Tordesilla. Auf den Weinrouten Rueda, Cigales und Ribera del Duero nördlich von Madrid setzt man verstärkt auf Tourismus. Es ist erst der Anfang.

Die Treppe in die Unterwelt von Tordesillas ist schmal und gewunden. Helena Muelas geht vorweg. Im Gewölbekeller lagert Wein. Tempranillo, Verdejo, zigtausend Flaschen. „Mein Ururgroßvater hat diese Bodega 1886 gegründet“, sagt die 31-Jährige. Fast beiläufig fügt sie hinzu: „Hier wurde schon im Jahr 1499 Wein hergestellt.“ Ihre Finger zeichnen auf dem Glas einer Flasche Spuren im Staub, der hauchdünn über allem liegt. Wie Patina der Geschichte.

Und Geschichte wurde hier geschrieben. Die Einheimischen erzählen gern von der Zeit, da Tordesillas am Ufer des Duero, heute ein 9000-Einwohner-Städtchen anderthalb Autostunden nordwestlich von Madrid, im Mittelpunkt stand. Wie etwa 1494 Spanien und Portugal in Tordesillas die Neue Welt untereinander aufteilten, zumindest auf dem Papier.

Und dass 1504 gut 20 Kilometer südlich in Medina del Campo mit seiner trutzigen Backsteinburg Kastiliens legendäre Regentin Isabella, die Katholische, starb. Durch ihre Ehe mit König Ferdinand II. von Aragón hatte sie die Grundlage für ein gesamtspanisches Königreich gelegt. Die Region im Herzen von Kastilien und León sei „die Wiege Spaniens“.

Weinverkostung in der Bodega

Wer die schmale, gewundene Treppe in Helena Muelas’ Haus hinabsteigt, taucht insofern längst nicht nur tief in die Vergangenheit ihrer Familie ein. Die Menschen hier haben die Welt und ihre Heimat immer wieder neu erfunden. Jetzt sind sie einmal mehr dabei. Diesmal geht es um Tourismus – und immer noch um Wein. Die Region ist auch die Wiege des „Rueda“; das gleichnamige Städtchen liegt wenige Autominuten von Tordesillas entfernt.

Aus der Unterwelt zurückgekehrt, steht Helena Muelas hinterm Tresen im kleinen Laden in der Fußgängerzone, dessen Einrichtung ganz ähnlich schon zu Ururgroßvaters Zeiten ausgesehen haben muss, und schenkt aus; eine Verkostung gehört zum Besuch in einer Bodega dazu. Besucher erfahren nun, dass der heutige Rueda-Wein auch zu den neueren Erfindungen in der Gegend zählt: Er wird erst seit den frühen 80ern hergestellt, seit Winzer die Verdejo-Traube anbauen. „Zuvor hat Wein von hier international keine Rolle gespielt“, sagt Muelas.

In Weinschaum baden

Heute ist er weit über die Grenzen Spaniens hinweg bekannt. „Deutschland ist der Hauptmarkt für unsere Weine“, sagt Ángeles Jiménez, Direktorin der Rueda-Weinroute, eine Marketingexpertin und Markenbotschafterin.

Sie kennt jedes der mehr als 50 Weingüter, die sich auf einem Gebiet vom gut Vierfachen der Fläche Hamburgs verteilen. Sie weiß, wo Gäste Wein probieren, Wein trinken, Wein kaufen, ja sogar in Weinschaum baden und sich mit Weinöl massieren lassen können. Denn auch Restaurants und Landhotels sind Mitglied der „Rueda Ruta del Vino“, zusammen 104 Betriebe; auf einem Faltplan sind sie alle eingezeichnet.

Wein, Tapas, Wellness und eine Prise Geschichte

Enotourismus nennt sich das Rezept. Wein, Tapas, Wellness und eben eine Prise Geschichte sind die Zutaten, nicht nur im Rueda-Gebiet. Nordöstlich schließt sich die Weinroute Cigales an. Die Landstraßen über die Hochebene 700 Meter über dem Meeresspiegel sind schmal und wenig befahren. In allen Schattierungen von Beige erstrecken sich Getreidefelder bis zum Horizont. Ansonsten kennt die Farbenlehre vor allem drei Töne: Weiß, Rot und Rosé.

Aus dem Cigales-Gebiet kommt der Rosé. In Mucientes hat Miguel Angel Redondo in der Gasse vor seinem Natursteinhaus einen mobilen Entrapper aufgebaut. Das Gerät löst Weinbeeren von den Traubenstilen und presst sie. Die sogenannte Maische, der Fruchtbrei, fließt durch einen Schlauch direkt in den Keller unter Redondos Haus. Eigenproduktion.

„Das machen hier viele“, sagt Gloria Martín, die Führungen durch das unter dem Nachbarhaus gelegene Weinmuseum anbietet. Auch Mucientes hat eine Unterwelt. „Im Dorf leben 700 Menschen, und es gibt etwa 200 Bodegas“, sagt Martín – wobei Bodega erst mal nur „Keller“ bedeutet.

