Berlin. Glassplitter im Wasser, Bakterien in der Milch: 2016 wurden etwa 50 Prozent mehr Lebensmittel zurückgerufen als 2015. Woran liegt das?

Der jüngste Rückruf kam vor wenigen Tagen: Der Discounter Netto warnt vor dem Verzehr eines Blauschimmelkäses, in dem Kolibakterien nachgewiesen wurden. Fünf Tage zuvor: Die Drogeriemarktkette dm ruft Gläser mit Apfel- und Bananenbrei zurück, weil Allergieauslöser nicht ausgezeichnet waren. Noch mal sechs Tage zuvor: Bei amtlichen Proben werden an den Schalen von etwa 100.000 Eiern des Produzenten Heidegold Salmonellen festgestellt.

Meldungen wie diese kommen inzwischen im Wochentakt. Doch bedeutet die hohe Schlagzahl auch, dass die Lebensmittel in Deutschland unsicherer geworden sind? Oder ist das System schlichtweg transparenter? Wir haben bei Verbraucherschützern nachgefragt.

Wie hat sich die Rückruf-Statistik entwickelt?

Seit Oktober 2011 informiert das Portal lebensmittelwarnung.de über Rückrufe. Laut Statistik des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das hauptsächlich für die technische Betreuung des Portals zuständig ist, wurden 2012 insgesamt 83 Lebensmittel zurückgerufen, 2013 gab es 75 Warnungen, bevor 2014 ein Anstieg um gut 25 Prozent auf 107 zurückgerufene Lebensmittel folgte.

2015 ging die Zahl wieder leicht zurück, auf 100 gemeldete Produkte. Die größte Schwankung datiert allerdings aus dem vergangenen Jahr: 2016 wurden 148 Lebensmittel zurückgerufen – knapp 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Im laufenden Jahr wurde bisher vor 32 Produkten gewarnt.

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Warum haben Rückrufe 2016 so deutlich zugenommen?

Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg erklärt sich das mit der gestiegenen Bereitschaft, fehlerhafte Produkte auch tatsächlich zu melden. „Die Rückrufe gab es früher mindestens in gleicher Höhe, aber die Produkte wurden still zurückgerufen, ohne dass es die Verbraucher merkten“, sagte sie unserer Redaktion.

Zu Anfang sei die Industrie gegen das Meldeportal gewesen, inzwischen würden aber immer mehr Unternehmen erkennen, dass es ihrer Glaubwürdigkeit gut tue, wenn sie die Kunden ehrlich informierten, glaubt Schwartau.

Bei 170.000 Produkten, die sich laut Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) auf dem deutschen Markt befinden, belaufen sich die Rückrufe auf einen Anteil von 0,09 Prozent – in der Gesamtheit also sehr wenig.

Aus welchen Gründen werden Lebensmittel zurückgerufen?

Seit Einführung des Meldeportals werden die meisten Lebensmittel zurückgerufen, weil sie mikrobiologisch verunreinigt waren (38 Prozent), also etwa mit zu vielen Bakterien oder Viren belastet. Zweithäufigste Rückrufursache waren Fremdkörper wie zum Beispiel Plastikteilchen (27 Prozent).

Weitere Gründe waren Kennzeichnungsmängel (9 Prozent), Grenzwertüberschreitungen (7 Prozent), unzulässige Inhaltsstoffe (5 Prozent) und Anderes wie Fehlreifungen oder Verwechslungsgefahr (10 Prozent). Dass bestimmte Ursachen kontinuierlich zugenommen hätten, lässt sich nicht feststellen.

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Welche Produkte sind besonders häufig betroffen?

Spitzenreiter bei den zurückgerufenen Lebensmitteln sind von 2011 bis 2017 Fleisch, Wild und Geflügel (17 Prozent), gefolgt von Milch und Milchprodukten (14 Prozent) und Getreide und Backwaren (11 Prozent).

Wann wird vor Produkten gewarnt?

