Wolfsburg. Sport, mediterrane Ernährung und der Verzicht aufs Rauchen tragen zu einem gesunden Herzen bei.

Jedes Jahr erleiden in Deutschland 300 000 Menschen einen Herzinfarkt. Stephan Tieg ist einer von ihnen. Der 54-jährige LKW-Fahrer lebt im sächsischen Pausa-Mühltroff. Während einer seiner Touren fühlte er sich plötzlich nicht gut. „Ich hatte brennende Brustschmerzen und Schweißausbrüche“, erinnert er sich. An einer Raststätte an der A2 in Höhe von Wolfsburg hielt er an. „Ich habe öfter Probleme mit meinem Magen und dachte, die Schmerzen kämen daher.“ Der 54-Jährige nahm seine Magentropfen und wartete ab – eine Stunde lang. Als die Schmerzen schlimmer wurden, fragte er zwei Rettungssanitäter um Rat, die mit ihrem Wagen aufgrund einer Panne auf dem Rastplatz standen. Sie machten sofort ein Elektrokardiogramm. Diagnose: Herzinfarkt. Tieg kam ins Klinikum Wolfsburg.

„Jeder dritte Mensch mit einem Herzinfarkt stirbt, bevor er die Klinik erreicht. Deshalb muss sofort reagiert werden“, sagt Professor Rüdiger Becker, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin im Klinikum Wolfsburg. „Niemand ruft gern den Rettungsdienst. Viele warten erst mal ab, ob die Beschwerden von allein verschwinden. Doch genau das ist beim Verdacht auf Herzinfarkt falsch. Jede Minute zählt“, sagt Becker. Im Klinikum machten die Ärzte eine Herzkatheteruntersuchung. „Dabei lassen sich die Herzkranzgefäße auf einem Bildschirm darstellen, und man erkennt, an welcher Stelle die Gefäße verengt beziehungsweise verschlossen sind“, erklärt Becker. Bei Stephan Tieg öffnete der Arzt mit einem Ballonkatheter den Gefäßverschluss und setzte in das verstopfte Herzkranzgefäß einen Stent – eine Gefäßstütze aus Edelstahl, die an der Engstelle platziert wird und die Arterie wie ein Korsett stützt, um einen erneuten Verschluss zu verhindern. „Ich hatte einen Schutzengel“, sagt Tieg rückblickend. Bereits zwei Tage nach seinem Infarkt geht es ihm wieder gut.

Was passiert beim Herzinfarkt?

„Jeder dritte Mensch mit einem Herzinfarkt stirbt, bevor er die Klinik erreicht. Es muss sofort reagiert werden.“
Professor Rüdiger Becker, Chefarzt im Klinikum Wolfsburg

Die Herzmuskulatur wird durch die Herzkranzgefäße versorgt, die unmittelbar am Herzen von der Aorta – der Hauptschlagader – abzweigen. „Beim typischen Herzinfarkt liegt meist eine Arteriosklerose – eine Gefäßwandverkalkung der Herzkranzgefäße – zugrunde“, erklärt Becker. Dabei bilden sich im Laufe der Jahre an der Gefäßinnenwand Fett- und Kalkablagerungen – sogenannte Plaques. „Diese führen zu einer zunehmenden Verengung der Gefäße und können an ihrer Oberfläche plötzlich aufreißen und akut ein Gefäß verschließen“, sagt Becker.

Der Grund: Bricht die Plaqueoberfläche auf, wird sie von den im Blut vorbeiströmenden Blutplättchen wie eine Wunde auf der Haut mit einem Blutgerinnsel – einem Thrombus – abgedeckt. Ist das Gerinnsel groß genug, verstopft es das Herzkranzgefäß und schneidet so Teile des Herzmuskels von der Durchblutung und damit von der Sauerstoff- und Nährstoffzufuhr ab. „Je nachdem, wo diese Verstopfung auftritt, sterben lebenswichtige Teile des Herzmuskels ab. Einmal abgestorbenes Herzmuskelgewebe kann sich nicht wieder regenerieren. Ist der betroffene Bereich zu groß, kann es zu Herzrhythmusstörungen kommen oder das Herz versagt ganz“, sagt Becker. Wie viel Herzmuskelgewebe vom Absterben bedroht ist, hängt davon ab, ob ein größeres Gefäß oder nur ein kleinerer Seitenast verschlossen ist.

Welche Alarmsignale gibt es?

