Gifhorn. Landwirt Helmut Evers dreht Filme von seinem Alltag und unterhält so die Internet-Gemeinde.

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Mit großen braunen Augen blickt ein Kalb zu Landwirt Helmut Evers, der in Gummistiefeln durch den strohbedeckten Stall in Wahrenholz bei Gifhorn stapft. Der legt dem Kalb einen Strick um, es schnuppert an seiner Hose. Der 58-Jährige drückt seine Schultern durch und blickt auf eine Empore, auf der seine Frau mit einer Videokamera steht. „Hallo, liebe Freunde auf My KuhTube, hier ist Helmut aus dem schönsten Dorf an der Ise im Landkreis Gifhorn. Heute erzähle ich etwas über unsere Kälber.“

Privates Video? Nein das hier sind Filmarbeiten für MyKuhTube, ein Projekt der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen. Und Evers ist einer von 19 Landwirten, die der Landesvereinigung dafür regelmäßig Video-Sequenzen aus ihrem Alltag schicken. Eine Agentur schneidet sie zu drei bis fünf Minuten langen Filmen zusammen. Anschließend lädt sie Projektbetreuerin Jessika Kraack auf Youtube hoch und verknüpft sie mit der Homepage MyKuhTube.de.

Mittlerweile finden sich hier die unterschiedlichsten Videos aus den Kuhställen Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens. Die Milchbauern sprechen Klartext über Probleme mit dem Milchpreis, tanzen zum Valentinstag bei Kerzenschein durch den Stall oder zeigen vor Freude hüpfende Kühe. So wollen sie ihren Alltag für jedermann verständlich erklären. „Heute ist der Verbraucher sehr entfremdet von der Realität der Landwirtschaft“, sagt Evers. Die Zeiten, zu denen jeder Verwandte auf dem Land hatte, sind vorbei.

Gleichzeitig werden die Konsumenten kritischer und wollen wissen, woher ihre Milch kommt und wie es der Kuh geht, die dafür sorgt. „Die Zahl der interessierten Verbraucher steigt“, erklärt Kraack von der Landesvereinigung, „und die wollen wir mit in den Kuhstall nehmen“.

Dieser Gedanke gefiel auch vielen Landwirten. „Ich fand es von vorneherein eine super Idee“, sagt Evers und fügt verschmitzt hinzu: „Die hätte von mir kommen können.“ Der Milchbauer öffnet seinen Betrieb mit 80 Kühen schon seit langem für die Öffentlichkeit. Schulklassen und Fernsehkameras sind nichts Neues für die Tiere.

An diesem Tag läuft er mit dem Kalb quer über den Hof, seine Frau mit Videokamera hinterher. „Das Kalb kommt nun vom Kindergarten in die Vorschule“, sagt er. In Sendung-mit-der-Maus-Manier erklärt er seinen Zuschauern, dass er das zehn Wochen alte Tier zu einer Gruppe mit Gleichaltrigen umsiedelt. Die Aktion dauert nicht länger als zehn Minuten. Natürlich stand mehr als ein Kalb zur Umsiedlung auf dem Tagesplan. Für den Dreh hat sich Evers aber extra nur eines übrig gelassen und ein Zeitfenster geplant – der Star für dieses Video steht damit fest. „Ich hab zwar einen vollen Tag, aber das ist Abwechslung fürs Tier und für uns. Es ist eine Auflockerung.“

60 Filme hat Evers in den drei Jahren, in denen die Plattform existiert, schon veröffentlicht. Projektbetreuerin Kraack freut sich über seine Kreativität und die der anderen Teilnehmer. Drehbücher und Vorgaben gibt es keine: „Die Landwirte überlegen selbst, was sie machen, sie haben keinen Themenplan. Selbst bei ähnlichen Themen ist jedes Video anders, weil es jeder auf seine Art und Weise macht.“

Viele Videos zeigen Routinearbeiten wie Füttern, Feldarbeit oder Melken. „Manchmal ist das spontan, manchmal habe ich vorher eine Idee“, sagt Evers. Sein Lieblingsvideo besteht aus mehreren Episoden, in denen nicht er, sondern seine Lieblingskuh Petra mit der Stimme seiner Frau von ihrem Alltag erzählt. „Ich hätte heute Lust auf einen jungen, gut gebauten und knackigen Bullen“, sagt sie etwa, als sie sich in der Brunftzeit befindet.

Um das Liebesleben der Kühe geht es auch im Video von Evers, das ihm am meisten Arbeit bereitet hat. Darin steckt ein Tierarzt routiniert seinen behandschuhten Arm in Petra, um zu fühlen, ob sie schon Embryos hat. „Der Arzt war einfach zu schnell“, sagt Evers lachend. „Während ich noch in die Kamera gesprochen habe, hat er sie schon untersucht. Beim Schwenk auf ihn nahm er seinen Arm gerade wieder aus der Kuh.“ Zehnmal musste der Tierarzt in die Kuh greifen, bis das Timing stimmte. „Wir haben uns totgelacht“, sagt Evers.

Wenn dagegen nur Kleinigkeiten nicht auf Anhieb klappen oder sich Evers nur ein bisschen verspricht, wiederholt er den Dreh nicht. „Man soll ruhig merken, dass wir Laien sind“, sagt er. „Es sind keine Hollywood-Produktionen oder verklärte Videos, wir wollen authentische und realistische Bilder der heutigen Milchwirtschaft zeigen“, betont auch Kraack.

Die Videokamera haben die Evers kostenlos von der Landesvereinigung bekommen. Zu Beginn gab es einen Crash-Kurs. „Durch die Digitalisierung im Stall sind die Landwirte technikaffin, das ist ein Vorteil “, erzählt Kraack. So übten die Milchbauern vor allem ihr Verhalten vor und hinter der Kamera und tauschten sich aus. „Sie sind zu einem Team zusammengewachsen“, sagt Kraack. Jährlich treffen sich alle zu einem Workshop.

Neben dem Engagement der Landwirte lebt das Projekt vom Interesse der Zuschauer. Kraack berichtet von überwiegend positiven Rückmeldungen. „Es gibt aber auch mal Gegenwind, etwa von Personen, die Tierhaltung an sich ablehnen.“

My KuhTube hat insgesamt mehr als 840 000 Klicks bei Youtube, 1900 Nutzer haben den Kanal abonniert. Das sind keine Spitzenwerte. Zum Vergleich: Der erfolgreichste deutsche Youtube-Kanal, freekickerz, hat 4,6 Millionen Abonnements. Die Landesvereinigung schaut aber auch nicht nur auf die höchsten Zahlen. „Wir sind sehr zufrieden. Wir haben nach wie vor wachsende Zugriffszahlen, regelmäßige Besucher, aber auch regelmäßig neue Zuschauer“, sagt Kraack. Sie sieht zusammen mit den Landwirten zuversichtlich in die Zukunft ihres Projektes. Dieses Wochenende startet ein Werbespot zu My KuhTube, der in den Kinos läuft. Die großen braunen Augen kommen bestimmt auch darin vor.