Wolfsburg. Die Arbeitsagentur schickt Kostenbescheide an Freiwillige, die für Geflüchtete gebürgt hatten. Sie dachten, der Staat würde zahlen.

Enorme Kosten drohen allen Helfern, die sich für in Niedersachsen lebende syrische Flüchtlinge eingesetzt und mit ihrem eigenen Geld für sie gebürgt haben. Allein in Wolfsburg wurden die „Verpflichtungsgeber“ für 93 Bedarfsgemeinschaften von dem örtlichen Jobcenter angeschrieben. Je nach Größe der Bedarfsgemeinschaften – diese variieren von einzelnen Flüchtlingen bis hin zu mehrköpfigen Familien, insgesamt mehr als 200 Flüchtlinge – sollen Nachzahlungen geleistet werden. In einem Einzelfall beläuft sich die Forderung auf 700 000 Euro.

Als 2014 die Flüchtlingstrecks in Richtung Europa größer und die Zustände auf den Routen immer schlimmer wurden, wurden Forderungen laut, Deutschland müsse aus humanitären Gründen helfen. Die Syrer durften leichter einreisen, wenn sie in hier jemanden fanden, der bereit war, alle ihre Lebenshaltungskosten zu tragen. Hierfür mussten die Helfer besagte Verpflichtungserklärung unterschreiben.

„So eine Summe gibt unser Etat gar nicht her, damit hätten wir uns vollkommen übernommen.“
„So eine Summe gibt unser Etat gar nicht her, damit hätten wir uns vollkommen übernommen.“ © Pastor Johannes Thormeier über die 100 000-Euro-Nachforderung an seine Gemeinde

Die Niedersächsische Landesregierung teilte im Dezember 2014 in einem Erlass ihre Rechtsauffassung mit, dass die der Verpflichtungserklärung einhergehende Zahlungsverpflichtung erlischt, wenn die Syrer einmal als Flüchtlinge anerkannt werden. „So wurde es mir auch erklärt, als ich im Ausländeramt der Stadt Wolfsburg beraten wurde und die Erklärung unterschrieben habe“, berichtete ein Helfer unserer Zeitung. Er übernahm Verantwortung für drei Erwachsene und zwei Kinder. Nun erhielt er einen Anhörungsbescheid: 57 000 Euro soll er nachzahlen.

Der Hintergrund ist, dass das Bundesverwaltungsgericht mit einem Urteil vom Januar 2017 entschieden hat, dass die Bürgen der Flüchtlinge auch dann deren Lebenshaltungskosten übernehmen müssen, wenn die längst offiziell anerkannt sind – auch rückwirkend können Forderungen geltend gemacht werden.

Betroffen ist auch die Wolfsburger Lukas-Gemeinde. Sie hatte eine jesidische Familie aufgenommen. Zwei Jahre waren die Syrer auf der Flucht, wurden dabei von Schleppern ausgeraubt und mussten den Tod zweier Familienmitglieder erleben. Über einen Landsmann in Wolfsburg kam der Kontakt zur Kirchengemeinde zustande. „Uns wurde vom Ausländeramt Mut gemacht, diese Familie zu unterstützen. Der Kirchenvorstand war auch dafür“, berichtet Pastor Johannes Thormeier. Die Familie kam zeitweise im Gemeindehaus unter. Die Mitglieder seien mittlerweile als Flüchtlinge anerkannt. Nun verlangt das Jobcenter jedoch von der Kirchengemeinde 100 000 Euro. „So eine Summe gibt unser Etat gar nicht her, damit hätten wir uns vollkommen übernommen. Natürlich muss man sich im Nachhinein die Frage stellen, ob das von uns fahrlässig war.“

Noch ist nicht klar, wie viele Betroffene es in Wolfsburg – sowie darüber hinaus in Niedersachsen – gibt. Die Flüchtlingshilfe Niedersachsen ist der Meinung, dass die Forderung in vielen Fällen unbillig und fragwürdig erscheint. „Die Verpflichtungsgeber wurden oft falsch beraten.“ Sie rät dazu, nachträglich die Verpflichtungserklärungen anzufechten, darauf auch das Jobcenter hinzuweisen und im Zweifelsfall gegen die Bescheide zu klagen.

Nach Informationen unserer Zeitung setzt in Wolfsburg das Jobcenter die Vollstreckung zunächst aus. Die Hoffnung:

Bevor Gerichte in den Fällen entscheiden müssen, soll die neue Landesregierung einen Hilfsfonds einrichten.