Braunschweig. Nach einem Schlaganfall kommt es auf jede Sekunde an. Eine Patientin berichtet, was sie erlebte.

Schlaganfall

Elke G. (Name von der Redaktion geändert) ist allein an diesem Vormittag. Ihr Mann macht einen Ausflug. Sie fühlt sich nicht gut. Schon auf der Treppe, nachdem sie die Zeitung aus dem Briefkasten geholt hat, ist da dieses Gefühl, dass der eigene Körper einem nicht mehr gehorchen will. Die 73-Jährige aus Wolfenbüttel ruft den Hausarzt an. Der kommt schnell. Doch ihr Zustand verschlechtert sich in der Zwischenzeit. „Ich hatte das Gefühl, ein Schloss vor dem Mund zu haben. Ich wusste, was ich sagen wollte, aber ich habe nicht die Wörter gefunden, die einen Sinn ergeben“, erzählt die Frau im Rückblick. Als der Hausarzt seine Patientin auffordert, geradeaus zu laufen, merkt G., dass ihr rechtes Bein sich mehr oder weniger selbständig macht. Sie zieht das Bein auffällig nach. Das sieht auch ihr Arzt. Es ist 10.45 Uhr. Um 13 Uhr wird Elke G. in das Klinikum Braunschweig an der Salzdahlumer Straße eingeliefert. Der Verdacht: Schlaganfall.

Als Notfall eingeliefert

„Viereinhalb Stunden nach einem Schlaganfall sind die Schäden in der Regel irreparabel.“
Prof. Karl Wessel, Chefarzt der Neurologie am Klinikum Braunschweig

Im Klinikum Braunschweig sind sie auf Patienten wie Elke G. vorbereitet. Die Ärzte in der Zentralen Notaufnahme (ZNA) wissen, dass die Zeit drängt, wenn sich der Verdacht auf ein verstopftes Blutgefäß im Gehirn bestätigt und das Blut in dem Organ nicht mehr richtig zirkulieren kann. Auch aus diesem Grund wurde die sogenannte Stroke-Unit (Schlaganfall-Einheit), eine spezielle Einheit innerhalb der Neurologie, eingerichtet. Die Anfänge lagen im Jahr 1997. Stück für Stück wurde die Bettenzahl auf der Station seitdem erhöht. Heute können 12 Patienten intensiv-medizinisch versorgt werden. Als der Fall von Elke G. dem Klinikum an diesem Tag gemeldet wird, werden die Spezialisten aus der Neurologie informiert. Elke G. sitzt zu diesem Zeitpunkt noch im Rettungswagen auf dem Weg nach Braunschweig. Im Klinikum machen sich Ärzte- und Pflegekräfte auf den Weg in die ZNA – das notwendige medizinische Inventar in einem Rucksack verstaut. Es gilt, keine Zeit zu verschwenden.

Billionen Synapsen droht der K.o.

Dr. Andreas Ahlers ist der Leitende Oberarzt in der Stroke-Unit. In seiner Hand hält er ein Blatt, auf dem die „0“ als Ziffer auf den ersten Blick dominiert. Ahlers erklärt die Zahlen. Wenn die Ärzte den aufgetretenen Schlaganfall nicht mit Hilfe einer „Reperfusion“ – das bezeichnet die Wiederherstellung des Blutflusses beschädigter Gefäße im Gehirn – schnell behandeln würden, würden in jeder Minute 1,9 Millionen Neuronen (Nervenzellen im Gehirn) und bis zu 14 Billionen Synapsen (Verbindungen zwischen den Gehirnzellen) absterben. Der Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache in Deutschland und die Hauptursache für Behinderungen bei Erwachsenen. „Er ist neben der Reanimation eines Patienten eine der zeitkritischsten Erkrankungen. Ein absoluter Notfall“, erklärt Dr. Ahlers. Und auch der Chefarzt der Neurologie, Professor Karl Wessel, nennt eine Faustformel, die sich insbesondere Patienten merken sollten: „Viereinhalb Stunden nach einem Schlaganfall sind die Schäden weitgehend irreparabel. Die Zellen sind dann abgestorben.“

