Santiago de Compostela. Die Provinz Galicien bietet spektakuläre Küsten und wildes Bergland. Am Ende des Jakobswegs eröffnet sich ein reiches kulturelles Erbe.

Sonnige Strände, trockene Hitze, ausgedörrte Landschaften – so kennen Spanientouristen ihr Urlaubsland. Wer nach Galicien reist, erkennt schon beim Landeanflug zum Flughafen Santiago de Compostela, dass hier Spanien ein ganz anderes Gesicht zeigt. Die sanfte Berglandschaft ist in eine Farbpalette aus kräftigen Grüntönen getaucht. Zahlreiche Niederschläge, die vom nahen Atlantik herangeweht werden, gepaart mit einem milden, frostfreien Winter lassen eine üppige Vegetation gedeihen. Zusammen mit zahlreichen historischen Gebäuden, oft kirchlich geprägt, und einer abwechslungsreichen Küstenlandschaft macht sie den Charme der vom internationalen Tourismus noch weit­gehend unentdeckten Region aus.

Das administrative und kulturelle Zentrum der Provinz ist Santiago de Compostela. Die knapp 100.000 Einwohner zählende Stadt ist eng mit dem Jakobsweg verknüpft. Eine Viertelmillion Pilger macht sich aus allen Richtungen Europas jedes Jahr auf, um am Ende ihres Weges in der imposanten Kathe­drale von Santiago den spirituellen Höhepunkt ihrer Reise zu erleben. Hier „ruhen“ die Gebeine des Apostels Jakobus, angebetet nicht nur von den Pilgern, sondern auch von den gut zwei Millionen weiteren Touristen, die die galicische Hauptstadt jährlich besuchen.

Typisch sind auf Pfählen errichtete Getreidespeicher

Die weitgehend autofreie Altstadt mit ihren schmalen Gassen, den Arkadengängen, zahlreichen Kirchen und Klöstern und der alles überstrahlenden romanischen Kathedrale aus dem 11. und 12. Jahrhundert hat die Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Die Ursprünge der Stadt gehen auf die wundersame Entdeckung der Überreste des Jakobus im 9. Jahrhundert zurück. Er soll an der Küste – am Kap Finisterre, rund 80 Kilometer westlich von Santiago – angelandet sein.

„Nach Jerusalem und Rom ist Santiago de Compostela der drittwichtigste Ort der Christen“, sagt Stadtführerin Rosa Maria Pereira nicht ohne Stolz. Die meisten Pilger kommen aus Deutschland, gefolgt von Italienern, ergänzt ein Kollege. Nicht nur die zahlreichen, meist jungen Pilger prägen die historische Stadt, auch die rund 30.000 Studenten der 1495 gegründeten Universität von Santiago tragen dazu bei.

Regenschauer lassen sich durch Besuche von Kirchen, Klöstern und Museen, in den Markthallen oder in der ­futuristischen, überdimensionierten „Cidade da Cultura“ (galicisch: Kulturstadt) abwettern. Freunde des gepflegten Grüns sollten es auf keinen Fall versäumen, durch die Gärten eines oder mehrerer Pazos zu flanieren. Pazos heißen die Landsitze, die sich der niedere Adel ab dem 15. Jahrhundert errichtet hatte. Sie sind zusammen mit den „hórreos“ – traditionelle, auf Pfählen errichtete Getreidespeicher – charakteristisch für Galicien. Keine Viertelstunde Autofahrt von Santiago entfernt liegt der Pazo de Santa Cruz de Ribadulla. „Man sagt, Galicien habe 300 verschiedene Grüntöne“, sagt Stadtführerin Rosa auf dem Weg zum Herrensitz – vielleicht hat sie übertrieben, aber einige Dutzend mögen es wohl sein.

Hier blühen Kamelien, Azaleen, Magnolien und Rhododendren

Gegen vier Euro Eintritt wandeln die Besucher durch eine fast 500 Jahre alte Allee aus Olivenbäumen, an Weinreben vorbei und durch eine Blütenpracht aus Kamelien, Azaleen, Magnolien und Rhododendren. Die asiatischen Gewächse gedeihen gut im milden Klima, so prächtig, dass die Kamelie zu Galiciens Paradepflanze geworden ist und in allen Städten Plätze, Straßen und Parks schmückt. Manchmal führt der Marquis von Santa Cruz de Ribadulla persönlich durch sein Paradies, erzählt von seiner Kamelienzucht, den mehreren Hundert Sorten, die auf seinem Landsitz wachsen, und den 30.000 Pflanzen, die sein Betrieb jährlich verkauft.

