Berlin. Mit Daimler steht ein weiterer Autohersteller am Pranger wegen des Abgas-Skandals. In der Bundesregierung geht bereits die Angst um.

Der Gipfel ist beim Dieselskandal offenbar noch nicht erreicht. Jetzt steht der Stuttgarter Autobauer Daimler unter Verdacht, millionenfach Abgaswerte manipuliert zu haben. Die Ermittlungen sorgen nun auch innerhalb der Bundesregierung für Alarmstimmung: „Wenn sich herausstellen sollte, dass ein weiterer deutscher Weltkonzern seine Kunden und Behörden betrogen hat, dann wäre das ein deutlicher Schaden für den gesamten Industriestandort Deutschland“, sagte der Verbraucherschutz-Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Ulrich Kelber (SPD), dem „Handelsblatt“ .

Daimler wehrt sich gegen den Vorwurf, die Abgasreinigung seiner Dieselfahrzeuge mit illegalen Mitteln manipuliert zu haben. Die Regulierung der Abgasreinigung sei eine technisch und rechtlich hochkomplexe Frage, teilte der Autobauer mit. „Auf Basis der uns vorliegenden Informationen würden wir gegen den Vorwurf einer illegalen Abschalteinrichtung durch das KBA mit allen rechtlichen Mitteln vorgehen.“

Staatsanwaltschaft steht im Kontakt mit US-Behörden

Doch längst fragen sich die Ermittler, ob es Querverbindungen gibt zwischen dem inzwischen überführten VW-Konzern und Daimler. Beziehen nicht beide Konzerne die umstrittene Software vom selben Zulieferer, von Bosch? Die Behörden in den USA gehen diesem Verdacht schon länger nach. Und die Amerikaner geben ihr Wissen an deutsche Ermittler weiter. Daimler könnte das womöglich noch in die Klemme bringen.

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft steht im Fall Daimler im Kontakt mit US-Behörden. „Es besteht Kontakt zu den US-amerikanischen Behörden und den Kollegen in Braunschweig“, sagte der Pressesprecher der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, Erster Staatsanwalt Jan Holzner, unserer Redaktion. „Es sind eigenständige Ermittlungsverfahren“, betonte der Staatsanwalt.

Die bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart eingerichtete Ermittlungsgruppe „Diesel“, die sich auch mit dem Fall Daimler befasst, bestehe aus vier Staatsanwälten. Der Fall sei „komplex und von der Dimension her entsprechend groß.“

Illegale Abschalteinrichtung

Auch das Bundesverkehrsministerium geht dem Verdacht auf Tricksereien des Daimler-Konzerns nun nach. „Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) nimmt Fahrzeuge in die Prüfung“, sagte der Sprecher des Ministeriums, Ingo Strater. Am Abend zuvor musste sich Daimler-Entwicklungschef Ola Källenius den Fragen der Abgasuntersuchungskommission im Ministerium stellen. Daimler habe bestritten, dass in etwa einer Million Motoren eine illegale Abschalteinrichtung verwendet worden sei, erläuterte Strater. Nun soll das KBA die Abgaswerte messen.

Konkret geht es um zwei Motorenreihen von Daimler, den OM 642 sowie den OM 651, wie das Verkehrsministerium bestätigte. Ersterer ist ein V6 Turbodiesel, der vor allem bei Modellen der Oberklasse verwendet wird. Letzterer ist ebenfalls ein Turbodiesel, jedoch mit geringerem Hubraum. Beide Motoren werden nicht nur in den Pkw eingesetzt, sondern auch bei den Kleintransportern von Mercedes.

Schlechte Regulierung

Der Konzern will sich wegen des laufenden Ermittlungsverfahrens zur Sache derzeit nicht äußern. „Spekulationen kommentieren wir nicht“, teilte Daimler auf Anfrage mit. Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen warnt vor einer Vorverurteilung des Konzerns. Dudenhöffer glaubt, dass mögliche Strafen nur die geringste Folge für die Branche ist. Schlimmer sei das Ende ihres Geschäftsmodells.

„Der Dieselantrieb ist tot“, sagt er. In vielen Ländern gebe es Untersuchungen gegen die Unternehmen. Und er sieht einen Grund dieser Entwicklung in Fehlern der Politik. „Die Ursache liegt in der schlechten Regulierung der Autoindustrie“, kritisiert Dudenhöffer, „die Bundesregierung hat Hinweise und Kritik der EU-Kommission zum hohen Schadstoffausstoß der Dieselfahrzeuge jahrelang nicht ernst genommen.“

Tatsächlich stehen derzeit sowohl die Regierungen als auch die Branche selbst unter schwerem Druck. In vielen Städten könnte es zu Fahrverboten für ältere Diesel kommen.

Klagen durchsetzen

Das wäre ein schwerer Schlag für die Besitzer der Fahrzeuge, die einen massiven Wertverlust verdauen müssten. Deshalb fordern Verbraucherschützer Schadenersatz für die Kunden, bisher jedoch vergeblich. „Um von vornherein ein Desaster wie im VW-Skandal zu vermeiden“, fordert der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller, „muss es eine Garantie auf die Folgen der Umrüstung geben.“

Für die Bundesregierung ist ein Ende des Dieselantriebs umweltpolitisch ein großes Problem. Die Motoren verbrauchen weniger Sprit als Benziner. Der Diesel wird benötigt, damit Deutschland seine Klimaziele einhalten kann. Die Probleme könnten sich noch weiter verschärfen, wenn sich die Deutsche Umwelthilfe mit ihren Klagen vor Gericht durchsetzen kann. Der Verband will damit erreichen, dass VW und auch Daimler die Typzulassung für die betreffenden Baureihen entzogen wird. Dann dürften sie nicht mehr auf der Straße unterwegs sein.

Sinnvolle Nachrüstungen

Die Diskussionen über Softwaremanipulationen „haben unsere Industrie Vertrauen gekostet“, sagte der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann, dieser Zeitung. „Dass viele Menschen enttäuscht sind, ist nachvollziehbar und verständlich.“

Die betroffenen Automobilhersteller müssten alles tun, um sinnvolle Nachrüstungen anzubieten und aus gemachten Fehlern Konsequenzen zu ziehen. „Dennoch ist die Dieseltechnologie ein wichtiger Pfeiler des Industriestandorts Deutschland“, so Wissmann, „viele hoch qualifizierte Arbeitsplätze sind eng mit ihr verknüpft.

Weder Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) noch Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) wollen die Vorwürfe gegen Daimler bewerten. Beide Häuser verweisen auf den für den 2. August geplanten Dieselgipfel. Eine Sprecherin von Hendricks stellte die Erwartung der Regierung klar: „Die Luft in Deutschland muss besser werden.“