„Ein Produkt wird immer dann auf lebensmittelwarnung.de genannt, wenn es gesundheitsgefährdend, ekelerregend oder geeignet ist, die Verbraucher zu täuschen, und es sich bereits im Handel und damit unter Umständen auch schon in einzelnen Haushalten befindet“, sagte Andreas Tief, BVL-Sprecher unserer Redaktion.

Wer meldet die mangelhaften Lebensmittel?

Eine neue Warnung wird laut Tief von einem betroffenen Bundesland eigenständig – ohne Beteiligung des BVL – bei lebensmittelwarnung.de eingestellt. Weitere Bundesländer, in denen das Produkt ebenfalls vertrieben wird, könnten sich der Warnung anschließen.

Wie viele Proben und Kontrollen werden jährlich durchgeführt?

Die Verantwortung für die Lebensmittelsicherheit liegt bei den Unternehmen, die selbstständig Untersuchungen durchführen. Darüber hinaus gibt es amtliche Kontrollen der Bundesländer. Laut BVL wurden 2015 insgesamt 532.000 Betriebe überprüft, unter anderem auf Hygiene, sowie 380.000 Lebensmittelproben untersucht.

Wie transparent ist lebensmittelwarnung.de?

Die Verbraucherzentrale Hamburg hat 50 Warnungen ausgewertet, die zwischen Juli 2015 und April 2016 auf lebensmittelwarnung.de veröffentlicht worden waren. Dabei stellte sie fest, dass 80 Prozent der Warnmeldungen die mögliche Gesundheitsgefahr unzureichend beschrieben.

„Die Texte zu den Warnungen werden offenbar nicht ausreichend kontrolliert und mitunter ohne fachliche Prüfung auf Vollständigkeit veröffentlicht“, heißt es in einer Mitteilung. „Das Problem verschärft sich dadurch, dass es wohl keine klare Zuständigkeit gibt und Behörden Firmenwarnungen teilweise ohne Nachprüfung ins Netz stellen.“

Ein knappes Jahr später hat sich wenig getan. „Eine Arbeitsgruppe der Bundesländer sitzt gerade aufgrund unserer Veröffentlichung zusammen“, sagt Verbraucherschützerin Schwartau. „Aber die kommen gerade noch nicht so richtig voran.“

