Berlin/Erfurt. Das Bundesarbeitsgericht hat mit einem Urteil der verdeckten Kontrolle von Arbeitnehmern Grenzen gesetzt. Keylogger sind verboten.

Ein Programmierer – Jahrgang 1985 – werkelt während seiner Arbeitszeit an einem Projekt für seinen Vater. Er wird erwischt, räumt ein, sich damit sogar mehrere Stunden beschäftigt zu haben – und wird daraufhin im Jahr 2015 fristlos gekündigt. Trotzdem gewinnt der Webentwickler ein Verfahren nach dem anderen: In Nordrhein-Westfalen am Arbeitsgericht Herne, am Landesarbeitsgericht Hamm und schließlich in höchster Instanz am Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt. Alle heben die Kündigung auf. Der Grund: Der Arbeitgeber hat aus Sicht der Richter bei der Überwachung über die Stränge geschlagen. Die wichtigsten Fragen zum Urteil, das Unternehmen einen Riegel vorschiebt bei der totalen Überwachung von Mitarbeitern:

Warum durfte dem Programmierer nicht gekündigt werden?

Der Arbeitgeber hatte schon vor dem Verdacht die Arbeitsplätze detailliert überwacht und setzte eine besonders drastische Maßnahme ein: Einen Keylogger, der alle Tastaturbewegungen aufzeichnet. Das wurde den Arbeitnehmern sogar schriftlich mitgeteilt. Und auch im Arbeitsvertrag wurde Überwachung angekündigt. Doch das heißt nicht, dass diese auch rechtens ist.

Das jetzt ergangene Urteil: Diese drastische Überwachung „ins Blaue hinein“ sei „unverhältnismäßig“, teilte das Gericht mit. Ulf Weigelt, Rechtsanwalt der Berliner Arbeitsrechtskanzlei Weigelt & Ziegler, sagt: „Dass die Überwachung durch den Keylogger allen Mitarbeitern angekündigt wurde, ändert nichts. Viele Arbeitsverträge enthalten rechtsunwirksame Klauseln. Sie sind dann einfach ungültig.“

Der Arbeitnehmer hat ein Fehlverhalten eingeräumt. Warum machte das keinen Unterschied?

Das alleine habe keine Kündigung gerechtfertigt, so die Richter, sondern hätte erst einmal gerügt und abgemahnt werden müssen. Der Keylogger zeigte jedoch angeblich, dass der Programmierer sich weitaus länger mit dem fremden Projekt beschäftigte. Die Beweise durften vor Gericht aber nicht verwertet werden – schließlich war die Erhebung unverhältnismäßig. Der Keylogger hätte nur eingesetzt werden dürfen, wenn erst einmal der Verdacht auf ein Fehlverhalten besteht, aber auch nur, wenn es um eine „schwerwiegende Pflichtverletzung“ oder sogar den Verdacht einer „Straftat“ geht. Dann darf der einzelne Mitarbeiter, auch ohne sein Mitwissen, durchaus derart scharf überwacht werden.

Was ist für Arbeitnehmer an privater Nutzung erlaubt und was nicht?

Laut Rechtsanwalt Weigelt hat ein Großteil der Beschäftigten keine Klausel im Arbeitsvertrag, die die private Nutzung zum Beispiel von Internet, E-Mail-Programm und Telefon ausschließt. Bei großen Unternehmen sei es aber durchaus üblich. Im ersten Fall gilt: „Das ist gut für den Arbeitnehmer. Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Auch dann darf er nicht unbegrenzt Privates erledigen, schließlich hat der Arbeitgeber ein Recht auf Arbeitsleistung. Aber auf jeden Fall muss erst durch Rüge und Abmahnung klar gemacht werden, wo die Grenze liegt.“

Anders sei es, wenn eine Klausel im Arbeitsvertrag privates Surfen und Telefonieren ausschließt. Selbst dann sei zum Beispiel ein Nottelefonat mit dem kranken Kind erlaubt. „Aber es kann sehr viel schneller abgemahnt und dann auch gekündigt werden.“

Wie und wann darf der Arbeitgeber überwachen, wenn er Verstöße fürchtet?

Auch im Falle des Programmierers hätte der Arbeitgeber stufenweise vorgehen müssen. Ein Beispiel laut Weigelt: Ein Außendienstmitarbeiter behauptet, zwei Geschäfte besucht zu haben und im Nachhinein stellt sich heraus, dass die angeblichen Gesprächspartner an dem Tag gar nicht da waren. Dann wäre es zum Beispiel gerechtfertigt, ihn mittels eines GPS-Systems zu überwachen, auch ohne sein Wissen. Falls es einen Betriebsrat gibt, muss dieser übrigens immer über generelle, aber auch spezielle Überwachung informiert werden.

Wie gut sind in Deutschland Mitarbeiter vor Überwachung geschützt?

Das Urteil zeigt: Die Überwachung von Mitarbeitern ist in Deutschland streng geregelt, darauf pochen auch die Gerichte. Übertreibt der Arbeitgeber, verbaut er sich damit unter Umständen sogar den Weg zu einer gerechtfertigten Kündigung. Weigelt sagt: „Insgesamt haben wir in Deutschland ein ausgewogenes Arbeitsrecht. Es ist richtig und wichtig aus meiner persönlichen Sicht, dass der Überwachung von Arbeitnehmern Grenzen gesetzt werden. In anderen Ländern sind die Regeln tendenziell eher auf Seite der Arbeitgeber.“

Hat der vom Bundesarbeitsgericht nun beschiedene Fall eine ganz grundsätzliche Bedeutung?

Die Digitalisierung der Arbeitswelt sorgt für eine Datenflut, die neue Überwachungsmöglichkeiten und damit Konflikte schafft. Das beobachten Arbeitsrechtler, Unternehmen, Gewerkschafter und Datenschützer gleichermaßen. Ein immer größerer Teil der Tätigkeiten hinterlässt ein digitales Profil. Es gibt viele Arbeitsplätze, wo rein technisch eine Totalüberwachung problemlos möglich ist. Dieses Urteil stellt aber noch einmal sehr deutlich klar: Alle Beweise, die so zustande kommen, sind völlig irrelevant – weil sie unverhältnismäßig sind und damit das informationelle Selbstbestimmungsrecht gebrochen haben. Dann greift das sogenannte „Verwertungsverbot“.

Neu ist dieses Grundprinzip aber nicht. So hatte der BAG zum Beispiel schon 2014 geurteilt, dass Beweise aus einer unrechtmäßigen Videoüberwachung ungültig sind. Im konkreten Fall waren in einem Einzelhandelsgeschäft mehrere Tausend Euro Leergutdifferenz entstanden. Ein Video des Kassenbereichs zeigte, dass eine Mitarbeiterin mehrfach Leergutgeld in die eigene Tasche steckte. Doch die fristlose Kündigung wurde vom obersten Arbeitsgericht kassiert. Denn die Videoüberwachung war unzulässig, weil es nicht schon vorher einen hinreichenden Tatverdacht gegen die Mitarbeiterin gab.