Getreide, Fleisch, Wein – die drei Grundnahrungsmittel

Es ist eine Gegend, über die es heißt, Getreide, Fleisch und Wein seien die drei Grundnahrungsmittel. Oder dass die Männer während der Ernte sechs Liter Wein am Tag getrunken hätten. Damals, als Weinherstellung noch so funktionierte, wie es im Museumskeller von Mucientes zu sehen ist: mit einer Kelterbaum-Presse, deren Bedienung starken Händen viel Kraft abverlangte.

Heute erledigen Maschinen derlei Arbeit. Moderne Weinkellereien wie das Gut Sinforiano, das sich etwas außerhalb des Dorfes an einen Weinhügel schmiegt, sind kleine Fabriken mit haushohen Stahltanks, mit Apparaten, die brummen, und Elektrotechnik, die surrt. Es riecht nach Most.

Wertvolle Flaschen des Königshauses auf Lager

So eine Anlage schafft was weg. „Wir füllen 400.000 Flaschen Rosé pro Jahr ab“, sagt Exportchefin Ruth Sierra, während sie in einer Art Konferenzraum mit Panoramablick auf den Weinhügel „Sinfo“ ausschenkt, ihren Lieblingswein.

Wenn die Früchte an den Reben zu prallen Trauben gereift sind, dürfen Urlauber auch mal selbst zur Gartenschere greifen. Auf der für Rotwein bekannten Weinroute Ribera del Duero ein ganzes Stück weiter im Osten teilt Juan Fernandez Segovia auf dem Weingut Matarromera Werkzeug aus, außerdem weiße Rattankörbchen für die „Ernte“. Erlebnisbesichtigung nennt sich so etwas. Im Weinkeller des Hauses, erzählt Segovia später, habe sogar das spanische Königshaus einige besonders wertvolle Flaschen gelagert.

Einführung in Bienenzucht und Honigernte

Imker Gonzales Alvarez erzählt seinen Besuchern, wie die Bienenzucht funktioniert.
Imker Gonzales Alvarez erzählt seinen Besuchern, wie die Bienenzucht funktioniert. © HA | Alexander Sulanke

Die Sonne steht schon tief, als Gonzalo Alvarez seinen 30 Jahren ­alten Mitsubishi-Geländewagen die Schotterpiste hochtreibt, die zu seinen Bienen auf einem Hügel nahe Valoria la Buena führt. Mit dem Licht weicht auch die Wärme des Tages. Alvarez ist gemeinsam mit Partnern ins Imkerei­gewerbe eingestiegen. Nun erzählt er seinen Besuchern, wie Bienenzucht und Honigernte funktionieren. Wer ihn besucht, darf natürlich probieren. Es gibt Blüten-, Wald- und Lavendelhonig.

Valoria la Buena, noch so ein 700-Einwohner-Dorf, ist nicht nur die Heimat des Imkers, sondern auch die von Weingutinhaber Enrique Concejo, der auch gerade etwas Neues geschaffen hat: ein Hotel mit Feinschmecker­restaurant in einem Palast aus dem 17. Jahrhundert. Fünf Jahre hat der Umbau des Hauses gedauert, die 14 Gästezimmer sind großenteils mit Antiquitäten eingerichtet. In einem Festsaal finden 300 Gäste Platz.

Nur der Anfang von etwas Größerem

„Viele Menschen sind überrascht, ein Projekt dieser Größe in einer so kleinen Stadt zu finden“, sagt Concejo. Und er überrascht sie weiter. Bald schon soll in der Nähe des Ortes eine Gastronomie mit mehreren Hundert Plätzen entstehen, mitten im Wein. Keine Frage: Menschen wie Concejo sind überzeugt, dass der Tourismus, wie sie ihn jetzt wahrnehmen, erst der Anfang ist von etwas Größerem. Und dass die Geschichte dieser Region noch längst nicht ausgeschrieben ist.

Tipps & Informationen

Anreise von Hamburg und Berlin z. B. nonstop mit Ryanair, über Brüssel (Air Brussels) oder Frankfurt (Lufthansa) nach Madrid. Vor Ort empfiehlt sich ein Mietwagen.

Unterkunft z. B. Parador de Tordesillas, Ü ab 100 Euro, www.paradores.es, 0034/902 54 79 79. Posada Real Cocejo Hospedería in Valoria la Buena, Ü/F ab 80 Euro, concejohospederia.com, 0034/983 50 22 63.

Info www.rutadelvinoderueda.com, rutadelvinocigales.com
www.rutadelvinoriberadelduero.es/de

Spanien ist Partnerland der Messe Reisen Hamburg, 8. bis 12. Februar.

(Die Reise wurde unterstützt von Messe Hamburg und dem Spanischen Fremdenverkehrsamt.)