Berlin. Eine Studie zeigt, wie Kommunen Wohngebiete immer näher an Flughäfen geplant haben. Streit wegen Lärmschutz wird in Kauf genommen.

Wald vor der Tür und Eier vom Hof – das Angebot für die acht neuen Reihenhäuser im Ratinger Stadtteil Tiefenbroich klingt lauschig. Doch die Häuser liegen knapp zweieinhalb Kilometer vom Düsseldorfer Flughafen entfernt in der Einflugschneise, engerer Lärmschutzbereich. Warum wurden die Bauten genehmigt?

Ratingen ist kein Einzelfall. An vielen großen Flughäfen Deutschlands sind in den vergangenen Jahrzehnten Wohn- und Gewerbegebiete entstanden trotz hoher Lärmbelastung. Manche Stadt oder Gemeinde versuchte sogar, sich noch Entwicklungsflächen zu sichern, bevor sich gesetzliche Rahmenbedingungen änderten und es schwieriger gewesen wäre, die Flächen dann zu vermarkten. Vor allem ging es darum, Wohnungen und Gewerbe anzusiedeln, der Lärmschutz war eher nachrangig, wie ein unveröffentlichtes Gutachten der Universität Bonn in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen ergibt.

Lärmschutzzonen regelt ein Bundesgesetz

Die Experten um Claus-C. Wiegandt, Professor für Stadt- und Raumforschung am Geographischen Institut Bonn, untersuchten, wie sich die Wohn- und Gewerbegebiete rund um sechs große deutsche Flughäfen in den vergangenen 50 Jahren entwickelt haben. Mit dabei: Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hamburg, Hannover, Köln/Bonn und München. Berlin haben die Experten nicht untersucht, weil der innenstadtnahe Flughafen Tegel zugunsten des BER geschlossen werden soll, sich das Lärmproblem damit erledigt haben wird – wenn es denn so kommt.

Die Experten entdeckten ein Muster. Alle untersuchten Regionen wachsen, unter anderem wegen des Flughafens. Und meist sind freie Flächen knapp. Die Städte und Gemeinden rund um die Flughäfen versuchen dann, im Rahmen der Gesetze möglichst viele dieser Flächen zu entwickeln. Der rechtliche Rahmen ist klar umrissen: Die Lärmschutzzonen mit entsprechenden Schutzmaßnahmen regelt ein Bundesgesetz. Länder und Regionen planen über die Raumordnung, was wo an Ansiedlung möglich und zulassungsfähig ist und was nicht.

Oft gibt es keinen Raumordnungsplan in Kommunen

Die Kommunen legen Bebauungspläne fest und können, wenn es keinen Bebauungsplan gibt, im Einzelfall nach Paragraf 34 Baugesetzbuch Projekte genehmigen. Was klar klingt, funktioniert in der Praxis nur bedingt, weil der große Planungsrahmen oft fehlt, wie die Studienautoren zeigen. „Die Landes- und Regionalplanung hat in manchen Bundesländern in den vergangenen Jahren ihren Gestaltungsspielraum beim Thema Fluglärm zurückgenommen“, sagt Wiegandt. „Entsprechend haben die Kommunen Freiräume gewonnen.“ Und die nutzen sie.

So gibt es oft keinen Raumordnungsplan, die Kommunen verzichten zudem auf einen Bebauungsplan, bei dem alle Betroffenen gehört werden und deren Bedenken abgewogen werden müssen. „Einen Bebauungsplan aufzustellen, kann mehrere Jahre in Anspruch nehmen“, sagt Wiegandt. „Da ist es für Kommunen einfacher, den Paragrafen 34 Baugesetzbuch zu nutzen.“ Der Paragraf betrifft freie Flächen in bereits bebauten Ortsteilen und greift, wenn es keinen Bebauungsplan gibt. Genehmigt werden kann, was in die Umgebung passt.

Späterer Streit wegen Lärmschutz wird in Kauf genommen

„Vor allem in prosperierenden Städten wie Düsseldorf, Frankfurt/Main und Hamburg sind die Baulücken im Umfeld der Flughäfen in den vergangenen Jahrzehnten gefüllt worden“, sagt Wiegandt. Dabei wird alles ausgereizt, was möglich ist.: „In manchen Städten und Gemeinden wird direkt bis an die Lärmschutzzonen herangebaut.“ Und späterer Streit wegen Lärmschutz in Kauf genommen.

„Dass die Gemeinden an einigen Standorten die Bebauung immer näher an die Flughäfen heranrücken lassen, ist mit Blick auf den von allen angestrebten Fluglärmschutz problematisch“, sagt Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Luftverkehrswirtschaft BDL, der die Studie in Auftrag gegeben hat. „Dadurch werden Maßnahmen der Luftverkehrswirtschaft konterkariert, da die Zahl der Fluglärmbetroffenen immer weiter ansteigt.“

In Niedersachsen gibt es einen Raumordnungsplan

Seit den 50er-Jahren ist der Fluglärm um rund 80 Prozent gesunken, unter anderem wegen neuer Technik: So sind die Triebwerke der Flugzeuge heute deutlich leiser. Weniger Lärm kommt auf dem Boden auch an, weil die Maschinen steiler starten und anders landen als früher. Gleichzeitig steckten die Flughäfen in Deutschland zwischen 1975 und 2016 insgesamt 1,12 Milliarden Euro in Schallschutz.

Von Randow fordert, dass die Möglichkeiten der räumlichen Planung grundsätzlich besser ausgeschöpft werden müssten. Ein Vorbild könnte Niedersachsen sein: „Niedersachsen ist in der Landes- und Regionalplanung fortschrittlich“, sagt Wiegandt. Es gibt einen Raumordnungsplan, der weitere Siedlung beschränkt. „Das Instrument beugt Konflikten vor.“