Portobelo. Wer von Panama in Richtung Süden will, kommt auf dem Landweg nicht weiter. Es gibt keine Straße. Die Alternative zum Flug ist das Boot.

Da reist man bis nach Panama, erreicht nach einer Nacht auf einem Segelboot morgens um sieben die Karibikinseln San Blas und fühlt sich dort, am anderen Ende der Welt, wie an einem Sonnabendnachmittag irgendwo in Deutschland. Der Nachbar nervt. „Ist das etwa ein Laubbläser?“, fragt Petra.

Die 62-jährige Frau des Kapitäns steht mit zusammengekniffenen Augen an Deck, um zu erkennen, was auf der Insel gegenüber los ist. Ein Mann läuft über den weißen Sand, die Palmen über ihm wiegen sich im Wind und er schwingt rhythmisch ein Gerät, das er sich um den Bauch geschnallt hat.

Soundtrack des Giftsprühers passt nicht zur Idylle

Von der Insel bis zu unserem Ankerpunkt sind es etwa 250 Meter, trotzdem dröhnt es mächtig. Ein Soundtrack, der nicht zu der Idylle passt, die uns umgibt. Es ist kein Laubbläser, es ist ein Giftsprühgerät gegen Moskitos, die in diesen Breitengraden Malaria und Denguefieber übertragen.

Obwohl der Himmel heute, an einem der ersten Tage der Regenzeit, voller grauer Wolken ist, schimmert das Meer türkis. Über die Reling ­gucken ist, wie im Sachbuch der ­Farbenlehre zu blättern. Von sattem Blaugrün über tiefes Azur bis zu ­zartem Babyblau.

Die romantische Variante ist das Segelboot

Für Reisende von Mittel- nach Südame­rika ist in Panama Schluss mit dem Landweg. Das Grenzgebiet zwischen Panama und Kolumbien war über lange Jahre von den Kämpfen der Farc geprägt. „Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia“ bedeutet „Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens“. Die Gruppe kämpfte gegen die kolumbianische Armee. Einen Grenzübergang gibt es nicht, die Panamericana, die Alaska mit Feuerland verbindet, ist noch unterbrochen.

Es bleiben zwei Möglichkeiten: weiter mit dem Flieger oder dem Schiff. Wir entscheiden uns für die romantische Variante, das ­Segel­boot. Wir, das sind Sally Meukow und Julien Wilkens, Journalisten aus Hamburg, zu der Zeit auf Welt­reise.

James aus Irland, ein Passagier der „Mintaka“.
James aus Irland, ein Passagier der „Mintaka“. © Sally Meukow | Sally Meukow

Von Portobelo, einem heruntergekommenen Städtchen im Norden Panamas, geht es in fünf Tagen nach Cartagena, dem kolonialen Stadt­juwel Kolumbiens. Rund 515 Euro kostet die Fahrt, Essen und alles Admini­strative sind inklusive. Wir segeln auf der „Mintaka“, dem 14 Meter langen Aluboot von Petra und Manfred aus Mannheim.

Touristen lassen sich „preußisch übers Meer“ schippern

Das Paar lebt seit 27 Jahren auf See, seit viereinhalb Jahren fahren sie Touristen von Panama nach Kolumbien und zurück. „Wir sind das beliebteste Boot“, sagt der 65-jährige Kapitän. Das liegt zum einen an den Kochkünsten seiner Frau Petra. Die 62-Jährige war zuvor die Köchin im gemeinsamen Restaurant. Zum anderen verlassen sich die ­Reisenden auf, so Manfred, die deutschen ­Tugenden: „Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ordnung.“

Die meisten haben Horrorstorys im Internet über andere Kapitäne gelesen: fünf Schwimmwesten für zehn Mann, betrunken, Motorschaden auf hoher See, bei Un­wetter rausgespült oder mit geschmuggeltem Kokain im Rumpf. Dann lieber preußisch übers Meer schippern und ankommen.

Nach drei Tagen Inselparadies geht es auf die offene See

Als wir nach der Nacht an den San-Blas-Inseln ankommen, liegt da ein Schiff im Wasser, verlassen und unbeweglich. Vor über einem Jahr hat der Kapitän es auf ein Riff auf­laufen lassen – ein stilles Mahnmal für unsere gute Wahl der deutschen Tugenden. Ein ­gutes ­Gefühl, denn nach drei Tagen Paradiesinseln steht uns die zweitä­gige Fahrt übers offene Meer bis nach Kolumbien bevor.

