Berlin. Das RTL-„Jenke-Experiment“ behandelte Essstörungen nur oberflächlich. Für die Betroffenen ist das Thema existenziell. Ein Ratgeber.

Erschreckend oberflächlich thematisierte RTL-Reporter Jenke von Wilmsdorff das Thema Essstörung. In seiner Show „Das Jenke-Experiment“ fand er Gefallen daran, das „leichte Hungergefühl“ auszuhalten, hungerte sich mal eben zehn Kilo runter und lobte seinen flachen Bauch.

Aufklärung sieht anders aus. Essstörungen entstehen fast immer durch tiefer liegende seelische Probleme. Schwierigkeiten in der Familie, Probleme in der Schule oder im Freundeskreis, ein vermindertes Selbstwertgefühl verbunden mit einem überzogenen Idealbild des Körpers aus den Medien können Gründe für eine Erkrankung sein. Das Essen – oder Nicht-Essen – ist für die Betroffenen ein Weg, mit ihren Gefühlen umzugehen.

Im „Jenke-Experiment“ hungerte sich RTL-Reporter Jenke von Wilmsdorff zehn Kilogramm runter und zog in einem „Fatsuit“ durch Köln.
Im „Jenke-Experiment“ hungerte sich RTL-Reporter Jenke von Wilmsdorff zehn Kilogramm runter und zog in einem „Fatsuit“ durch Köln. © RTL / Jánik von Wilmsdorff | RTL / Jánik von Wilmsdorff

Essstörungen sind keine Seltenheit. Ein Fünftel der Elf- bis 17-Jährigen in Deutschland zeigt laut einer Studie des Berliner Robert-Koch-Instituts Symptome. Mädchen sind dabei sehr viel häufiger betroffen als Jungen. Eltern sind oft hilflos.

Hilfsorganisationen und etwa die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) informieren über Essstörungen und geben wichtige Ratschläge. Das müssen Betroffene und Angehörige wissen.

Was für Formen von Essstörungen gibt es?

Haben Betroffene eine Essstörung, wird ihr Leben von der Krankheit bestimmt. Der Alltag, das Leben, ihre Gefühle drehen sich rund um das Thema Essen. Die Forschung unterscheidet laut BZgA drei Formen: Magersucht, Bulimie und die Binge-Eating-Störung. Jedoch lassen sich nicht alle Essstörungen diesen Formen zuordnen. Oft gehen sie auch ineinander über, und es gibt Mischformen.

Was ist Magersucht?

Betroffene verlieren viel Gewicht, in dem sie zeitweise hungern, extrem viel Sport treiben oder ihr Essen komplett verweigern. Manche Magersüchtige trinken nicht einmal mehr. Andere erbrechen sich oder nehmen noch zusätzlich Abführmittel ein, um weiter abzunehmen. Fachleute sprechen dann vom bulimischen Typ der Magersucht.

Am häufigsten kommt die Magersucht bei 14- bis 18-jährigen Mädchen vor. Trotz eines starken Untergewichts fühlen sich Betroffene zu dick. Sie ritualisieren ihr Essen und leben nach strikten Regeln. Gleichzeitig kochen sie gerne für andere oder animieren sie zum Essen.

Was sind die Folgen von Magersucht?

Körperlich:

• Extremes, zum Teil lebensbedrohliches Untergewicht

• Herz-Kreislauf-Störungen

• brüchige Haare und trockene Haut

• Wachstumsstörungen

• bei langer Krankheitsdauer kann Osteoporose auftreten

Seelisch:

• Zwangserkrankungen wie krankhaftes Kalorienzählen, zwanghaftes Sparen oder Aufräumen

• Angsterkrankungen wie Panikattacken, Platzangst oder Trennungsängste

• Depression

Was ist Bulimie?

