Berlin. Werbung extra für Rassisten: Im Einsatz gegen Hass auf Facebookseiten testen Organisationen inzwischen die Ausspielung an Zielgruppen.

Wer in der nächsten Woche ein Bild von einem Missgeschick als Anzeige auf Facebook sieht, ist vermutlich schon als „Gutmensch“ beschimpft worden. Eine Woche später gehen solche Bilder eher an potenzielle Rassisten: Die Amadeu-Antonio-Stiftung ( u.a. „netz-gegen-nazis.de“) testet mit verschiedenen Motiven und dem Spruch „Kein Grund, Rassist zu werden“ derzeit die Ansprache bestimmter Zielgruppen. Mögliche Hetzer erhalten künftig per Facebook-Anzeige gezielt Inhalte, die sie zum Nachdenken bringen sollen.

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Die aktuelle Kampagne mit dem Ziel, die Suche nach Sündenböcken vorzuführen, ist ein Beispiel für die Kooperation mit der im Januar gegründeten Online Civil Courage Initiative (OCCI). Facebook, Forscher und Organisationen tauschen sich aus und sammeln Erfahrungen in „Counter Speech“, im verbalen Dagegenhalten. Für einen Zeitraum von zwei Jahren steht Organisationen eine Million Euro an Facebook-Werbegeld zur Verfügung.

Die Ausgangslage: In der Debatte um Facebook geht es meist ums Löschen. Facebook und sein Berliner Dienstleister Arvato machen dabei auch Fehler. Viele angeprangerte und gemeldete Inhalte sind jedoch zwar nur schwer erträglich, aber legal. Bei OCCI geht es darum, wie weniger solcher Inhalte entstehen oder unwidersprochen bleiben. Solche Kommentare dominieren oft das Bild in Diskussionen und vermitteln den Eindruck, eine laute Minderheit sei die Mehrheit, sagt Simone Rafael von der Antonio Amadeu Stiftung.

Das Ziel: Organisationen in Europa sollen mit wissenschaftlicher Begleitung erkunden, wie Kampagnen am besten für ein anderes Klima im Netz sorgen können. Ein Handbuch zu Counterspeech für Organisationen ist bereits entstanden. Wer Hasskommentare schreibt, soll möglichst zum Nach- und Umdenken gebracht werden. Wer sich an solchen Kommentaren stört, soll möglichst zur Widerrede ermutigt werden. Facebook hat dazu die Initiative gegründet, zwei Forschungsinstitute eingebunden und stellt Werbung auf seiner Seite im Wert von einer Million Euro zur Verfügung. Das ermöglicht Targeting, das mehr oder weniger direkte Erreichen von Zielgruppen. Mithilfe der Wissenschaftler soll die Auswertung sehr viel tiefer gehen als Reichweite und Zahl der Interaktionen. „Die Frage der Wirksamkeit ist für uns sehr spannend“, so Simone Rafael. Bislang ging es in der OCCI aber vor allem um den Aufbau der Kontakte, für Werbung wurden erst 10.000 Euro ausgegeben.

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Das Targeting: „Wir als Organisation haben uns mit derartigem Facebook-Marketing bisher nicht wirklich befassen können“, sagt Rafael von der Antonio Amadeu Stiftung. Initiativen und Organisationen setzen auf die Reichweite ihrer eigenen Seiten, erreichen damit aber auch vor allem nur eigene Fans und deren Freundeskreise. Um die zu motivieren, ist das nützlich. Dialog mit Hasspostern entsteht so wenig, dabei sehen die Initiativen darin große Chancen. Deshalb sollen die direkt über Werbung adressiert werden. Fiktives Beispiel: Ein provozierendes Bild als Anzeige an ostdeutsche Männer, die Fans der NPD sind. Bei der aktuellen Kampagne werde die Zielgruppe „nicht so platt“ ausgewählt, so Rafael: Für rassistische Neigungen muss man kein NPD-Anhänger sein. Anhand der von Facebook zur Verfügung gestellten Daten soll mit den Wissenschaftlern ausgewertet werden, welche Art von Inhalten wie gut funktioniert und wie sie optimiert werden können.

Die direkte Wirkung von Counter Speech: „Es ist schwer, den Hund zu messen, der nicht bellt“, räumt Wissenschaftlerin Erin Saltman vom Institute for Strategic Dialogue ein. Die Programm-Managerin beim OCCI berichtet aber aus früheren Erfahrungen in den USA: Bei größeren Gruppen sei durch solche Kampagnen eine Verschiebung in den Einstellungen messbar gewesen. Nicht in jedem Fall: „Wenn die Regierung sagt, Du sollst kein Terrorist werden, funktioniert das nicht. Vielleicht richtige Zielgruppe, richtige Botschaft, aber falscher Absender.“ In Dialog zu kommen könne aber Einstellungen tatsächlich verändern. Das sei ein langwieriger Prozess und dazu gehörten Ressourcen.

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Die indirekte Wirkung von Counter Speech: Neben Kontrolle kann auch häufiger Widerspruch dazu führen, dass Nutzer abwandern – viele deutsche Rechtsextreme tummeln sich auf dem russischen Netzwerk VK. Rassismus und Hass verschwinden damit nicht, aber sind für den Großteil der Deutschen viel weniger sichtbar. Rafael: „Dort sind in der deutschen Community neben Neonzis die Leute, die Pornos teilen wollen. Einfluss aufs gesellschaftliche Klima haben Diskussionen dort kaum noch.“ Der Unmut dieser Kreise zeige sich: „Das Netz war jahrelang die Spielwiese, die sie für sich hatten. Jetzt sind sie empört und böse, dass ihnen ihr Spielzeug weggenommen wird.“

Die andere Seite: Die Anheizer von Rechts seien den Organisationen oft voraus, räumt Rafael ein. „Von Instagram heißt es oft, es sei unpolitisch. Aber der NPD-Vorsitzende ist dort schon lange und erfolgreich.“ Er hat mehr als 11.000 Abonnenten seiner Fotos. Die Bilder „Kein Grund, Rassist zu sein“ und einen entsprechenden Account gibt es deshalb auch auf Instagram.

Die Grenzen: In vielen Fällen bringe Dialog Menschen zum Nachdenken. „Wir können sicher keinen von Herzen überzeugten Neonazi überzeugen“, sagt Rafael, auch Chefredakteurin von „Netz gegen Nazis“. Und wenn jemand nur mit Drohungen oder Beleidigungen antwortet, gibt es von ihr auch nur die Löschung als Antwort.

Die Beteiligten: Die Online Civil Courage Initiative von Facebook, dem International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence, dem Institute for Strategic Dialogue und der Amadeu Antonio Stiftung hat bislang mit 84 Organisationen in Kontakt gestanden. Die OCCI sei aber offen für jede Organisation, die eine aktuelle Kampagne mit entsprechenden Zielen plane.

Das Umfeld: Sich mit Werbung an diejenigen zu richten, die eigentlich ganz anderer Überzeugung sind, ist in sozialen Netzwerken nicht neu. Im vergangenen Jahr hatte die Initiative „Flüchtlinge Willkommen“ öffentlichkeitswirksam auf YouTube Werbung vor Filmen von Pegida gebucht – Motto: „Rassismus suchen, Wahrheit finden“. Auch bei der Googlesuche nach „Asylanten raus“ wurde ein Video mit ganz anderer Botschaft angezeigt. Google oder Youtube hatten das jedoch nicht unterstützt. Ganz aktuell hat YouTube aber eine Kampagne „#NichtEgal“ gegen Hass gestartet. Die OCCI würde andere Netzwerke für ihr Projekt noch gerne ins Boot holen.