Ajaccio. Tausend Kilometer Küste, Bergdörfer, verwunschene Gärten: Nach der Saison bleiben wenige Touristen, das Meer ist noch im Oktober warm.

Auf dem Platz vor der Zitadelle spielen einige Männer Boule. Spaziergänger flanieren durch die Abendsonne und blicken über das Geländer des Platzes auf das schöne Städtchen am Meer. Saint-Florent war in den 70er-Jahren die Antwort Korsikas auf Saint-Tropez; nicht nur, weil die Orte ähnlich malerisch ans Meer drapiert lagen, sondern auch, weil sie vom Jetset geschätzt wurden.

Marcello Mastroianni, der schönste aller italienischen Schauspieler, und Catherine Deneuve, die faszinierendste aller französischen, bauten sich hier ein altes Kloster zum Wohnhaus um. Liz Taylor und Richard Burton gingen mit ihrer Yacht in Saint-Florent vor Anker, nicht selten wurde Sophia Loren mit Familie gesehen. Tags schlenderten sie durch die Gassen der kleinen Stadt und badeten im Meer, nachts tanzten sie im legendären Club Conca d’Oro.

Im Heimatort der schönen Laetitia Casta

Dann trennte sich das Traumpaar Mastroianni-Deneuve, auch die Burtons zogen einmal mehr einen Schlussstrich. Heute reist die Prominenz nach Porto Vecchio im Südosten Korsikas – oder nach Lumin, Heimatort der schönen Laetitia Casta und Zweitwohnsitz vieler Prominenter vom Festland. Saint-Florent hat das nicht geschadet: Die Häuschen der Altstadt drängen sich schlank und schön wie eh und je ans blaue Meer.

An Spätsommerabenden, wenn die Besuchermassen der Hochsaison verschwunden, der Ort aber noch voller Wärme und Sonne ist, treffen sich reifere Herren zum Boulespiel. Es ist eine der wenigen französischen Gepflogenheiten, die man gerne übernommen hat. Seine Lage tief im Golf von Saint-Florent macht den Ort noch immer zu einem der reizvollsten der Insel.

Die Korsen sind zugänglicher, wenn es nicht mehr so voll ist

Korsika ist der Inbegriff mediterraner Schönheit, wer die Hochsaison meidet, die sich in Preisgestaltung wie in Besucherzahlen brav auf die Monate Juli und August beschränkt, kann sich mancherorts fühlen wie an der Côte d’Azur vor Beginn von Blechlawinen und anderen Begleiterscheinungen des Massentourismus. Auch die Insulaner sind zugänglicher, wenn sie ihre Heimat mit nicht ganz so vielen Fremden teilen müssen.

316.000 Menschen, denen seit Römerzeiten ausgeprägter Eigensinn nachgesagt wird, leben auf der viertgrößten Mittelmeerinsel. 66.000 sind in Ajaccio zu Hause, der Geburtsstadt Napoleons, 43.000 in der Hafenstadt Bastia. Die übrigen verteilen sich auf Dörfer, wie man sie sich idyllischer kaum denken könnte. Die spektakuläre Landschaft aus Hochgebirge und der „Macchia“, einem großen, prachtvollen Buschwald aus Ginster, duftendem Lavendel, Myrte und rosa blühender Zistrose, der mehr als die Hälfte Korsikas bedeckt, teilen sie sich mit 80.000 Schafen.

So ewig wirkt diese mediterrane Landschaft aus Bergen und Buchten, Olivenhainen und korsischen Eichen, alten Dörfern und Festungen, dass man glauben könnte, sie sehe aus wie immer. Doch auch auf Korsika gibt es Veränderungen. „Anfang des 19. Jahrhunderts standen hier zwölf Millionen Olivenbäume“, sagt Isabelle Demoustier, Geschäftsführerin des Landschaftsgartens Saleccia, der in dem als „Garten Korsikas“ gerühmten Landstrich Balagne im Nordwesten der Insel überm Meer liegt. „Heute sind es noch 180.000.“

Es gibt eine Kosmetiklinie auf Basis mediterraner Pflanzen

Isabelle kennt außer den Veränderungen, die meist vom Menschen gemacht sind, auch die Selbstheilungskraft der Natur. Sie zeigt Besuchern den Stumpf eines Olivenbaums, der 1974 einem schweren Waldbrand zum Opfer fiel. „Er war mehrere Hundert Jahre alt.“ Noch immer bedauert sie den Verlust. Doch sind immerhin fünf junge Bäume um den verkohlten Stamm herum neu ausgetrieben.