Äußerlich ist die Bulimie im Vergleich zur Magersucht kaum zu erkennen. Das Essverhalten scheint kontrolliert, vorwiegend wird kalorienarm gegessen. Doch Bulimie oder auch Ess-Brech-Sucht führt dazu, dass Betroffene regelmäßig Essanfälle haben, die zu Schuldgefühlen führen. Erkrankte erbrechen daraufhin oder nehmen Abführmittel ein. Viele treiben auch übermäßig Sport.

Was sind die Folgen von Bulimie?

Körperlich:

• Schäden am Zahnschmelz

• Schwellung der Speicheldrüse durch den sauren Mageninhalt

• Verätzungen an den Fingern

• Herz-Rhythmus-Störungen

• Haarausfall, Schwindel, Müdigkeit

• Selbstverletzungen (Kratzen, Nägelkauen, Ritzen)

Seelisch:

• Angststörungen

• Zwangsstörungen; die Essanfälle werden ritualisiert

• Depression und Selbsthass

• Soziale Auffälligkeiten (aggressives Verhalten, Schule/Ausbildung werden vernachlässigt)

Was ist die Binge-Eating-Störung?

Ähnlich wie bei der Bulimie leiden die Betroffenen an Essanfällen. Zu Beginn essen sie, ohne hungrig zu sein, und leiden später unter den Anfällen. Während Bulimiker sich aber zum Beispiel übergeben, tun das Personen, die an dieser Essstörung leiden, nicht. Sie ergreifen keine Gegenmaßnahmen und treiben kein Sport. Viele werden daher stark übergewichtig.

Jedoch kann Binge Eating auch bei Normalgewichtigen auftreten. Nicht jeder, der übergewichtig ist, ist gleichzeitig von der Erkrankung betroffen.

Was sind die Folgen von Binge Eating?

Körperlich:

• Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte

• Wassereinlagerungen

• Störung des Herz-Kreislauf-Systems

• Überbelastung der Knochen und Gelenke

• Atem- und Schlafstörungen

Seelisch:

• Gefühl der Hilflosigkeit

• Schamgefühle, Hass auf sich selbst, geringes Selbstwertgefühl

• Angststörungen

• Zwangsstörungen wie übertriebenes Putzen

Was können Warnsignale sein?

Essstörungen entwickeln sich in der Regel über einen längeren Zeitraum. Dabei ist es für Eltern und Angehörige nicht immer leicht, Veränderungen klar einzuordnen. Folgende Punkte können aber auf eine Essstörung hinweisen:

• Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen: Die Person lehnt den eigenen Körper strikt ab, findet sich zu dick und hat Angst, zuzunehmen. Dabei kreisen die Gedanken nur um das Thema Essen und den eigenen Körper.

• Verändertes Essverhalten: Die Person isst nur kalorienarmes Essen und nur zu bestimmten Uhrzeiten. Mahlzeiten werden ausgelassen. Ein anderer Hinweis kann das chaotische Essverhalten sein – mal wird viel, dann wenig gegessen. Essen wird im Kinderzimmer gelagert und es wird viel Geld für Süßigkeiten ausgegeben.

• Gewichtsverlust: Die Person hat innerhalb von drei Monaten mehr als sechs Kilogramm abgenommen.

• Betroffene Jugendliche essen bei Frust, Ärger oder Langeweile und reden nicht über die eigenen Gefühle.

• Es wird verstärkt Sport getrieben, nur um abzunehmen; Hobbys und Freundschaften werden derweil vernachlässigt

• Häufige Toilettengänge, es riecht nach Erbrochenem

Was können Eltern tun?

• Essen und Figur nicht kritisieren

• Ärzte und Psychologen aufsuchen

• keinen Druck oder Zwang ausüben

• Vertrauen aufbauen

• Betroffene können sich an Beratungsstellen wenden. Die BZgA hat auf ihrer Seite Informationen zur Beratungszentren gesammelt und listet Adressen von Kliniken oder Therapiezentren auf. Erstberatung gibt es unter der Telefonnummer: 0221 89 20 31.