Braunschweig. Beim Bioprinting werden organische Substanzen zu dreidimensionalen Gebilden geschichtet. Der Druck von Organen ist noch Vision.

Antzelina Kesidi aus Zypern hatte Schmerzen, fast ihr gesamtes Leben hindurch. Eine angeborene Fehlbildung ihrer Hüften ließ jede Bewegung zur Qual werden. Operationen mit dem Einsatz von Hüftprothesen brachten keine Besserung. Seit wenigen Wochen jedoch ist die 40-Jährige schmerzfrei. In der Hildesheimer Helios-Klinik ließen Orthopäden ein für sie individuell angepasstes Implantat anfertigen – im 3D-Drucker.

Was bei Prothesen bereits heute schon Realität ist, könnte sich in der Zukunft auf andere Bereiche der Medizin ausweiten. Herzklappen, Knorpel- und Knochenelemente, Hautflächen oder sogar Organe könnten in einigen Jahren auf simplen Knopfdruck entstehen. Bioprinting heißt das Verfahren, in dem spezielle 3D-Drucker statt der sonst üblichen Werkstoffe Kunststoff, Metall oder Keramik zuvor gezüchtete menschliche Zellkulturen für einen schichtweisen Aufbau von komplexen Strukturen verwenden.

Technisch gesehen ist das Verfahren wenig kompliziert. Erst kürzlich vermeldete die Ruhr-Universität Bochum, dass Studenten einen 3D-Drucker zu einem 3D-Bioprinter umgebaut haben, um damit menschliche Zellgebilde drucken zu können. Die Umbaukosten beliefen sich auf gerade einmal 700 Euro.

Daniel Kerlin kann das Potenzial des 3D-Drucks gut einschätzen. Als Leiter für Vertrieb und Marketing des Braunschweiger Unternehmens Fabmaker hat er täglich mit den Geräten zu tun. Fabmaker hat sich auf Bildungsprojekte mit 3D-Druck spezialisiert und führt Lehrkräfte und Lernende an die digitale Technik heran.

„Bei der Herstellung von Zahnersatz wird schon heute jeder zweite Zahn im 3D-Drucker gefertigt“, weiß er. Auch Hautpartien unter Zuhilfenahme von Zellkulturen mit dem 3D-Drucker aufzubauen, sei kein Problem. „Schwieriger sind da schon Hohlkörper wie Blutgefäße oder Harnröhren“, sagt er. Aber auch hier sind Wissenschaftler weit fortgeschritten: Forschern aus den USA ist es im Frühjahr gelungen, Blutgefäße per 3D-Druck herzustellen und diese lebenden Mäusen einzusetzen.

„Noch ein Schritt weiter geht dann der Druck von Organen“, sagt Kerlin. Dieser Bereich scheint derzeit noch absolute Zukunftsmusik zu sein. Es dürfte noch Jahre dauern, bis das erste per 3D-Druck gefertigte Organ seinen Dienst in einem menschlichen Körper tut. Ein großer Vorteil des Verfahrens liege jedoch auf der Hand, so Kerlin: „Im Gegensatz zur Verpflanzung von fremden Spenderorganen werden hier Organe aus eigenen Körperzellen gefertigt. Die Abstoßreaktionen werden dadurch minimiert.“ Überhaupt hätte das Warten auf geeignete Spenderorgane für viele Patienten ein Ende.

Weitere Vorteile des Einsatzes von 3D-Druckern in der Medizin sind die Möglichkeiten der Individualisierung und die Kostenersparnis. Der individuelle Druck von Prothesen, Gelenken oder Zahnersatz ist schon jetzt viel billiger als die Produktion mit herkömmlichen Methoden. Ein Grund ist die Zeitersparnis bei der Herstellung. „Man kann mit 3D-Druckern schnell produzieren. Tagsüber modellieren, abends ausdrucken – das ist kein Problem“, sagt Kerlin.

Die individuelle Anfertigung für den Patienten ist ein weiterer Vorteil – wie bei Antzelina Kesidi in Hildesheim. „Ich bin wirklich beeindruckt, wie perfekt das passt“, sagte Professor Burkhard Wippermann, Chefarzt der Klinik für Unfall- und orthopädische Chirurgie des Helios-Klinikums nach der Operation. Auf Grundlage von Aufnahmen einer Computertomographie (CT) war per Lasertechnik eine Nachbildung des Beckens der Patientin aus Kunststoff erstellt worden. In einer Kiste mit Titanlegierungssand schmolz ein Laserstrahl Schicht für Schicht genau die Sandkörner, die für das Implantat nötig waren. Anschließend wurde die Prothese sorgfältig von Hand nachgearbeitet, damit auch kleinste Unebenheiten entfernt waren. Mit diesem Kunststoffmodell konnte die passgenaue Titan-Prothese angefertigt werden – komplett am 3D-Drucker.

Auch in anderen Bereichen könnte der 3D-Drucker wertvolle Dienste leisten. Ein katalanisches Start-up-Unternehmen stellte bereits vor wenigen Jahren einen 3D-Drucker vor, mit dem es möglich ist, eine Pizza zu „drucken“. Eine Firma aus Belgien nutzt den Drucker, um kunstvolle Schokoladenfiguren zu fertigen. Der italienische Nudelhersteller Barilla arbeitet zudem an der Entwicklung eines Pasta-3D-Druckers. Viele Experten halten Fleisch aus dem 3D-Drucker zudem für eine Option, um der Schlachtung von Tieren ein Ende zu setzen. Und was wird in vielen Jahren oder Jahrzehnten noch im 3D-Druck hergestellt? Ganze Menschen? Kerlin hält das für denkbar. „Funktionsfähige Körper anfertigen zu können, erscheint mir nicht abwegig. Nur mit der Intelligenz ist das so eine Sache.“