Für die 44-Jährige ist der einzige öffentliche Garten Korsikas so etwas wie die Erweiterung ihres Wohnzimmers. Ihr Vater Bruno, ein Landschaftsarchitekt vom Festland, schuf das Refugium aus korsischen Pflanzen, nachdem er in den 60er-Jahren hergekommen war und sich erst in die Insel, dann in die Korsin Irène verliebte, seine spätere Frau.

Auf trockenem Boden, der viel Wind ausgesetzt ist und nur wenig Regen kennt, legte er den zehn Hektar großen Garten an, der im Frühling in allen Farben aufleuchtet, Anfang Juni ins helle Gelb der Immortelle und im Spätsommer in sattem Grün strahlt. Heute ist Bruno Demoustier 78 Jahre alt und stellt noch immer Olivenöl für seine Familie her – als lebendiger Beweis der wohltuenden Wirkung des Lebens am Mittelmeer.

Korsischer Patriotismus hat viel mit Aromen, Pflanzen und Früchten zu tun

Christelle Leondri, promovierte Chemikerin, ist davon so überzeugt, dass sie eine Kosmetiklinie auf Basis mediterraner Pflanzen begründet hat. In ihrem Labor im Sprengel Belgodère stellt sie Gesichtslotion mit Clementinenextrakt, Peelings mit korsischem Sand, Handcreme mit Zitrusfrüchten und Pflegecremes mit Olivenöl, Rosenwasser oder dem ätherischen Öl der ­Immortelle her, deren Blüten nach dem Pflücken nicht sichtbar welken.

Alle tragen ein Bio-Siegel. „Mit mehr als 2000 einheimischen Pflanzen ist Korsika voller Düfte, voller Schönheit“, sagt sie. „Das allein sorgt schon für Wohlbefinden.“ Ihr Ziel ist, dieses Wohlbefinden in Tuben und Tiegel abzufüllen. Alles macht sie selbst: von der Analyse der Zutaten und der Komposition der Produkte bis zu Marketing und Versand.

Es ist auffällig, dass korsischer Patriotismus heute viel mit Aromen, Pflanzen und Früchten zu tun hat. Auch für Jean-Louis Tommasini, Besitzer von 750 Olivenbäumen beim Dörfchen Arapessa. Er wurde in Marseille geboren, nachdem seine Eltern aufs Festland gegangen waren, um dort zu arbeiten. Seine Heimat sah er nur in den Ferien. Doch das genügte. „Marseille ist eine Stadt“, sagt er. „Ich aber wollte aufs Land. Ich bin Korse.“ Mit 18 Jahren hielt ihn nichts mehr. Er ging zurück und begann seine eigene Ölproduktion, mit 34 Bäumen auf einem Stück Land, kaum größer als ein Garten. 40 Jahre später stellt er 3500 Liter pro Jahr her, 2000 davon vertreibt eine Kooperative ins Ausland. Der Rest bleibt auf der Insel.

Bastias überwiegend in barockem Stil erbaute Kirchen zeugen von den Vorbehalten, die man auf Korsika immer gegen Frankreich hegte. Mit der Gotik als Kunst Frankreichs wollte man nichts zu tun haben. Italien, das der Insel geografisch näher liegt als die Grande Nation, hatte Korsika 1768 dem Nachbarstaat übergeben – nachdem der korsische Widerstandskämpfer und Reformer Pascal Paoli die Genueser ernsthaft in die Enge getrieben hatte. Den Franzosen aber unterlag er. Seither ist französisch, was häufig italienische Ortsnamen trägt und von Menschen bewohnt wird, die sich korsisch fühlen.

