Als der alte Mann den Secondhandladen des Mütterzentrums im westlichen Ringgebiet betrat, brachte er nicht nur die Kleidung seiner verstorbenen Frau mit. Er trug auch ihre Lebensgeschichte in den wenige Quadratmeter großen Raum, seine Trauer, seinen Schmerz. Und all das verhallte nicht. Der Mann fand Menschen, die zuhörten. Karin Werner gehörte dazu. Als sie, die ehrenamtlich seit fünf Jahren in dem Laden hilft, viele Monate später im Garten des Mütterzentrums davon erzählt, kommen ihr die Tränen. „Er kam mehrere Male und war so berührt. Er wollte, dass andere sich noch über die Kleidung seiner Frau freuen.“
Es sind Geschichten wie diese, die Werner und die anderen derzeit 20 ehrenamtlichen Helferinnen, die den Laden an 27 Stunden in der Woche öffnen, besonders bewegen. „Bei manchen Geschichten muss man wirklich schlucken“, sagt Ingrid Nawrot, die seit drei Jahren in dem Laden hilft. „Manche Menschen bekommen vom Schicksal eine Klatsche nach der nächsten.“ Für sie selbst war die Arbeit in dem kleinen Laden eine große Stütze, als ihr Mann vor einigen Jahren starb. „Die Arbeit hat mich davor bewahrt, nur noch an die Wände zu starren. Ich wäre sonst vor die Hunde gegangen.“
Na klar, „die Versorgung ist uns wichtig“, sagt Werner. Manche hätten so wenig, dass für sie selbst die sehr günstigen Preise des Secondhandladens noch zu teuer seien. Daher gebe es immer einen Korb vor dem Laden, in dem Artikel kostenfrei angeboten werden. Und auch die Nachhaltigkeit spiele eine Rolle, dass gute Kleidung nicht weggeworfen, sondern weiterverwendet wird. Aber der Laden ist eben nicht nur ein Geschäft, in dem preiswert gespendete Kleidung und Spielzeuge angeboten werden. Er ist ein Treffpunkt, ein Ort des Austausches, an dem Menschen Anschluss finden, neue Hoffnung und Freunde. Er ist ein Türöffner für das Mütterzentrum und das dazugehörige Mehrgenerationenhaus mit ihren zahlreichen Angeboten. „Wer Kleidung spendet, bekommt einen Kaffeegutschein, der im Mütterzentrum eingelöst werden kann“, nennt Dorothea Shah ein Beispiel.
„Bei uns geht es um Wertschätzung“
Das Ziel ist die gute Gemeinschaft, die nachhaltig im Viertel und darüber hinaus wirkt. Das lebt das Team des Secondhandladens vor. Für Aye Nour Bittar, die mit ihrem Mann aus Syrien floh, war die Arbeit im Laden ein wichtiger Schritt der Integration. „Ich hatte in Syrien einen Laden für Damen- und Kinderbekleidung. Wenn ich hier arbeite, kann ich die Sorgen um den eigenen Laden vergessen.“ Und nebenbei kann sie ihre schon guten Deutschkenntnisse noch verbessern.
Frauen, die Anschluss suchen, sei es nach der Flucht, nach dem Tod eines lieben Angehörigen, nach Ende der Berufstätigkeit, Frauen, die einfach etwas Gutes tun wollen – sie alle finden im Secondhandladen eine lebendige Gemeinschaft. Sie teilen ihre eigenen Geschichten und haben ein offenes Ohr für die Geschichten der anderen. Shah: „Bei uns geht es um Wertschätzung.“
Fakten
Name der Kandidaten Ehrenamtliche Helferinnen des Secondhand-Ladens im Mütterzentrum Braunschweig
Das Ziel Zugang zu günstigen gebrauchten Textilien und Spielzeugen schaffen und damit nachhaltigen Konsum unterstützen, Kommunikation im Viertel und darüber hinaus fördern, Integration leben, Gemeinschaft schaffen.
Kontakt Hugo-Luther-Straße 60 a, 38118 Braunschweig; info@muetterzentrum-braunschweig.de
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