Die Stroke-Unit ist von ihrer Ausstattung vergleichbar mit einer Intensivstation. Sie hat aber keine Beatmungsmaschinen. Mit ihrer Einrichtung war auch die Überlegung verbunden, Abläufe innerhalb des Krankenhauses enger abzustimmen und zu beschleunigen. „Diese Einheit unterliegt einem klar gegliederten Prozess, der vorgibt, wer was wann machen muss, wenn ein Mensch mit dem Verdacht auf einen Schlaganfall in die Notaufnahme eingeliefert wird“, erklärt Chefarzt Wessel. Das beginne mit dem Notarzt vor Ort, der den Patienten in der Regel zuerst untersucht. Nach einer Computertomographie (CT) wird noch in der Notfallaufnahme entschieden, wie der Patient behandelt werden muss. Auch Elke G. muss in die Röhre. „Dank der CT können wir sehr schnell das Ausmaß der Hirnschädigung einschätzen“, erklärt Ahlers. Die Aufnahmen zeigen genau, wie viel Gewebe im Hirn zerstört wurde und wie viel zu retten ist. Die Diagnose bestimmt dann die Behandlungsmethode. Handelt es sich um einen Schlaganfall, der punktuell und nicht großflächig aufgetreten ist – das ist beim Großteil aller Erkrankungen der Fall (rund 80 Prozent) – wird die sogenannte Lysetherapie begonnen. Das heißt: Dem Patienten wird ein gerinnselauflösendes Medikament gespritzt. Diese Methode, die im Vergleich zur Operation bei zumeist schweren Schlaganfällen, wesentlich häufiger angewendet wird, beinhalte auch Risiken, so Chefarzt Wessel. „Es kann dabei zu Einblutungen im Gehirn kommen.“

Der „Door-to-Needle“-Wert

Der Faktor Zeit wird an dem sogenannten „Door-to-Needle“-Wert festgemacht. An diesem lassen sich auch die Ärzte in Braunschweig messen. Hier findet eine Form von „Controlling“ statt, das für den Patienten am Ende lebensrettend sein kann. Der Wert beschreibt den Zeitraum vom Eintreffen des Patienten bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Infusion gesetzt wird. Im Schnitt dauert das im Klinikum Braunschweig circa 30 Minuten. „Der Zeitraum hat sich in den letzten Jahren von fast einer Stunde um eine halbe Stunde reduziert“, sagt Oberarzt Ahlers nicht ohne Stolz. Ein Schlaganfall hat zumeist Auswirkungen auf die Motorik und die Sprache des Patienten. Wurde das Sprachzentrum getroffen, suchen Patienten oftmals nach Wörtern, obwohl sie ganz genau wissen, was sie meinen. Auch die Aussprache bereitet ihnen zunächst Schwierigkeiten. Auch Elke G. erging das so. Daher beginnt schon in der Stroke- Unit eine logopädische Behandlung, die in der Reha-Klinik fortgesetzt wird. Für den Fall, dass der Patient nach dem Schlaganfall Arme oder Beine nicht mehr richtig bewegen kann oder diese Körperteile taub sind, erfolgen eine neurologische Physiotherapie und Ergotherapie.

FAKTEN

2014 wurden mehr als 1900 Patienten in der „Stroke-Unit“ des Klinikums Braunschweig behandelt.

Im Schnitt verbringen die Patienten dort – je nach Schwere des Schlaganfalls – zwischen 24 und 72 Stunden.

Auch in Wolfsburg gibt es eine „Stroke-Unit“, die sechs Patienten versorgen kann. Ein Team aus Ärzten, Krankenpflegern, Logopäden, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten und der Sozialdienst kümmert sich um diese.

Am 10. Mai findet der „Tag gegen den Schlaganfall“ statt. Er wurde 1999 durch die „Deutsche Schlaganfall-Hilfe“ ins Leben gerufen.