Berlin. Der Branchenführer will Chemikalien aus Textilien verbannen. Greenpeace hofft auf eine Signalwirkung.

Weiße Berghänge, reißende Flüsse – und inmitten dieser Naturschauspiele Menschen, die dem Ruf der Wildnis folgen. Bunt wie Bonbons leuchten ihre knalligen Outdoor-Outfits, während sie durch Wind und Wetter stapfen oder steile Pisten hinabsausen. Mit den Werbebildern setzen die Hersteller von Allwetterausrüstung auf die Naturverbundenheit ihrer Kunden. Doch die Herstellung der Kleidung hat es in sich: Seit Jahren wirft Greenpeace
den Unternehmen vor, schädliche Chemikalien in die Textilien zu mischen, damit sie wettertauglich werden.

Der Dauerprotest der Umweltschutzorganisation zeigt nun Wirkung: Am Montag verkündete das US-Unternehmen Gore, der größte Produzent wetterfester Textiltechnologien, künftig auf ökologisch bedenkliche Substanzen verzichten zu wollen. Vorrangig geht es um per- und polyfluorierte Carbone (PFC). Sie sorgen zwar dafür, dass Wasser und Schmutz von Textilien abperlen, gelten aber als gefährlich für Mensch und Umwelt.

Kompletter Ausstieg bis

zum Jahr 2023

Gore verpflichtete sich nun auf der Internationalen Sportmesse Ispo in München, die Schadstoffe bis 2020 aus einem Großteil seines Programms zu verbannen. Ende 2023 sollen gar alle Materialien PFC-frei sein. Gore stellt die Jacken und Hosen nicht selbst her, liefert aber die Stoffe und Membrane, die Marken wie North Face, Mammut und Adidas verwenden.

Auf Druck von Greenpeace haben sich bereits mehrere Outdoor-Marken einen Zeitrahmen gesetzt, in dem sie die bedenklichen Chemikalien eliminieren wollen. Bislang hat aber noch keiner der großen Hersteller die freiwillige Vereinbarung unterzeichnet. In der Erklärung des Branchenführers Gore sieht Greenpeace nun einen „Wendepunkt, der Signalwirkung auf die gesamte Branche haben könnte“. Eine Branche, die sich gerade in den vergangenen Jahren im regelrechten Wettrüsten der Funktionsversprechen überbietet. „Das ist ein gewaltiger Fortschritt im Wandel der Outdoor-Branche zu einer umweltfreundlichen Produktion“, erklärte Greenpeace-Chemieexperte Manfred Santen. „Durch diese Entscheidung des Marktführers wird es viel mehr Produkte geben, die keine giftigen Spuren mehr in der Umwelt hinterlassen.“

Gore hat sich für sein Versprechen allerdings Zeit gelassen. Seit 2011 engagiert sich Greenpeace mit der Kampagne „Detox“ zur Entgiftung der Textilindustrie. In Tests hat die Organisation mehrfach auch krebserregende und hormonell wirksame PFC in Textilien, Schuhen, Rucksäcken und Zelten nachgewiesen.

Einmal in die Umwelt gelangt, bauen sie sich kaum wieder ab. Studien zeigten, dass sich einige PFC in der Leber von arktischen Eisbären anlagern können. Auch im menschlichen Blut und der Muttermilch können sie nachgewiesen werden. Einige Stoffe stehen unter dem Verdacht, krebserregend zu sein, die Fortpflanzungsfähigkeit zu mindern und das Immunsystem zu schädigen. Proben von Eis und Schnee aus selbst entlegenen Gebieten hätten bestätigt, dass sich die Chemikalien bereits weltweit verbreitet haben. Zudem stellen die Chemikalien für die Menschen in den Produktionsländern wie China und Indonesien eine Gefahr dar, weil sie über das Abwasser in die Umwelt gelangen und die Nahrungsmittel verseuchen können. In großen Outdoor-Geschäften können sie die Raumluft signifikant verunreinigen.

Erst im vergangenen Jahr – pünktlich zur Ispo 2016 – hatte Greenpeace den Druck auf die Unternehmen der Outdoorbranche erhöht.

Die Organisation testete 40 Allwetterprodukte aus 19 Ländern auf die per- und polyfluorierte Chemikalie – und wurde in fast allen Produkten fündig. Elf Outdoor-Stücke enthielten sogar
Perfluoroktansäure, ein Stoff, der als potenziell krebserregend gilt. Hohe Konzentrationen wurden auch in Produkten von The North Face und Mammut gefunden. Künftig will Gore neue, umweltfreundlichere Verfahren entwickeln. Die Studie sei nicht der Ausschlag für die Kehrtwende, betonte Bernhard Kiehl, Leiter des sogenannten Nachhaltigkeitsprogramms von Gore. Der Dialog sei seither aber intensiver geworden. In den vergangenen Monaten habe man sich mit Greenpeace darauf verständigt, welche PFC ökologisch bedenklich seien. Noch ist eine Alternative für die Chemie nicht in Sicht. Mit Hochdruck arbeitet die Branche an der Entwicklung umweltfreundlicher Stoffe, die auch für Extremtouren und im hochalpinen Bereich geeignet sind. Bisher gibt es laut
Gore noch keine Alternativen, die genauso schützend und atmungsaktiv sind – und auch nach Sturmflut und Schneesturm schnell trocknen.

Selbst teure Hightech-Jacken bestehen nicht immer den Regentest, wie eine Untersuchung der Stiftung Warentest im vergangenen Jahr zeigte. Die meisten Jacken ließen ihre Träger buchstäblich im Regen stehen, bei einigen drang selbst im Neuzustand Wasser durch. Andere ließen Outdoor-Freunde spätestens nach der fünften Wäsche im Stich. Eine umweltfreundliche und wettertaugliche Alternative wäre Bienenwachs – doch wer will sich schon in einer klumpigen Hülle à la Barbourjacke den Bergkamm hinaufschleppen? Für den Waldspaziergang oder Lauf durch den Großstadtdschungel sollte man sich allerdings überlegen, ob
es Hightech-Funktionsklamotten brauche, heißt es von Greenpeace.