Berlin. Fahrradhelme senken das Risiko für tödliche Kopfverletzungen deutlich. Doch wie überwinden Radfahrer das Gefühl, der Helm sei lästig?

Am Baum leuchtet das Herbstlaub noch in wunderschönen roten und gelben Tönen. Nur: Fällt es runter, können Straßen und Wege plötzlich rutschig und zur Falle werden. Wer jetzt Rad fährt, kann leicht ins Schlittern geraten und muss noch mehr aufpassen als sonst schon. Spätestens jetzt lohnt es sich, einen Helm zu tragen. Einen Helm – muss das sein? Die Erkenntnisse von Unfallforschern und Warentestern sind eindeutig.

1. Die Frisur ist kein gutes Argument!

Derzeit tragen nur 18 Prozent aller Radfahrer einen Helm. Jugendliche und Senioren können sich mit ihm bisher am wenigsten anfreunden. „Hilfe, meine Frisur!“, „Puh, ist das heiß unter dem Ding“ oder „Wohin mit dem Helm, wenn ich absteige?“ – dies seien die gängigsten Vorbehalte gegen den Kopfschutz, sagt Heiko Johannsen, der an der Medizinischen Hochschule Hannover die Unfallforschung leitet. Für ihn gilt in der Debatte aber nur eines: „Jeder Helm ist besser als keiner, das Risiko für Kopfverletzungen sinkt.“ Das zeigen die Zahlen, die Johannsen und sein Team sammeln.

2. Große Gefahr Kreuzung!

Johannsen und sein Team rücken jedes Jahr rund 1000-mal aus. Sie rekonstruieren an Unfallstellen genau, was passiert ist. Es ist eine in Deutschland nahezu einmalige Detektivarbeit. Eines der häufigsten schweren Unglücke: „Ein Lkw biegt nach rechts ab, der Radfahrer daneben kann nicht mehr ausweichen, stürzt auf den Asphalt und wird verletzt.“ Radfahrern wird oft aber auch ein Schlagloch oder die Schiene der Straßenbahn zum Verhängnis. Mit einer Gehirnerschütterung komme man noch gut weg, meint der Unfallforscher. Gefährlicher seien Schädelbrüche oder Blutungen und Quetschungen. Allein im Jahr 2015 wurden rund 78.000 Radler verletzt, davon 14.200 schwer. 380 Radfahrer wurden zudem getötet, gut die Hälfte davon war über 65 Jahre alt.

3. Der Helm hilft deutlich!

Zum Glück wird bei den meisten Unfällen der Kopf nicht in Mitleidenschaft gezogen. Falls er aber betroffen ist, kann ein Helm Leben retten. „Mit Helm stirbt eigentlich kein Radfahrer an einer Kopfverletzung“, sagt der Unfallforscher. Nur in den seltensten Fällen sei das anders. Oft sei dann aber fraglich, ob der Helm richtig getragen wurde. Er dürfe nicht locker sitzen. Johannsen empfiehlt einen einfachen Test. „Helm aufsetzen, Gurt offen lassen, nach vorne beugen.“ Fällt der Helm nicht runter, sitzt er gut. Auch dürfe für Kinder auf keinen Fall ein Modell gekauft werden, in das sie erst hineinwachsen müssen. Dazu lässt man sich im Fachhandel beraten.

4. Nichts darf wackeln oder drücken!

Kein Kopfschutz solle ohne Anprobe gekauft werden, raten die Experten der Stiftung Warentest. Es dürfe keine Stelle geben, die ungepolstert auf die Schädeldecke drückt. Und ein Helm müsse sich gut einstellen lassen: Die seitlichen Riemen, die von der Helmschale im Winkel zusammenlaufen, treffen sich einen Fingerbreit unter dem Ohr. Der Kinnriemen ist so gespannt, dass er locker am Kinn anliegt. Er darf nicht gegen den Hals drücken. Am Ende soll der Helm waagerecht sitzen, sodass er Stirn, Schläfen und Hinterkopf bedeckt. Wer viel im Dunkeln unterwegs ist, sollte auch auf Reflektoren achten.