Der Pazo bildet mit zehn anderen und einigen Parks die Route der Kamelien. Gartenfans sollten sie auch außerhalb der Kameliensaison befahren, denn die Gärten der Herrenhäuser haben noch weit mehr zu bieten. An Schönheit wohl kaum zu überbieten ist der Garten des Pazo de Rubiáns nahe der Stadt Pontevedra. Hier wachsen mehrere nationale Naturdenkmäler, darunter ein uralter Eukalyptusbaum, der mit seinem Stammumfang von 14 Metern den spanischen Rekord hält.

800 Kameliensorten und eine Vielzahl weiterer Blütenpflanzen, majestätische Laubbäume inklusive Eichenhain und ein Aussichtspunkt mit Blick zur Küste buhlen um die Aufmerksamkeit der Besucher. Weinreben erstrecken sich über das wellenförmige Gelände, am Boden blühen Wildblumen – eine Landschaft zum Niederknien. Hier wächst Albarina, eine galicische Spezialität. Ist die weiße Traubensorte zu Wein verarbeitet, heißt dieser Albariño und kommt mal fruchtig-leicht, mal gehaltvoll daher.

In der Bodega des Landsitzes lässt sich der hauseigene Wein verkosten.Ria de Arousa ist für Muschelaufzucht bekannt

Die zerklüftete Küstenlinie ist durch Förden, den sogenannten Rias, gekennzeichnet. Es sind Flussmündungen, in denen sich das Meer weit ins Land ­hineinzieht. Das vorherrschende Brackwasser ist ideal für die Muschelproduktion. Besonders der größte Ria des süd­lichen Küstenabschnitts, der Ria de Arousa, ist für seine Muschelaufzucht bekannt.

Ausflugsboote fahren Touristen zu dieser speziellen Aquakultur. Ein Besatzungsmitglied steigt dann auf eine der Schwimminseln und zieht eine Leine hoch, damit die Gäste sehen können, wie die Schalentiere untergebracht sind. Die Boote starten zum Beispiel im Fischerort O Grove oder von Cambados. Der Küstenort erinnert an ein Freilichtmuseum und gilt als Hauptstadt des Alba­riños. Was 1953 mit einem privaten Wettbewerb um den besten Wein begann, ist heute ein großes Fest, das alljährlich Tausende Besucher in die Stadt zieht. Sie können beim „Albariño Wine Festival“ mehrere Tage lang die Produkte der Wein­güter der Region probieren, in diesem Jahr vom 2. bis zum 6. August.

Santiago hat mehr zu bieten als die Kathedrale

Im Sommer hat die galicische Küste von La Coruña im Norden bis Vigo im Süden Hochsaison. Sie bietet lange, weiße Strände, windige Ecken zum Surfen und ruhige Buchten für den Familienurlaub. Spanier aus Madrid und anderen küstenfernen Städten genießen dann das vergleichsweise angenehme Klima mit Temperaturen, die selten 30 Grad erreichen. Aber der Atlantik bringt es mit sich, dass es in Galicien selbst im Sommer keine Sonnengarantie gibt, wenn auch der meiste Regen in den Wintermonaten fällt. Die spanischen Urlauber nutzen Schlechtwettertage für Ausflüge etwa in die Altstädte von Pontevedra und La Coruña. Vor allem aber geht’s dann nach Santiago de Compostela. ­

Rosa Maria Pereira und ihre Kollegen vom Touristenbüro der Stadt mögen solche Kurzzeitvisiten nicht sonderlich. „Die Leute besuchen die Kathedrale, machen einen Rundgang durch die Altstadt und verschwinden wieder. Dabei hat Santiago so viel mehr zu bieten.“

Wer ein bisschen Zeit mitbringt, kann das Pilgermuseum besuchen, Klöster anschauen, Stadtpaläste bewundern oder auf dem Dach der Kathedrale herumspazieren und sich das Weltkulturerbe von oben ansehen. Oder sie kehren einfach in die zahlreichen Cafés, Bodegas und Restaurants ein.

Tipps & Informationen

Anreise Die schnellste Flugverbindung führt mit Lufthansa über Frankfurt (Reisezeiten zwischen 4,5 und 5,5 Stunden). Alternativ fliegt die Lufthansa über München und Iberia über Barcelona oder Madrid, mit etwas längeren Reisezeiten.

Unterkunft Santiago de Compostela: 4-Sterne-Hotel San Francisco HM, DZ/F ab 170 Euro, www. sanfranciscohm.com;
Pazo a Capitana, Weingut mit prachtvollem Garten, DZ/F ab 80 Euro, www.pazoacapitana.com

Pauschal Organisierte Rundreisen bieten unter anderen Dertour und Studiosus an

Infos www.turismo.gal

(Die Reise wurde unterstützt vom Spanischen Fremdenverkehrsamt)