Berlin. Die Autokonzerne Daimler, BMW und VW sollen jahrelang geheime Absprachen getroffen und gemeinsam auch den Dieselbetrug geplant haben.

Als sie wieder einmal beisammenstanden, die Chefs der deutschen Autokonzerne, Dieter Zetsche (Daimler), Harald Krüger (BMW) und Matthias Müller (VW) – da beschworen sie die Dieselaffäre als Wendepunkt und Chance. Als eine Krise, die Verkrustungen aufgebrochen hat, die Transformation der Konzerne beschleunigen kann. Als sie im November 2016 beim „Auto-Gipfel“ in München zusammenstanden, wusste sonst noch niemand, dass die Konzerne sich offenbar öfter ausgetauscht haben, als bislang bekannt war – und womöglich auch enger als erlaubt.

Die großen deutschen Autokonzerne sollen sich in einer Reihe von geheimen Treffen über die Dieselabgasreinigung und viele andere Technikstandards abgesprochen haben, berichtet „Der Spiegel“. Trifft dies zu, könnte es einer der größten Kartellfälle der deutschen Wirtschaftsgeschichte werden. Volkswagen habe am 4. Juli 2016 darüber einen Schriftsatz bei Wettbewerbsbehörden eingereicht. Darin soll VW selbst den Verdacht äußern, die Absprachen von Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler seien „kartellrechtswidriges Verhalten“.

Stickoxide neutralisieren

Seit den 90er-Jahren sollen sich laut „Spiegel“ mehr als 200 Mitarbeiter in über 60 Arbeitsgruppen über Kosten, Zulieferer, Märkte und Strategien abgestimmt haben. Auch die Auswahl von Lieferanten und die Preise von Bauteilen in allen Bereichen der Auto-Entwicklung, von Motoren, Bremsen, Kupplung und Getrieben, soll Gegenstand der Gespräche gewesen sein, berichtet das Magazin.

Wie „Der Spiegel“ weiter berichtet, sollen die geheimen Absprachen auch die Basis für den VW-Dieselskandal gelegt haben. Denn die Autobauer koordinierten sich im „5er-Kreis“, wie die Gruppe wegen der beteiligten fünf Marken genannt worden sei, angeblich auch über die Größe der Tanks für das Harnstoffgemisch AdBlue. Es wird benutzt, um Stickoxide zu neutralisieren. Aus Kostengründen hätten sich die Hersteller auf kleine Tanks verständigt. Doch diese reichten nicht mehr für strengere Abgaswerte aus, deshalb hätten die Unternehmen getrickst.

Illegale Absprachen

Die Kartellbehörden hatten Hinweise auf die Absprachen bereits im Sommer vergangenen Jahres gefunden. Damals hatten sie im Rahmen von Ermittlungen über eine mögliche Absprache von Stahlpreisen auch Räume der Volkswagen AG durchsucht. Als eine Art Beifang fanden sie Hinweise auf möglicherweise illegale Absprachen in der Autoindustrie, berichtet „Der Spiegel“. Demnach soll VW nur zwei Wochen später die Selbstanzeige beim Bundeskartellamt eingereicht haben. Auch Daimler soll ein solches Dokument bei den Wettbewerbshütern hinterlegt haben.

Dadurch hätten die Unternehmen mögliche Strafzahlungen mindern wollen, berichtet der „Spiegel“. Das Bundeskartellamt bietet eine Kronzeugenregelung und kann Kartellteilnehmern, die durch ihre Kooperation dazu beitragen, ein Kartell aufzudecken, die Geldbuße komplett erlassen oder reduzieren. Für alle übrigen Kartellmitglieder kann sich das Bußgeld noch um bis zu 50 Prozent reduzieren, je nachdem wie viel sie zur Aufdeckung beitragen.

