er die Schauspielerin Nina Petri mit zwei wohl nicht justiziablen Sprüchen bedacht haben. Ansonsten sind da nur noch Frauen, die nicht bereit sind, vor Gericht auszusagen.

Buhrow: Zu den Details äußere ich mich nicht. Aber wir haben selbst mit den Frauen gesprochen. Das ist nicht über Dritte oder Vierte gekommen. Wir konnten uns also selbst ein Urteil über die Glaubwürdigkeit der Frauen bilden. Nur deshalb haben wir die Kündigung ausgesprochen. Wir sind uns sehr sicher, dass die Anschuldigungen der Frauen zutreffen.

Aber wäre das vor dem Arbeitsgericht verwertbar gewesen, wenn die Frauen dort nicht aussagen wollen?

Buhrow: Das hätte im Prozess geklärt werden müssen. Wir sind uns sicher, dass wir vor Gericht mit unserer Position bestanden hätten.

Frauen, die nicht ihre Anonymität aufgeben wollen, hindern Sie bisher auch daran, den dritten Fall aufzuklären, der groß durch die Presse ging – den eines ehemaligen Auslandredakteurs. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Buhrow: Ich und der WDR als Ganzes tun alles, um diese Frauen zu ermutigen, sich uns anzuvertrauen. Was immer es da an Sorgen gibt – sie sind unberechtigt.

2011, lange vor Beginn Ihrer Amtszeit, ist ein Redakteur ermahnt worden, der Fälle sexueller Belästigung aufklären wollte. Ihm wurden arbeitsrechtlichen Konsequenzen angedroht. Besonders ermutigend ist so etwas für die betroffenen Frauen nicht.

Buhrow: Das stimmt. Allerdings bekam der Redakteur vom WDR den Auftrag möglicherweise betroffene Kolleginnen zu vermitteln. Als die Vorwürfe sich aber nicht belegen ließen, wurde er ermahnt, es zu unterlassen, nicht beweisbare Anschuldigungen zu verbreiten. Das war nicht glücklich.

Bei diesem Weiterverbreiten der Anschuldigungen soll es sich aber um eine normale Befragung im Rahmen seines vom WDR erteilten Recherche-Auftrags gehandelt haben.

Buhrow: Da gibt es mehrere Sichtweisen. Übrigens wurde die Ermahnung noch vor meiner Amtszeit wieder zurückgenommen.

Veranlasst wurde die Ermahnung vermutlich von den damaligen Vorgesetzten des Redakteurs, Tina Hassel, nun Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, und Jörg Schönenborn, Ihrem derzeitigen Fernsehdirektor. Wie beurteilen die beiden das heute?

Buhrow: Zu internen Vorgängen äußere ich mich nicht.. Dieser Komplex wird von der ehemaligen EU-Kommissarin und ÖTV-Vorsitzenden Monika Wulf-Mathies untersucht, die unser eigenes Verhalten unter die Lupe nimmt. Zunächst einmal überlasse ich es ihr, das zu bewerten.

Liegen schon erste Ergebnisse vor?

Buhrow: Nein, aber ich glaube, dass sie noch diesen Sommer ihre Untersuchung abschließen wird.

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    Themenwechsel: Warum wollen Sie ARD-Vorsitzender werden?

    Buhrow: Wir haben doch einen. Er heißt Ulrich Wilhelm.

    Aber Sie wollen sein Nachfolger werden.

    Buhrow: Es gibt in der ARD eine Vorentscheidung, dass der WDR ab 2020 den Vorsitz übernimmt. Das rotiert unter den Sendern, die eine entsprechende Infrastruktur zur Verfügung stellen können.

    Sie sollen schon Ende 2017 Ihren Hut in den Ring geworfen haben.

    Buhrow: Es ist völlig normal, dass nicht erst im letzten Amtsjahr des amtierenden Kandidaten dessen Nachfolger bestimmt wird. Wenn man den nächsten Vorsitz beschließt, wird der übernächste schon mitgedacht.

