Am Institut für Transportation Design wird die Zukunft der Mobilität erforscht – Auch ein Psychologe macht mit

Paula Doherty ist 38 Jahre alt, dabei ist sie erst 1982 geboren. Geht nicht? Klar doch: Paula lebt in der Zukunft, und zwar im Jahr 2020. Sie hat keine Kinder, ist nicht verheiratet, lebt in Moskau und reist viel. Ihr Freund heißt Vladimir.

Natürlich gibt es sie nicht wirklich. Paula lebt in einem Szenario, das sie sich am Institut für Transportation Design (ITD) der HBK ausgedacht haben. Das Ganze ist keine Spinnerei, sondern knallharte Forschung.

Transportation Design, das klingt, als ob sich da ein paar Tüftler neue Karosserieformen ausdenken. Dabei geht es um viel mehr. Das englische Wort Transportation lässt sich übersetzen mit Verkehrswesen, und das trifft es schon eher.

"Wir entwickeln nicht einfach nur Autos", sagt Matthias Lossau, Geschäftsführer des Instituts. "Es geht um Mobilität in einem umfassenden Sinn: Wie werden wir uns in der Welt von morgen bewegen?" Am Institut überlegen sich Forscher und Studenten, wie Elektro-Fahrzeuge aussehen könnten – aber auch, wie die dazugehörigen Tankstellen beschaffen sein müssen, was das alles kostet und ob die Leute es überhaupt wollen.

Es ist eine Mammutaufgabe: Ein Auto entwerfen, das 2020 herumfahren könnte – na gut. Aber das ganze Drumherum! Wollen die Leute dann überhaupt noch ein eigenes Auto haben? Teilen sich viele eines? Falls ja: Wie werden sie das organisieren? Wird die Politik Vorteile für die Besitzer von Elektro-Autos schaffen, damit die umweltfreundlichen Fahrzeuge sich durchsetzen? Busspur-Nutzung und frei parken in der Innenstadt für Elektro-Mobile?

Ingenieure lernen von Designern – und umgekehrt

Diese Fragen kann kein Designer allein beantworten, und auch kein Ingenieur. Zum Glück müssen sie das auch nicht. "An unserem Institut arbeiten Designer, ein Ingenieur und eine Psychologin", sagt Lossau, selbst Diplom-Designer. Der Direktor des Instituts, Professor Stephan Rammler, ist Sozialwissenschaftler.

"Über die Zusammenarbeit so vieler unterschiedlicher Disziplinen ergibt sich eine andere Sicht auf die Mobilität", sagt Lossau. Designer sind gezwungen, sich mit technischen Hürden auseinanderzusetzen, die ihren Ideen im Wege stehen.

Die Ingenieure wiederum können von Designern lernen, nicht allein das technisch Machbare an den Anfang ihrer Überlegungen zu stellen – sondern die Bedürfnisse der Menschen, für die sie Produkte entwickeln.

Klingt selbstverständlich, aber in der Praxis reden in vielen Unternehmen Designer und Ingenieure noch zu wenig miteinander. Und vor allem zu spät. Das sagt einer, der es wissen muss, ein Ingenieur, der gern auch Designer geworden wäre: Professor Gerhard Glatzel. Er ist noch recht neu am ITD, vorher war er Professor an der Fachhochschule Braunschweig-Wolfenbüttel.

Glatzel sagt: "Das sequenzielle Arbeiten funktioniert nicht mehr." Sequenzielles Arbeiten? Bezogen auf die Entwicklung eines Autos bedeutet das: Die Designer sitzen in ihrer Design-Abteilung und entwickeln tolle Design-Ideen. Die übermitteln sie den Technikern, und die sagen erst mal, so geht das nicht. Es geht hin und her, bis man sich einig ist, wie es denn nun ginge.

Dann kommen die Finanzmenschen oder die Vertriebsstrategen mit ihren Bedenken. Noch mal von vorn. Das alles dauert, weil das Hin und Her in Einzelschritten abläuft – sequenziell eben.

Auto und Yacht in einem – kein Problem!

"Je früher die einzelnen Berufsfelder zusammenarbeiten, desto reibungsloser lassen sich Neuheiten entwickeln", sagt Glatzel. Genau das ist es, was sie machen am ITD: Von der ersten Minute an arbeiten sie alle zusammen, die Designer, die Ingenieure, die Soziologen. Sie denken sich Personen aus wie Paula Doherty, die versetzen sie in Szenarien, an denen sie gemeinsam basteln, jeder aus seiner Perspektive.

Es geht so weit, dass sie sich mit speziellen Anzügen in das Körpergefühl alter Menschen hineinversetzen oder sich überlegen, welche Musik die ausgedachte Person hört. "So erkennen wir Probleme und bekommen Ideen, wie sie sich lösen lassen", sagt Matthias Lossau. "Wir schauen: Wie lebt der Mensch in dieser möglichen Welt?" Wenn es irgendwo nicht weitergeht, wird ein spontanes Brainstorming aller Institutsmitarbeiter einberufen.

Die Gestalter des künftigen Verkehrswesens arbeiten nicht nur untereinander gut zusammen. Es gibt Kooperationen mit anderen Hochschulen und mit Firmen. Einen großen Teil des Etats finanziert nicht der Staat, sondern die Wirtschaft über sogenannte Drittmittel.

Mit VW und TU Braunschweig etwa haben sie an der HBK das Modell Topos Sail entwickelt, das sogar schon auf der IAA Nutzfahrzeuge zu sehen war: Es ist ein VW-Caddy, der auf dem Dach aussieht wie das Deck einer Yacht – inklusive eingebautem Liegestuhl.

Was Paula Doherty dazu sagen würde? Wahrscheinlich würde es ihr gefallen, denn die Dame hat Geschmack: Sie war Chefin der Modezeitschriften Elle und Vogue – so jedenfalls haben sie sich das ausgedacht am ITD.