Luftverpackung: Große Tüte, wenig Inhalt

„Jede Menge Luft nach oben“: Unter diesem Motto deckten die Verbraucherzentrale Hamburg und das Eichamt Fellbach Ende 2016 auf, wie Lebensmittel- und Kosmetikindustrie die Verbraucher täuschen. Bei Kosmetika fielen den Verbraucherschützern vor allem doppelte Böden und dicke Wandungen auf.
„Jede Menge Luft nach oben“: Unter diesem Motto deckten die Verbraucherzentrale Hamburg und das Eichamt Fellbach Ende 2016 auf, wie Lebensmittel- und Kosmetikindustrie die Verbraucher täuschen. Bei Kosmetika fielen den Verbraucherschützern vor allem doppelte Böden und dicke Wandungen auf. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
Mit Hilfe von Röntgenbildern zeigen die Verbraucherschützer, das Lebensmittelpackungen durchschnittlich 40 Prozent Luft enthalten. Die Packung „Risotto Porcino di stagione“ von Scotti ist fast zur Hälfte (49 Prozent) mit Luft gefüllt.
Mit Hilfe von Röntgenbildern zeigen die Verbraucherschützer, das Lebensmittelpackungen durchschnittlich 40 Prozent Luft enthalten. Die Packung „Risotto Porcino di stagione“ von Scotti ist fast zur Hälfte (49 Prozent) mit Luft gefüllt. © Verbraucherzentrale Hamburg | Montage: fmg
Zusammen mit dem Risotto landet die Verpackung von „Kellogg’s Frosties“ auf dem Spitzenplatz der geprüften Mogelpackungen.
Zusammen mit dem Risotto landet die Verpackung von „Kellogg’s Frosties“ auf dem Spitzenplatz der geprüften Mogelpackungen. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
49 Prozent Luftanteil stellt das Eichamt bei den Frühstücksflocken fest.
49 Prozent Luftanteil stellt das Eichamt bei den Frühstücksflocken fest. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
Nur knapp dahinter landet mit 45 Prozent Luftanteil das „Knusper Früchte-Müsli“ von Netto.
Nur knapp dahinter landet mit 45 Prozent Luftanteil das „Knusper Früchte-Müsli“ von Netto. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
Die „Skittles“ fallen doppelt negativ auf.
Die „Skittles“ fallen doppelt negativ auf. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
Die Packung enthält nicht nur ziemlich viel Luft, sondern auch unnötig viel Plastik, weil die Bonbons noch einmal zusätzlich in kleinen Tütchen verpackt sind.
Die Packung enthält nicht nur ziemlich viel Luft, sondern auch unnötig viel Plastik, weil die Bonbons noch einmal zusätzlich in kleinen Tütchen verpackt sind. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
Der Protein-Drink „Pink Flash“ von Veganz enthält immerhin 29 Prozent Luft.
Der Protein-Drink „Pink Flash“ von Veganz enthält immerhin 29 Prozent Luft. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
Die Röntgenaufnahme des Veganz-Protein-Drinks zeigt: Es ist noch Luft nach oben.
Die Röntgenaufnahme des Veganz-Protein-Drinks zeigt: Es ist noch Luft nach oben. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
140 Gramm Salzlakritz sind verhältnismäßig wenig.
140 Gramm Salzlakritz sind verhältnismäßig wenig. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
Wie wenig tatsächlich in der Verpackung der „Salz Pastillen“ von Heksehyl enthalten ist, zeigt die Röntgenaufnahme.
Wie wenig tatsächlich in der Verpackung der „Salz Pastillen“ von Heksehyl enthalten ist, zeigt die Röntgenaufnahme. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
Auch die Packung Cantuccini „I Morbidi“ von Ghiott könnte besser gefüllt sein.
Auch die Packung Cantuccini „I Morbidi“ von Ghiott könnte besser gefüllt sein. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
39 Prozent Luftanteil stellten die Verbraucherschützer bei der Kontrolle des italienischen Gebäcks fest.
39 Prozent Luftanteil stellten die Verbraucherschützer bei der Kontrolle des italienischen Gebäcks fest. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
Auch die Verpackung „Hütten Schmaus“ von Knorr haben das Eichamt Fellbach und die Verbraucherzentrale Hamburg unter die Lupe genommen.
Auch die Verpackung „Hütten Schmaus“ von Knorr haben das Eichamt Fellbach und die Verbraucherzentrale Hamburg unter die Lupe genommen. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
44 Prozent Luftanteil wurde beim „Hütten Schmaus“ bei der Untersuchung festgestellt.
44 Prozent Luftanteil wurde beim „Hütten Schmaus“ bei der Untersuchung festgestellt. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
Was bei normalen Mehl-Verpackungen keinerlei Probleme bereitet, scheint beim Falafel-Mehl der Bio-Zentrale nicht möglich.
Was bei normalen Mehl-Verpackungen keinerlei Probleme bereitet, scheint beim Falafel-Mehl der Bio-Zentrale nicht möglich. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
Statt die Tüte vollständig zu füllen, gesellt sich zum Falafel-Mehl 42 Prozent Luft.
Statt die Tüte vollständig zu füllen, gesellt sich zum Falafel-Mehl 42 Prozent Luft. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
Den Spitzenplatz der Mogelpackungen nimmt bei den Kosmetika die „Augenpflege Nacht“ von Biocura ein.
Den Spitzenplatz der Mogelpackungen nimmt bei den Kosmetika die „Augenpflege Nacht“ von Biocura ein. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
Nach Berechnungen der Verbraucherzentrale Hamburg liegt der Luftanteil bei 68 Prozent.
Nach Berechnungen der Verbraucherzentrale Hamburg liegt der Luftanteil bei 68 Prozent. © Verbraucherzentrale Hamburg | Verbraucherzentrale Hamburg
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