Vor allem Festland-Franzosen betrieben früher Tourismus

Dass in den 60er-Jahren Algerien-Franzosen von Paris Land an der korsischen Ostküste erhielten, das korsische Bauern als das ihre betrachteten, und dass vor allem Festland-Franzosen mit dem Tourismus Geld verdienten, sorgte für Spannungen. 1967 bildete sich eine erste Separatistenbewegung, 1976 mit der Nationalen Korsischen Befreiungsfront die zweite. Korsische Nationalisten verübten Anschläge auf Einrichtungen und Repräsentanten Frankreichs sowie auf Ferienanlagen und Hotels. Noch immer wird betont, dass Urlauber verschont und nur leer stehende Unterkünfte bombardiert wurden.

„Die gewalttätige Generation ist heute in Rente“, beteuert Rosemarie Antonini, gebürtige Deutsche und verheiratete Korsin, die Touristen die Stadt Calvi an der Westküste zeigt. „Ihre Kinder gehören zum Establishment, sind Politiker und Juristen.“ 2014 erklärte die Nationale Korsische Befreiungsfront, ihre Waffen abzugeben. Der Wunsch nach mehr Autonomie aber besteht fort, ebenso wie die wirtschaftliche Abhängigkeit des ärmsten Gebiets Frankreichs von Paris.

Rosemarie Antonini kennt nach 30 Jahren jeden Stein der Altstadt Calvis, und sie hat auch die Bewohner der Insel gut kennengelernt. Das sei keinesfalls unmöglich, sagt sie, die Korsen seien weniger verschlossen, als man es ihnen nachsagt. Tag für Tag zeigt sie Besuchern die Zitadelle, die Stellen, die die schönsten Blicke über die blaue Bucht öffnen, und die Ruinen des Hauses, das der Familie von Christoph Columbus gehört haben soll.

Auch dass der Genu­ese seine Wurzeln im Nordwesten Korsikas haben soll, weiß sie zu erklären: nämlich damit, dass Calvi im 15. Jahrhundert zur Republik Genua gehörte. Columbus konnte so als Genueser durchaus auch Korse sein. Nicht jeder kann jedoch mit derart großzügiger Eingemeindung rechnen. Napoléon Bonaparte, dem großen Sohn Korsikas, dessen Vater erst mit Revolutionär Paoli gekämpft und sich später mit den Franzosen arrangiert hatte, steht man indifferent gegenüber: „Er war Franzose.“

Tipps & Informationen

Anreise Von Berlin aus zum Beispiel mit Eurowings nach Bastia auf Korsika.

Übernachtung Das Vier-Sterne-Hotel Liberata ist nur durch eine kleine Straße vom Strand getrennt. Die Zimmer sind groß, beim Frühstück sitzt man auf der Terrasse mit Meerblick. DZ in der Nebensaison ab 100 Euro, im Juli/ August ab 280 Euro, Promenade de la Marinella, Île-Rousse, Tel. 0033/4/95 62 03 62, www.hotel-ilerousse.fr; ein Stück außerhalb von Bastia liegt das Drei-Sterne-Haus Pietracap auf einem Hügel mit Blick übers Meer bis nach Elba. DZ mit Balkon in der Nebensaison ab 82 Euro, im Sommer ab 142 Euro, 20 Route de San Mar­tino, Tel. 0033/4/95 31 64 63, www.pietracap.com

Lektüre „Korsika“ von Marcus X. Schmid aus dem Michael Müller Verlag (408 Seiten, 19,90 Euro).

Essen und Trinken Schöne Lage
in den Bergen mit Blick auf das Meer und sehr krea­tive korsische Küche im Chez Léon in Cateri,
Tel. 0033 /4/95 61 73 95.

Allgemeine Auskunft Atout France – Zentrale für Tourismus. Postfach 100128, 60001 Frankfurt,
http://de.rendezvousenfrance.com

(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch Atout France.)