Braunschweig. Auf Co-Parenting-Portalen treffen sich Menschen mit dem Wunsch nach Kindern – ganz ohne Liebesbeziehung.

null

Vater, Mutter, Kind – das ist immer noch das traditionelle Familienbild. Doch Familie kann auch anders aussehen. Und andere Probleme haben: Homosexuelle Paare haben bislang etwa nur wenige Möglichkeiten, sich einen Kinderwunsch zu erfüllen. Eine davon ist die Adoption. Eine andere eine Samenspende. Die Spender bleiben oft anonym, nehmen nicht weiter am Familienleben teil. Bis jetzt zumindest. Denn das Familienbild wandelt sich bei manchen Menschen. Und dadurch entsteht eine neue Vielfalt.

Was nämlich, wenn diese Anonymität bei den werdenden Eltern gar nicht erwünscht ist? Ein Beispiel: Ein lesbisches Paar hegt einen Kinderwunsch. Gleichzeitig soll der Vater aber noch Kontakt zum Kind haben. Die Frauen suchen also einen biologischen Vater, der für das Kind sowie die zwei Mütter greifbar ist. Co-Parenting heißt das Stichwort. Eine Co-Elternschaft also. Dabei gehen zwei oder mehrere Menschen mit Kinderwunsch eine Kooperation, eine Zusammenarbeit ein. Es geht um eine Familiengründung unter Freunden – ohne Liebesbeziehung.

„Dass mehrere Menschen sich das Sorgerecht teilen, ist leider nicht möglich. Da besteht rechtlich Nachholbedarf.“
„Dass mehrere Menschen sich das Sorgerecht teilen, ist leider nicht möglich. Da besteht rechtlich Nachholbedarf.“ © Christine Wagner, Mitbegründerin von familyship.org

Dafür gibt es mittlerweile Kennenlern-Portale – familyship.org ist eins davon. „Familyship ist eine Community-Website, auf der man sich registrieren kann, wenn ein Kinderwunsch besteht. Bei uns finden sich Menschen, die einen Kinderwunsch auf freundschaftlicher Basis umsetzen, also ein Kind außerhalb einer Partnerschaft bekommen wollen“, sagt Christine Wagner, eine der Gründerinnen der Internetseite. Wagner lebt selbst in einer lesbischen Beziehung. Der eigene Kinderwunsch war ausschlaggebend für die Gründung von familyship. Die Seite unterscheidet sich von klassischen Dating-Webseiten. Pflichtangaben gibt es beim Anlegen des Profils nicht. Angaben zum Aussehen oder Profilfotos sind eher nebensächlich. „Stattdessen können die Nutzer ein paar persönliche Zeilen zu sich schreiben“, sagt Wagner. Die Kosten für eine zeitlich unbegrenzte Mitgliedschaft betragen im „Familiengründer-Paket“ 17,90 Euro.

Eine Plattform für alternative Familiengründung also. Und alternativ sind auch die verschiedenen Rollen: Männer können sich als aktive Väter registrieren, also den Wunsch äußern, das Kind auch väterlich zu umsorgen. Passive Väter dagegen nehmen eine Art „Onkel-Rolle“ ein. Sie halten sich zurück, sind eher gelegentlicher Besuch als Erzieher. Passive Mütter sind unter den insgesamt rund 3500 Nutzern eher selten registriert. „Es sind alle möglichen Modelle denkbar“, sagt Wagner und fügt an: „Je nach dem, in welcher Lebenssituation man sich befindet. Häufig melden sich heterosexuelle Frauen, die in keiner Partnerschaft leben, deren biologische Uhr aber langsam tickt.“ Die würden sich dann beispielsweise ein schwules Paar suchen. Die Hälfte der Nutzer sei mittlerweile heterosexuell.

Wichtig ist: Nur Samenspender, die anschließend auch Kontakt zum Kind haben möchten, werden akzeptiert. Sogenannte „No-Samenspender“ sind auf dem Portal nicht gewünscht. Das sind Spender, die keinen Kontakt wollen. „No-Samenspender schließen wir aus, weil wir glauben, dass es ein wichtiger Pfeiler im Leben eines Kindes ist, seine Wurzeln zu kennen“, sagt Wagner.