Kartellrechtliche Ermittlungen

Zu laufenden Kartellverfahren gebe man grundsätzlich keine Auskünfte, teilte das Bundeskartellamt mit. Man könne nur bestätigen, dass man am 23. Juni 2016 sechs Unternehmen der Automobilindustrie durchsucht habe. „Bis zum Abschluss des Verfahrens gilt die Unschuldsvermutung“, betonte das Amt. Ein BMW-Sprecher sagte unserer Redaktion: „Von der BMW Group wurde keine Selbstanzeige im genannten Zusammenhang gemacht. Von möglichen kartellrechtlichen Ermittlungen haben wir lediglich aus Medienanfragen erfahren. Zu entsprechenden Spekulationen nehmen wir deshalb nicht Stellung.“

Daimler erklärte, das Unternehmen äußere sich nicht zu Spekulationen. Ein Sprecher des VW-Konzerns erklärte ebenfalls, man äußere sich nicht dazu. Auch die EU-Kommission in Brüssel – oberste Wettbewerbsbehörde im europäischen Binnenmarkt – teilte mit: „Zu diesem Thema geben wir keine Stellungnahme ab.“

Härte gegen Automobilhersteller

Anwälte sehen dennoch bereits die Wende in der Dieselaffäre: „Im Abgasskandal drohen den Automobilherstellern erstmals schmerzhafte Sanktionen“, sagte Rechtsanwalt Christopher Rother unserer Redaktion. Mit der Kanzlei Hausfeld vertritt Rother Tausende Geschädigte im Dieselskandal.

„Den Herstellern droht wegen ihrer Beteiligung an den jetzt aufgedeckten Kartellabsprachen eine Geldbuße von bis zu zehn Prozent ihres jeweiligen Konzernumsatzes“, erklärt Rother. „In Anbetracht der Unverfrorenheit, die ein Unternehmen wie Volkswagen im Abgasskandal gegenüber ihren Kunden und der Öffentlichkeit an den Tag gelegt hat, bleibt zu hoffen, dass die EU Kommission jetzt mit der ganzen Härte des Gesetzes gegen die Automobilhersteller vorgeht und die Bußgeldrahmen voll ausschöpft.“

Entschädigung für Kunden

Erst wenn es richtig ans Geld gehe, werde ein Prozess des Umdenkens und der Aufarbeitung des Abgasskandals beginnen, der längst überfällig sei. Mit dem Kartellverdacht erhält der Dieselskandal auch aus Sicht der Verbraucherschützer eine neue Dimension. „Der Ruf der deutschen Autobranche steht vollends auf dem Spiel“, sagt Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv).

„Bestätigt sich der Verdacht, wurden mit Vorsatz Absprachen auf Kosten der Kunden getroffen. Und es ist nur schwer vorstellbar, dass Verantwortliche in Spitzenfunktionen nichts davon wussten.“ Müller fordert, dass betroffene Kunden nicht leer ausgehen dürfen: „Ihnen steht eine Entschädigung zu.“ Für die Politik sei es „höchste Zeit, sich auf die Seite der betrogenen Verbraucher zu stellen“.

Vertuschen und Schönreden

„Die deutsche Autoindustrie kommt aus den Schlagzeilen nicht raus, bis alle Ungereimtheiten und Tricksereien aufgearbeitet sind“, sagte Anton Hofreiter dieser Zeitung. „Genauso lange bleibt das Image von Produkten made in Germany ramponiert.“ Die Bundesregierung dürfe „nicht länger Handlanger beim Vertuschen und Schönreden bleiben, und die Bosse der Autoindustrie müssen endlich alles auf den Tisch packen“.

„Kartellrechtliche Absprachen wären eine zusätzliche Belastung für die Thematik, die wir gerade mit der Automobilindustrie haben“, sagte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Die Kartellbehörden müssten die Vorwürfe untersuchen. Unterdessen verschärft die EU-Kommission im Dieselskandal den Druck auf die Hersteller. Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska verlangt von VW sie bis Jahresende „eine Rückrufrate von hundert Prozent“. Andernfalls müssten die manipulierten Fahrzeuge 2018 aus dem Verkehr gezogen werden.