Psychiater warnen vor Stigmatisierung psychisch Kranker
•
Lesezeit: 3 Minuten
Krefeld/München. Die Attentäter von München und Ansbach waren in Behandlung. Experten warnen vor einem Generalverdacht gegen Kranke.
Nach den jüngsten Gewalttaten von offenbar psychisch kranken Tätern warnen Psychiater vor einer Vorverurteilung von Patienten. Die meisten Gewaltverbrechen würden von Menschen verübt, die nicht unter einer psychischen Störung litten, sagte die Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Psychiater in Krefeld, Christa Roth-Sackenheim, dem Evangelischen Pressedienst. Vorfälle wie der Amoklauf von München und der Selbstmordanschlag in Ansbach sowie die Berichterstattung darüber verstärkten Vorurteile.
„Die meisten Laien unterscheiden ja nicht, welche psychischen Erkrankungen vorliegen können, sondern gehen oft allgemein davon aus, dass man psychische Beschwerden durch Willensanstrengung überwinden kann“, sagte die Ärztin. Dass die jüngsten Gewalttaten mit den psychischen Erkrankungen der Tatverdächtigen ursächlich in Zusammenhang stehen könnten, hält die Expertin nicht für wahrscheinlich.
Frühe Hilfe in der Jugend nötig
„Insbesondere bei Depressionen würde man das eher nicht vermuten, da depressive Menschen sich eher zurückziehen als anderen etwas anzutun“, erklärte Roth-Sackenheim. Anders könne das bei einer akuten Psychose sein, bei der Betroffene den Bezug zur Realität verlieren. „Stimmen im Kopf können zum Beispiel dann sagen, dass alle anderen einem etwas antun wollen und man sich verteidigen müsse“, erläuterte die Psychiaterin. Dass eine solche Erkrankung etwa bei dem Münchner Amok-Täter vorlag, sei aber unwahrscheinlich.
Selbstmordattentat in Ansbach
1/17
Um einer möglichen Gewaltbereitschaft von psychisch Kranken vorzubeugen, muss nach Angaben der Medizinerin die Behandlung der Grundkrankheit wie einer Psychose oder Suchterkrankung im Vordergrund stehen. Zur Prävention seien frühe Hilfen in der Jugend und das Ermöglichen von gesellschaftlicher Teilhabe wichtig. „Wie bei allen anderen Erkrankungen auch sind die Heilungschancen besser, wenn man sein Krankheitsbild gut kennt, damit gut umgehen kann, sich rechtzeitig Hilfe holt und von der Familie und Umgebung unterstützt wird“, erklärte Roth-Sackenheim. Erfreulicherweise seien psychische Erkrankungen heute weniger ein Tabu als noch vor einigen Jahren.
Expertin gegen Lockerung der Schweigepflicht
Forderungen nach einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht als Konsequenz aus den jüngsten Gewalttaten wies die Expertin zurück. Bereits heute könnten Ärzte die Schweigepflicht brechen, wenn sie von einer Eigen- oder Fremdgefährdung ausgingen.
Der Amoklauf in München im Juli 2016
1/19
Der Amokläufer von München, der am Freitag neun Menschen tötete und sich anschließend selbst erschoss, wurde laut Staatsanwaltschaft wegen sozialer Phobien und Depressionen psychiatrisch behandelt. Der mutmaßliche Selbstmordattentäter von Ansbach, der sich am Sonntag in die Luft sprengte und zwölf Menschen zum Teil schwer verletzte, war nach Angaben der Behörden wegen mehrerer Selbstmordversuche ebenfalls seit längerem in psychiatrischer Behandlung.
Warnung auch vor Generalverdacht gegen Flüchtlinge
Ebenfalls unangebracht ist nach den Gewalttaten der vergangenen Wochen nach Aussage der Bundesregierung eine pauschale Vorverurteilung von Flüchtlingen. Innenminister Thomas de Maizière sagte unserer Redaktion: „Wir dürfen Flüchtlinge nicht unter Generalverdacht stellen, auch wenn es in einzelnen Fällen Ermittlungsverfahren gibt.“ Die allermeisten Hinweise auf mögliche Terroristen unter Asylbewerbern hätten sich bisher als unwahr herausgestellt.
Sowohl die Bluttat in einem Regionalzug bei Würzburg als auch die Bombenexplosion in Ansbach wurden nach bisherigen Erkenntnissen von Tätern begangen, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen waren. Aktuell gebe es laut Bundesinnenministerium nach mehr als 400 Hinweise aus dem Umfeld von Flüchtlingen – etwa aus Unterkünften – 59 laufende Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Entwicklung in terroristische Strukturen. Eine belastbare Zahl über die Radikalisierung gebe es nicht. (epd/dpa/gau)