Es passen zehn Menschen auf die „Mintaka“: acht Touristen, der Kapitän, seine Frau. Wir schlafen unter Deck, rollen in den Kojen hin und her. Es soll nicht nur Überfahrt sein, Manfred und Petra verbinden die Fahrt mit einem Crashkurs über die Kultur der Kuna, der Einheimischen, und haben auf jeder Insel Zeit für Schnorcheln eingeplant.

Bunte Fische direkt unter der Wasseroberfläche

Direkt unter der Wasseroberfläche schwimmen unzählige Fische – in Knallgelb, Rot und Orange. Beim Schnorcheln ist nur das eigene ­Atmen zu hören, mit allen Sinnen in die andere Welt abzutauchen, hat ­etwas Beruhigendes. Das Riff liegt ­direkt vor der Insel. Tintenfische schweben vorbei, glitzernde Regenbogenfische knabbern an Korallen und an der Riffkante dreht ein Stachelrochen seine Runden.

Als wir zurück zum Schiff paddeln und im kristallklaren Wasser über den weißen Sand ­nahe der Insel schwimmen, sind da Hunderte Sardinen. Eine glitzernde Wand. Man begreift plötzlich Schwarmintelligenz, wenn man sieht, wie sich diese vielen Fische in perfekten parallelen Bewegungen umdrehen und davonschwimmen.

Blick bis auf den 14 Meter tiefen Meeresgrund

An Bord sitzt Manfred an seinem Ruder, unter ihm 14 Meter so klares Wasser, dass man die Seesterne am Boden sieht. „Es ist schon anstrengend“, sagt er, „immer Rei­sende dabeizuhaben, immer im Wechsel zu schlafen und zu wachen.“ Und in den paar Tagen an Land das ganze Administrative. „Das Bankkonto in ­Panama zu eröffnen, hat neun Monate und 200 Seiten Papierkram gebraucht“, sagt er. Und zum Administrativen gehört auch: schmieren. 50 Dollar hier, 50 dort, damit das Boot unter deutscher Flagge in den Hafen kann.

„Immer wieder gibt es neue Regeln“, sagt er. „Es ist unmöglich, sie alle zu befolgen.“ Doch Manfred und Petra kommen gut klar. Pro Person und Fahrt erhalten sie mehr als 500 Euro, mit uns an Bord sind sechs weitere Touristen im Alter zwischen 20 und Mitte 30, aus den USA, Großbritannien, Irland, Holland und Neuseeland. Ruft Petra zum Essen, wird das Steuerrad abgeschraubt, der Kompass verdeckt und der Tisch ausgeklappt.

Einheimische bringen frisch gefangenen Hummer

Sie zaubert uns aus der Bord­küche wahre Geschmacksexplosionen in den Mund. Coq au vin, Avo­cado, frisch geschnitten mit einer ­Limonenreduktion, Schweinemedail­lons an Weißweinrahm. Und plötzlich, auf See, die Frage, die das Herz eines jeden Gourmets höherschlagen lässt: „Wie wollt ihr euer Steak?“ Ein Sterne-Essen, zubereitet in einer zwei Quadratmeter großen Küche, in der der Herd kardanisch aufgehängt ist, damit die Töpfe auch bei Schräglage gerade bleiben.

Nach zwei Tagen werfen wir vor einer palmenbewaldeten, weißsan­digen Insel Anker. Einheimische kommen in einem Einbaum angeschippert. Sie haben Hummer dabei, frisch gefangen und putzmunter. 2,5 Kilo wechseln für zwölf Dollar den Besitzer. Gerade eben haben wir beim Schnorcheln noch eine der ­edlen Großkrebse zwischen den Korallen krabbeln sehen, und kurze Zeit später liegt so ein Tier vor einem auf dem Teller an Bord.

Treffen mit dem Kuna-Häuptling

Ein Höhepunkt der Reise und gleichzeitig der letzte Landgang vor der 40-stündigen Überfahrt von den San-Blas-Inseln über interna­tionales Gewässer bis nach Kolumbien: das Treffen mit einem Kuna-Häuptling auf ­seiner Insel. Das Volk der Kuna ist von seiner Körpergröße her das zweitkleinste nach den Pygmäen in Afrika. Die Einheimischen bevölkern etwa 40 der 400 San-Blas-Inseln, rund 40.000 Menschen gehören dem teilautonomen Volk an.