5. Helme werden „hip“!

Ein Helm müsse nicht nur richtig sitzen, sondern auch gefallen, sagt Johannsen: „Sonst trägt man ihn nicht, das hilft dann auch nicht.“ Mittlerweile seien die Modelle „hip und bunt“. Auch gibt es Exemplare, die mit großen Öffnungen für genug Fahrtwind sorgen, sodass es im Sommer nicht zu heiß wird unter der Schale. Im Winter kann das freilich unangenehm sein und ziehen. Doch gibt es Mützen, die sich gut unter den Helm und solche, die sich über ihm tragen lassen. Übrigens gibt es mittlerweile faltbare Helme, die sich leichter in die Tasche stecken lassen. Aber sind die sicher? „Ja“, sagt der Unfallforscher.

6. Der Helm wirkt wie ein Airbag!

Bei einem Helm gehe es nicht darum, dass er stabil ist, erklärt Johannsen. Im Gegenteil: Er soll sich bei einem Aufprall verformen, eindellen und dämpfen, also die entstehende Energie aufnehmen und nicht wieder abgeben. Denn dann würde der Kopf wieder rausgeschleudert. Das ist wie beim Airbag im Auto. Der Experte sagt es so: „Der Helm opfert sich für den Kopf.“ Darum müsse nach einem Sturz sofort ein neuer her, selbst wenn von außen keine Schrammen zu sehen seien. Fällt er aus Versehen mal aus der Hand, sei das in der Regel aber kein Problem. Einige Experten empfehlen, den Helm etwa fünf Jahre nach der Herstellung auszutauschen. Das Material kann ermüden. Im Helm findet sich neben Gebrauchshinweisen auch das Produktionsdatum.

7. Helmpflicht – bitte nicht!

Sollte es bei all diesen Erkenntnisse eine Pflicht geben, einen Helm auf dem Rad zu tragen? Bitte nicht, heißt es beim Fahrradclub ADFC, aber auch beim Verband der Zweirad-Industrie. Sie fürchten, dann stiegen weniger vom Auto um aufs Rad, was sich auch negativ auf die Gesundheit auswirke. Selbst die Versicherer weisen Forderungen nach einem Helmzwang seit Jahren zurück.

Stellvertretend steht für sie Siegfried Brockmann, der die Unfallforschung der Versicherer (UdV) leitet. Er hat verfassungsrechtliche Bedenken und glaubt zudem, dass „die Helmhersteller dann in ihren Bemühungen nachlassen, ein sicheres und gleichzeitig optimal komfortables Produkt zu entwickeln“. Brockmann setzt darum auf die Einsicht, dass der „Asphalt der härteste Gegner ist“. Die deutsche Verkehrswacht sagt es so: „Fast alle schützen ihr Smartphone mit einer Hülle, aber nur die wenigsten ihren Kopf mit einem Helm.“

• Die Stiftung Warentest hat 2015 Fahrradhelme für Erwachsene geprüft. Fünf von 20 bekamen das Qualitätsurteil „Gut“: Casco Speedster-TC Plus (2,0) für 180 Euro, Casco Sportiv-TC Plus (2,3), 115 Euro, Melon Urban Active (2,4) für 70 Euro, KED Crom (2,5) und Nutcase Street Gen3 (2,5), beide um die 80 Euro.

Die besten Fahrradhelme für Kleinkinder sind laut Warentester: Nutcase Little Nutty (2,1) für 70 Euro, Abus Anuky (2,3) für 38 Euro und Alpina Ximo Flash (2,3) für 43 Euro. Bei besten Modelle für etwa Zehnjährige sind Cratoni Akino (2,2), Bell Sidetrack Child (2,3) und Limar 242 (2,4) – alle jeweils für 40 Euro.