Eine Frage bleibt aber bis hier hin ungeklärt. Wie ergeht es eigentlich dem Kind in einer Co-Parenting-Familie? Aus psychologischer Sicht könne eine Familienkonstellation dieser Art durchaus Risiken bergen. Besser gesagt: Sie könnte die Risiken erhöhen. „Im Grunde ist das Familienmodell egal. Aber die Risiken könnten verstärkt werden. Je mehr Personen daran beteiligt sind und je brüchiger das System ist, desto anfälliger ist das Kind, eine pathologische Auffälligkeit entwickeln zu können“, sagt Irene Pieper-Schönrock, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin.

Solche Auffälligkeiten könnten Persönlichkeitsstörungen oder Angststörungen und Depressionen sein. Diese Krankheitsbilder können Scheidungskinder in traditionellen Familien allerdings genauso entwickeln. „Bei einer möglichen Trennung in einer Familie mit drei Elternteilen gibt es aber einen Risikofaktor mehr. Das ist aber meine Sichtweise, also nur ein Ausschnitt der ganzen Thematik.“

Erfahrungsberichte bekommen die Betreiberinnen von familyship.org sehr selten. Kritik nehmen sie aber durchaus wahr. „Natürlich gibt es Leute, die sagen, ein Kind ist kein Carsharing-Objekt und das ist alles egoistisch. Aber konkrete Rückmeldungen von unseren Nutzern haben wir wenig. Wir bieten die Möglichkeit, sich kennenzulernen. Was danach passiert, davon bekommen wir nur sehr wenig mit“, verrät Christine Wagner. Ob es auch Streit gibt, ist bislang nicht klar.

Diese Entwicklung aber ist nie auszuschließen – auch wenn die Elternschaft auf einer Kooperation fußt, ohne Liebesbeziehung. Was also passiert, wenn sich die Co-Eltern doch trennen? Oder einem der Elternteile etwas zustößt? Bleiben wir bei unserem Beispiel: Zwei Frauen gehen mit einem Mann eine Co-Parenting-Beziehung ein. Der Mann ist aktiver Vater. Sofern er die Vaterschaft anerkennt, geht diese mit allen rechtlichen Pflichten einher. Die Frau, die das Kind ausgetragen hat, steht als leibliche Mutter in der Geburtsurkunde. Grundsätzlich hätte ihre Partnerin keinen Sorgerechtsanspruch für das Kind. Darüber ärgert sich Christine Wagner: „Dass mehrere Menschen sich das Sorgerecht teilen, ist leider nicht möglich. Da besteht rechtlich Nachholbedarf, weil es nun mal das Frauenpaar gibt, das sich gemeinsam mit einem Mann paritätisch um das Kind kümmert.“

Tatsächlich hätte in diesem Beispiel eine Person keinen rechtlichen Anspruch auf das Sorgerecht. „Das ist schwierig, denn das Gesetz kennt dieses Gefüge nicht. Das Gesetz kennt nur Mutter und Vater“, sagt Rechtsanwalt Jan Friedrichs. Demnach werden die Co-Eltern rechtlich wie unverheiratete oder getrennt lebende Eltern behandelt. Aber eben nur die biologischen Eltern. „Die andere Mutter in dieser Zusammensetzung hat keinen Anspruch“, so Friedrichs.

Über allem steht aber das Wohl des Kindes – auch in der Rechtsprechung. Ein Gericht könnte demnach zum Wohl des Kindes entscheiden, dass es, wenn etwa die leibliche Mutter stirbt, bei deren Partnerin bleibt. Der leibliche Vater verliert dabei seinen Anspruch nicht. Eine weitere mögliche Lösung: Adoption. „Das wäre möglich. Durch Adoption erhält ein neues Familiengefüge rechtlich die gleiche Stellung wie ein leiblicher Elternteil. Stimmt der Vater der Adoption zu, verliert er allerdings das Sorge- und Umgangsrecht“, so Friedrichs. Ein schwieriges Thema, auch aus rechtlicher Sicht. Mit einer zeitnahen Anpassung des Rechts rechnet Friedrichs nicht: „Die Justiz ist schwerfällig. Wenn das Co-Parenting modern wird, würde ich sagen, kann man vielleicht in 20 Jahren damit rechnen, dass das Recht sich dem anpasst.“ Der Aufbruch von Traditionen braucht eben Zeit.