    So, wie es aussieht, läuft es auf Sie hinaus, obwohl manche Ihrer Amtskollegen über Ihren Vorstoß Ende 2017, die digitalen Text-Angebote des WDR zu reduzieren, nicht erfreut waren. Sie hätten sich mit den anderen Anstalten nicht abgestimmt hieß es in ARD-Kreisen.

    Buhrow: Das stimmt nicht. Ich hatte diesen Schritt zuvor angekündigt. Wir sind bei der Reduzierung der Digital-Texte in dem Rahmen geblieben, den wir zuvor innerhalb der ARD abgesteckt hatten. Niemand, der guten Willens ist, war von unserem Vorgehen überrascht. Übrigens sehe ich mich von der späteren Entwicklung bestätigt.

    Tatsächlich haben die Öffentlich-Rechtlichen erst kürzlich mit den Verlagen vereinbart, ihre digitalen Textangebote zu reduzieren. Aber womöglich hat der Unmut, den Ihr Schritt damals auslöste, auch damit zusammen, dass man Ihnen unterstellte, einen Deal vereinbart zu haben. Sie sollen der schwarz-gelben nordrhein-westfälischen Landesregierung angeboten haben, die Anzahl Ihrer Digital-Text zu kürzen, wenn diese die noch von Rot-Grün beschlossene Reduzierung der Werbung im WDR-Hörfunk aussetzt. So ist es dann ja auch gekommen.

    Buhrow: Das ist eine schön formulierte Vermutung. Aber es gab keinen Zusammenhang zwischen der Reduzierung der Digital-Texte und der Werbezeitrahmengesetzgebung. Wir hatten übrigens zuvor bereits WDR 4 komplett werbefrei gemacht. Bevor man bei einer zweiten Hörfunk-Welle die Werbung streicht und dabei in Kauf nimmt, dass die Radiowerbung insgesamt, also auch bei den kommerziellen Sendern, Schaden nimmt, ist es nur logisch zu prüfen, was der erste Schritt der Werbereduzierung überhaupt gebracht hat.

    Wieso ist dem WDR nicht zuzumuten, was beim NDR ganz normal ist? 60 Minuten tägliche Radiowerbung, beschränkt auf eine Hörfunk-Welle.

    Buhrow: Der NDR ist der einzige ARD-Sender, der weniger Hörfunk-Werbung ausstrahlt als wir. Alle anderen haben mehr, zum Teil wesentlich mehr. Zudem gibt es in unserem Werbegesetz ein Kriterium, das man beim NDR nicht kennt: Entscheidend ist die Zahl der Werbeminuten im Monats- und nicht im Jahresdurchschnitt. Wir können also werbestarke Zeiten wie etwa kurz vor Weihnachten nicht mit werbeschwachen Wochen im Sommer verrechnen. Kein anderer Sender hat bei der Werbung so wenig Gestaltungsspielraum wie wir.

    Man könnte ja auch auf die Idee kommen, dass die Öffentlich-Rechtlichen werbefrei sein sollten.

    Buhrow: Dann müssten wir unseren Bedarf anderweitig decken. Die logische Folge eines Werbeverzichts wäre eine Beitragserhöhung. Wollen Sie das?

    Sie könnten mehr sparen.

    Buhrow: Der WDR spart schon gewaltig. Ich baue gerade 500 Planstellen ab.

    Wie wäre es, wenn Sie die Gehälter Ihrer leitenden Mitarbeiter kürzen? Sie selbst verdienen mit 399.000 Euro mehr als jeder andere öffentlich-rechtliche Intendant. Ihr Gehalt liegt sogar knapp 100.000 Euro über dem der Bundeskanzlerin.

    Buhrow: Das ist viel Geld. Aber ich lege mein Gehalt ja nicht selbst fest. Es wird von den Gremien bestimmt - angesichts der Bedeutung und Verantwortung dieser Aufgabe. Wir sind der größte Sender in der ARD, der zweitgrößte öffentlich-rechtliche in Europa Die Angemessenheit meines Gehalts müssen andere beurteilen. Ich bin aber durchaus bereit, über mehr Zurückhaltung bei den Gehältern zu sprechen. Das bringt aber in der Summe nur dann was, wenn es alle betrifft.