Braunschweig. Der Zukunftsforscher Stephan Rammler blickt auf Chancen, aber auch große Gefahren von Digitalisierung.

Stephan Rammler lehrt seit 15 Jahren an der HBK Braunschweig. Dort gründete er das Institut für Transportation Design, das sich mit der Zukunft der Mobilität beschäftigt. Der 49-Jährige ist zudem Autor mehrerer Schriften, aktuell „Volk ohne Wagen. Streitschrift für eine neue Mobilität“. Mit ihm sprach Ramona Dusny über seine Arbeit als Zukunftsforscher.

Wo liegt die Grenze zwischenZukunftsforschung und Science-Fiction?

Die liegt im Zeitlichen. Bei 100 Jahren in die Zukunft reden wir über Science-Fiction. Je weiter wir gehen, desto weiter öffnet sich der Trichter der Optionenvielfalt. Wenn man Annahmen macht über eine Welt, in der der Weltraum erschlossen wurde oder die den heutigen Annahmen der Physik widerspricht, ist das Teil des Fantastischen.

„Science-Fiction- Literatur dient mir als Inspirationsquelle“
„Science-Fiction- Literatur dient mir als Inspirationsquelle“ © Stephan Rammler, Zukunftsforscher

Betrachten Sie denn Science-Fiction für Ihre Arbeit?

Science-Fiction dient mir als Inspirationsquelle. Philip K. Dick etwa war ein als Literat gewandeter Forscher. Viele digitale Visionen, die er beschrieb, sind heute dabei, umgesetzt zu werden. Aber ich arbeite mehr aus einer wissenschaftlichen Basis und von vorhandenen Grundlagen heraus, als Zukunftsanalytiker. Eine wichtige Fähigkeit dabei ist, einmal eingenommene Positionen wieder verlassen zu können.

Eine Ihrer aktuellen Thesen lautet, sich von der Automobilität zu verabschieden. Was soll sie ersetzen?

Nein, es geht um das Leitbild der Automobilität, dazu gehören Verbrennungsmotoren, Autos selbst zu steuern und Privatbesitz. Diese drei Dimensionen stehen im Augenblick infrage, etwa in China. Die Entwicklung hin zu E-Mobilität, zum autonomen Fahren und Mobilität als Service – also alle Formen, Fahrzeuge zusammen mit anderen zu benutzen – erscheint aus der Perspektive Braunschweigs weit weg, aus globaler Sicht ist es aber ganz nah. Es ist eine Notwendigkeit, da wir massive Probleme haben mit der Luftqualität in Städten, der Erdölabhängigkeit und der selbstverschuldeten Krise der deutschen Automobilindustrie.

Welche zukünftige Entwicklungen gibt es noch, die heute schon angelegt sind?

Es ist wichtig, die schnelle digitale Entwicklung zu beobachten. Dazu gehören Smart Home, Tele-Medizin mit virtuellen Sprechzimmern, frei verfügbare Bildung. Es ist nicht nur die schöne neue digitale Welt, die da entsteht. Die Technologien sind auch dafür geeignet, demokratische Prozesse zu bedrohen und zu manipulieren. Denn sie machen uns online transparent, unser Verhalten deutbar und damit kontrollierbar. Außerdem sind die Technologien ressourcenaufwendig.

Ist das ein Bereich, der schwer zu beobachten ist?

Im Vergleich zu anderen schon besser, da wir konkrete Technologien ansehen. Ein Bereich, der sehr komplex ist, ist die Geopolitik. Es geht um die Rolle Chinas oder darum, was im Silicon Valley entsteht. Es gibt totalitäre Tendenzen in der Welt, dazu kommt die Lage im Nahen Osten. Das muss man alles im Blick haben.

Macht Ihnen die Zukunft Sorgen oder Hoffnung?

Beides. Es gab schon immer Apokalypse und Utopie, beides ist schon in der Bibel angelegt. Auf unsere heutige Situation bezogen mache ich mir viele Sorgen. Zum Teil sind wir zwar intelligent, verhalten uns aber dumm. Im Bereich des Digitalen schaffen wir Optionen, ohne zu bedenken, wo wir damit hin wollen. Das kann auf Dauer nur schief gehen. Aber grundsätzlich lege ich den Fokus auf die Chancen. Es gibt historisch gesehen keine Gesellschaft, die mehr Potenzial hatte als unsere.