Zu Besuch bei den Kuna.
Zu Besuch bei den Kuna. © Sally Meukow | Sally Meukow

Sie leben auf den Inseln hauptsächlich vom Verkauf von Molas, das sind typische Kleider, die die ­Frauen herstellen. Weil sie seit jeher den Lebensunterhalt bestreiten, herrscht in den Familien der ­Kuna auch das Matriarchat: Alles Eigentum geht von Mutter zu Tochter über, nicht an den Sohn. Der eingeheira­tete Mann muss bei den Schwiegereltern einziehen.

Kuna glauben an Riesenkraken als Schöpfer der Welt

Wir sind bei dem Ältesten der malerischen Insel, Julio (77), zu Besuch – dort läuft es etwas anders. Seine siebte Frau Laura (56) und er verkaufen Kokosnüsse an Touristenboote. Neben der Fischerei, dem Handel mit den traditionellen Molas und der bescheidenen Landwirtschaft ist der Tourismus eine neue Einnahmequelle für die Einheimischen, die eine eigene Flagge haben: ein gespiegeltes Hakenkreuz auf gelbem und rotem Grund. Das Zeichen hat mit der Swastika nichts zu tun, sondern symbolisiert einen riesigen Kraken, der dem Kuna-Glauben nach einst die Welt erschuf.

Kapitän Manfred hat fünf Kilo Mehl und Kekse dabei, ein kleiner Freundschaftsdienst dafür, dass die Touristen auf die Insel dürfen. „Fragt mal, wie Arbeit auf Kuna heißt“, sagt er. „Como se dice trabajar?“, fragen wir. „Arbeit“, sagt Julio. Auf Deutsch.

Drei Meter hohe Wellen und starker Seegang

„Diese Unterscheidung von Arbeit und Nichtarbeit hat ihnen ein deutscher Missionar beigebracht“, mutmaßt der Kapitän. Davor habe man einfach gelebt und sich selbst versorgt mit allem, was die Natur auf der Insel hergab. Da kommt also ­irgendwann ein Deutscher auf die Inseln mit den Kokosnüssen und weißen Stränden, und was bringt er mit? Arbeit.

An Tag drei hört der Spaß für uns Landratten dann auf. Der Wind bläst seitlich in die Segel, das Schiff neigt sich seitlich, über 20 Grad, das reicht, um sich durchgängig mit zwei Händen festhalten zu müssen. Der Wind wird noch stärker, die Wellen sind bis zu drei Meter hoch, manche krachen über den Bug.

Nach 40 Stunden: „Land in Sicht!“

„Ententeich“, ist der Kommentar des Kapitäns. Die Erfahrung eines alten Seebären. Zwei Nächte und einen Tag schaukeln wir über die offene See, ab und zu flattert ein fliegender Fisch vor uns über die Wellen, einmal sehen wir ein Containerschiff am Ho­rizont, sonst ist da nur Meer, so weit das Auge reicht.

Ein ganzer Tag, den man in einem meditativ-schummrigen Zustand verbringen kann, der Blick auf den Horizont gerichtet, in Gedanken versunken. Nach 40 Stunden dann endlich: „Land in Sicht!“ – Kolumbien, Cartagena, diese wundervolle befestigte Stadt mit ihrem spanischen Flair, den in Pastelltönen gestrichenen Fassaden und unglaublich freundlichen Menschen, die uns begrüßen und lächeln. Vielleicht auch, weil wir schwanken und sich alles dreht. Wir sind landkrank.

Tipps & Informationen

• Segeltour: Von Portobelo in Panama über die San-Blas-Inseln (drei Tage Aufenthalt) bis Cartagena in Kolumbien in insgesamt fünfeinhalb Tagen. Auf der „Mintaka“ kostet die Tour 550 Dollar pro Person.

Informationen über die Regeln an Bord und genauer Tourplan:
https:// sailcolombiapanama.com/boats/mintaka/ oder Tel. 0057/301/792 47 67.

• Hotelbeispiele in Portobelo: Das Casa Congo liegt direkt an der Bucht, Apartment
ab 102 Euro, info.casacongo@gmail. com; in Cartagena: Hotel Caribe, ebenfalls mit Blick aufs Wasser, Carrera 1.