Berlin. Jedem vierten drückt die dunkle Jahreszeit auf die Stimmung. Einige entwickeln sogar eine richtige Depression. Das sind die Symptome.

Jeden Morgen ist es kühl, grau und nass. Das Aufstehen fällt schwerer. Es bleiben nur noch wenige Stunden Tageslicht – noch weniger, wenn in der Nacht von Samstag auf Sonntag die Uhr um eine Stunde zurückgestellt wird. Das schlägt vielen aufs Gemüt. Jeder vierte Bundesbürger leidet im Winter unter Beeinträchtigungen, fühlt sich traurig und antriebslos. Bei einigen wird das so ex­trem, dass sie ihr Leben nicht normal weiterführen können.

„Etwa ein bis drei Prozent der Menschen leiden unter einer Winterdepression“, sagt Dr. Iris Hauth, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Die Winterdepression wird auch saisonal-affektive Störung genannt, weil sie im Frühjahr, wenn es wieder heller und wärmer wird, von selbst weg geht.

Betroffene haben oft verstärkt Appetit auf Kohlenhydrate

„Betroffene sind in gedrückter Stimmung, leiden unter Antriebslosigkeit, Interesselosigkeit und teils auch Konzentrationsschwierigkeiten“, so Hauth. Damit habe die Winterdepression viele Ähnlichkeiten zu einer nicht von der Jahreszeit abhängigen Depression. „Aber es gibt auch einige wichtige Unterschiede“, sagt die Expertin. So würden Menschen, die unter Depressionen leiden, unregelmäßig schlafen. „Wer unter einer Winterdepression leidet, hat ein sehr starkes Schlafbedürfnis und schläft auch viel, ist aber nie richtig ausgeschlafen.“

Zudem würden Depressive oft unter Appetitlosigkeit leiden, während Patienten, die nur saisonal davon betroffen sind, verstärkt Appetit auf Kohlenhydrate hätten. Beides könnte etwas mit der Entwicklung des Menschen zu tun haben.

„Als die ersten Menschen noch im Wald lebten, haben sie sich im Winter womöglich auch zurückgezogen, viel geschlafen und sich Winterspeck zugelegt – ähnlich wie es heute noch bei einigen Tieren der Fall ist. Heute gibt es die Rückzugsmöglichkeiten nicht mehr, die Menschen müssen rund um die Uhr funktionieren“, sagt Hauth.

Wenig Tageslicht führt zum Stimmungstief

Spricht man vom Winterblues, sind in der Regel weniger stark ausgeprägte Symptome als bei einer Depression gemeint. Betroffene sind nicht so gut gelaunt und auch teils antriebslos, können sich aber immer wieder auch aufraffen. Die Zeitumstellung kann diesen Effekt noch verstärken.

„Grundsätzlich ist die Umstellung im Winter etwas angenehmer als im Frühjahr, weil wir eine Stunde geschenkt bekommen“, sagt Dr. Hans-Günter Weeß vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, „aber trotzdem kann ein Mini-Jetlag entstehen“. Dass die Menschen darüber hinaus nach der Umstellung im Winter noch weniger Tageslicht abbekommen, ist eine wesentliche Ursache für das gesellschaftliche Stimmungstief.

„Es kommt zu einer Störung des Tagesrhythmus indem der Stoffwechsel zweier Botenstoffe im Gehirn beeinflusst wird – Serotonin und Melatonin“, erläutert Hauth. Wenn Tageslicht auf die Netzhaut des Auges fällt, sendet es ein Signal ans Gehirn, dort wird vermehrt Serotonin gebildet, das stimmungsaufhellend wirkt. „Bei Dunkelheit oder wenig Tageslicht fehlt dieser Reiz und es entsteht vermehrt Melatonin, der Botenstoff erhöht das Schlafbedürfnis“, sagt Weeß.

Die gleichzeitig geringere Konzentration von Serotonin kann auf die Stimmung schlagen. Betroffene sollten dieses Tief nicht zur Dauersituation werden lassen, denn Patienten, die unter einer Winterdepression leiden, sind davon regelmäßig im Herbst betroffen und zum Teil stark beeinträchtigt.

Tageslichtlampe kann helfen

„Wer 14 Tage lang morgens Schwierigkeiten hat, aus dem Bett zu kommen und sich durch die Situation belastet fühlt, sollte einen Arzt aufsuchen. Das kann der Hausarzt sein oder auch ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie“, erklärt Psychologin Hauth. Auch „wenn Betroffene durch die ständige Müdigkeit so eingeschränkt sind, dass sie ihre täglichen Aufgaben nicht mehr erfüllen können, ist ärztliche Hilfe angeraten“, bestätigt Schlafforscher Weeß.

Der Arzt muss zunächst abklären, ob den Symptomen auch organische Ursachen zugrunde liegen könnten – etwa eine Schilddrüsenunterfunktion oder Vitamin-B12-Mangel. „Sind diese ausgeschlossen, gibt es mehrere Therapie-Möglichkeiten“, erklärt Hauth.

Sind regelmäßige Spaziergänge im Tageslicht nicht möglich, könnten Betroffene etwa eine Tageslichtlampe ausprobieren. Sie sollte mit mindestens 3000 Lux leuchten, am besten sind 10.000 Lux, empfehlen Experten. „Betroffene sollten versuchen, jeden Morgen eine halbe Stunde in das Licht zu schauen, das geht auch mit Unterbrechungen. In Skandinavien werden solche Lampen teils auch im Büro genutzt“, sagt Hauth. Das UV-Licht wird herausgefiltert, eine Gefahr für die Augen besteht so nach Ansicht der Experten nicht.

Wenn Tageslicht nicht reicht, können Antidepressiva helfen

Auch der Mangel an Vitamin D, das die menschliche Haut vor allem durch die Aufnahme von Sonnenlicht bildet, kann eine Ursache für einige der Symptome darstellen, erklärt Hans-Günter Weeß. „Konzen­trations- und Gedächtnisschwächen können etwa darauf zurückgehen“, erklärt der Experte. Er warnt jedoch: „Betroffene sollten nicht einfach frei verkäufliche Vitamin-D-Tabletten einnehmen. Ein Arzt muss vorher feststellen, ob tatsächlich ein Mangel vorliegt und kann dann geeignete Maßnahmen ergreifen.“

Helfen diese Schritte nicht, ist die nächste Option die Einnahme von sogenannten Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern. „Das sind Antidepressiva, die dafür sorgen, dass sich die Serotoninkonzentration im Gehirn erhöht. Es dauert allerdings eine Weile, bis die Wirkung der Medikamente eintritt – bis zu 14 Tage“, sagt Hauth. Sie könnten auch von einem Hausarzt verschrieben und im Frühjahr wieder abgesetzt werden. „Leiden die Patienten auch nach der Einnahme, kann zusätzlich eine Psychotherapie helfen“, sagt die Expertin.