Braunschweig. Die App „Movingo“ hilft beim Kampf gegen ungeliebte Verhaltensweisen: ein Selbstversuch.

Ich bin ehrlich: Ich liebe es, Fleisch zu essen. Nicht weil es sich männlich anhört, Fleischfresser zu sein, oder wegen eines anderen testosterongetränkten Geschwafels. Nein, es schmeckt mir einfach! Allerdings hat sich mein Konsum in den vergangenen Jahren erheblich reduziert. Das liegt vor allem an bekannten Dokumentationen zur Massentierhaltung, die dem sonst so herrlich mundenden Fleisch einen fauligen Beigeschmack verpasst haben. Doch der dauerhafte Verzicht fällt trotzdem gar nicht so leicht. Deshalb versuche ich es nun mit digitaler Unterstützung: Die neue App aus Braunschweig „Movingo“ verspricht Hilfe.

Die Anwendung für Smartphones – sie befindet sich aktuell noch in der Testphase – unterstützt User bei der Veränderung von Lebensweisen. Nicht nur bezogen auf Ernährung, sondern in vielen Aspekten des Alltags. Dafür stehen den Nutzern verschiedene Herausforderungen, sogenannte „Challenges“, zur Verfügung, die jeweils 30 Tage dauern. Dabei ist es egal, ob man gerade mit dem Rauchen aufhören, weniger Kaffee trinken, mehr Sport treiben oder zeitiger aufstehen möchte. Für jeden Wunsch gibt es eine Lösung und wenn nicht, dann lässt sich in der App eine neue Challenge erstellen.

Der digitale Arschtritt

Der Clou an der Sache: Freunde können die Entwicklung auf ihrem Handy live verfolgen und bei Schwächephasen unterstützen. „Oftmals ist bei der Veränderung von Lebensweisen nicht das Anfangen problematisch, sondern das Durchhalten“, sagt Benjamin Rolof, Operativer Leiter bei „Movingo“. Dabei soll nun die App helfen – besser gesagt: die eigenen Freunde. „Eine App alleine kann es nicht schaffen, die menschlichen Gewohnheiten nachhaltig zu verändern. Es braucht das soziale Umfeld, um das zu erreichen“, sagt Rolof.

Und das funktioniert so: Ich habe entschieden, einen Monat lang drei Tage die Woche auf Fleisch zu verzichten (man soll es ja nicht gleich übertreiben). Anschließend lade ich Freunde per Mail oder direkt aus meinen Handy-Kontakten ein, mich bei diesem Vorhaben zu unterstützen. Nun können diese Supporter meine Fortschritte beobachten, mich überwachen und mir motivierende Push-Nachrichten in Text- oder Videoform schicken, wenn ich mich gerade in Schnitzel-Nähe befinde oder einfach durchhängen sollte – ein digitaler Arschtritt sozusagen. Für Andre Tatjes, Sozialforscher an der Technischen Universität Braunschweig, ist die Motivation über das soziale Umfeld durchaus ambivalent zu bewerten: „Zwar kann positives Feedback und Unterstützung seitens der Community die intrinsische Motivation stärken. Allerdings kann mangelndes Feedback, sprich fehlende Interaktion der eingeladenen Freunde, die individuelle Motivation auch schwächen.“ Soll heißen: Wenn deine Freunde dich hängen lassen, lässt auch du dich hängen.

Die Porree-Polizei

Glücklicherweise kann ich mir bei meinem Selbstversuch der Unterstützung durch Freunde gewiss sein. Und die hilft mir vor allem im Alltag, wenn ich bei der Arbeit bin und andere Sachen im Kopf habe. Der Konsum von Fleisch ist für mich absolute Routine, so dass ich bei der Auswahl des Mittagessens gar nicht mehr groß darüber nachdenke, sondern einfach bestelle. Meine Unterstützer wissen um diese Schwäche und erinnern mich täglich daran, die Wursttheke links liegen zu lassen. Und die App hilft meiner eingeschränkten Vorstellungskraft, vegetarische Speisen zu kreieren.

An jedem fleischlosen Tag bekomme ich Push-Nachrichten mit Vorschlägen für vegetarische Gerichte auf mein Handy und werde gefragt, ob ich mich denn auch vegetarisch ernährt hätte. Verhörmethoden fast wie bei der Stasi – die Porree-Polizei quasi. Nun kann jeder Unterstützer auf meinem Movingo-Profil nachverfolgen, ob ich auch wirklich Salat statt Salami gegessen habe.

Viele von diesen Gerichten habe ich probiert – andere haben mich schon beim Durchlesen abgeschreckt: Tofuauflauf mit Fenchel und Seitan? Hau ab! Die Auberginen-Pfanne mit Paprika, roten Zwiebeln, passierten Tomaten und Knoblauch? Immer wieder her damit! So soll es ja auch sein: Alles kann, nichts muss. „Dem Nutzer muss das Ganze Spaß machen. Mit Zwang erreicht man nur negative Gefühle und dann wird es mit dem Durchhalten schwer. Der Prozess muss spielerisch sein“, erklärt Rolof. Zum Konzept gehört auch, dass Nutzer mit Blog-Artikeln versorgt werden. So kooperiert die App mit Bloggern und Experten aus den Gebieten Sport sowie Ernährung .

Du musst es wollen!

Es können Tausende Features und Experten sein, die dir helfen sollen, deine Ziele zu erreichen. Aber: Wenn der innere Drang nicht vorhanden ist, wenn du es nicht wirklich willst, dann sind die Erfolgsaussichten trotz allem eher bescheiden. „Entscheidend ist der Wille, die Motivation, etwas verändern zu wollen. Dabei sind Faktoren intrinsischer Motivation, wie ein ausgeprägtes Interesse, Spaß und ein wahrgenommener Sinn, in der eigenen Handlung zentral“, stimmt Tatjes zu. Ich wollte weniger Fleisch essen und habe das geschafft. Ob ich das ohne die App geschafft hätte, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Eines kann ich aber sagen: Es war cool, diese Erfahrung mit meinen Freunden zu teilen. Dazu braucht man allerdings Unterstützer, die ihren „Job“ und die Absichten ihres veränderungswilligen Freundes ernst nehmen.

Tatsächlich fühle ich mich körperlich nicht wirklich verändert, aber es fühlt sich schon gut an, sich bewusster zu ernähren und zumindest zu versuchen, etwas Nachhaltiges für unsere Umwelt zu tun. Ich achte weiter auf meine Ernährung, sogar noch stärker als zuvor. Dabei hat mir Movingo geholfen. Da sich die App aber noch in der Testphase befindet, verwende ich sie nun auch nicht mehr. Und ganz ehrlich: Die drei fleischlosen Tage pro Woche ziehe ich auch nicht mehr mit dieser Konsequenz durch.