Herzinfarkte sind keinesfalls eine reine Männerangelegenheit. Auch bei Frauen zählt der Infarkt in den Industrieländern zu den häufigsten Todesursachen. „Die Symptome bei einem Herzinfarkt sind bei Männern und Frauen unterschiedlich“, sagt Becker. Männer beschrieben oft ein plötzlich einsetzendes massives Druck- oder Engegefühl im Brustraum oder auch ein stark brennendes Gefühl. Die Schmerzen im Brustkorb können auch in die Arme ausstrahlen, in den Oberbauch, in Schulterblätter, Nacken und Unterkiefer. Oft treten auch blasse Gesichtsfarbe und kalter Schweiß auf. „Herzinfarkte bei Frauen machen sich häufiger mit unspezifischen Symptomen bemerkbar – mit starker Kurzatmigkeit, Übelkeit, Erbrechen oder auch mit Schmerzen im Oberbauch“, erklärt Becker. Insbesondere wenn solche Zeichen in zuvor noch nicht gekannter Heftigkeit auftreten, ist es daher wichtig, auch an einen Herzinfarkt zu denken. „Beim geringsten Hinweis auf einen Infarkt ist umgehend die 112 zu wählen“, sagt Becker. Wer innerhalb der ersten zwei bis vier Stunden nach einem Infarkt ins Krankenhaus komme, habe die besten Überlebenschancen.

Welche Risikofaktoren gibt es?

Ein ungesunder Lebensstil sei in den meisten Fällen der Grund für einen Herzinfarkt, sagt Becker. Der größte Risikofaktor ist das Rauchen. „Jede Zigarette verkürzt das Leben durchschnittlich um 30 Minuten“, betont der Chefarzt. Das Rauchen schädigt die Innenauskleidung der Blutgefäße und treibt so die Verkalkung der Gefäße voran. Außerdem wird die Neigung zur Bildung von Blutgerinnseln gesteigert. „Raucher haben ein zwei- bis vierfach höheres Herzinfarkt-Risiko als Nichtraucher“, sagt Becker. Ein weiterer Risikofaktor: Übergewicht. „Es führt zu Diabetes und Bluthochdruck“, sagt Becker. Ein erhöhter Blutdruck verursache keine spürbaren Beschwerden und bleibe oft über Jahre unbemerkt. Nach Schätzungen der Deutschen Hochdruckliga leiden rund 20 Millionen Deutsche an Bluthochdruck. Gefährlich sei auch ein erhöhter Cholesterinspiegel, da er zu massiven Schäden der Gefäßwände führen könne. „Besonders hoch ist das Risiko, wenn das ,schlechte’ LDL-Cholesterin erhöht und gleichzeitig das ,gute’ HDL-Cholesterin zu niedrig ist“, sagt Becker. Verfügt der Körper über zu viel von dem Blutfett, lagern sich an Eiweißstoffe gebundene Cholesterinmoleküle als dünne Zellschicht an den Arterienwänden ab und verkleinern den Querschnitt der Arterie. Vor allem Männer über 45 Jahre und Frauen über 55 sollten regelmäßig Blutdruck und Blutfettwerte kontrollieren und, wenn nötig, medikamentös behandeln lassen, betont Becker.

Gesättigte Fettsäuren vermeiden

Viel hängt von der Ernährung ab. Gesättigte Fettsäuren wie sie etwa in Butter, Fleisch und Käse enthalten sind, seien ungünstig für die Gesundheit, sagt Becker. „Cholesterin, das bei der Entstehung der Arteriosklerose eine wesentliche Rolle spielt, kommt vor allem in tierischen Fetten vor. Schränken Sie deshalb den Verzehr von Fleisch und Milchprodukten ein“, rät Becker. Empfehlenswert sei die Mittelmeerkost. Sie legt nicht nur Wert auf viel Obst und Gemüse, statt fettreichem Fleisch kommt bevorzugt Fisch auf den Tisch. „Untersuchungen haben gezeigt, dass ungesättigte Fettsäuren, wie sie in Meeresfischen, Oliven- und Rapsöl enthalten sind, gesund sind. Der Körper braucht die Fette zur Bildung bestimmter Gewebshormone, die für die Blutgerinnung und die Regulierung der Gefäßweite wichtig sind“, sagt Becker.

Bewegung baut Stress ab

Weitere Risikofaktoren sind Stress und Bewegungsmangel. „Bei Stress reagiert unser Körper wie in Urzeiten: Stresshormone werden ausgeschüttet. Der Puls geht hoch, der Blutdruck auch. Die Muskelspannung steigt, genauso wie Blutfette und Blutzucker. Die Energie ist bereitgestellt für Kampf oder Flucht“, erklärt Becker. Das beste Mittel, um Stress abzubauen: Sport. „Vier- bis fünfmal pro Woche sollte man sich für eine halbe Stunde sportlich betätigen“, rät Becker. Empfehlenswert seien Ausdauersportarten wie Nordic Walking, Fahrradfahren, Schwimmen und Tanzen. „Die bessere Durchblutung führt mehr Sauerstoff und Nähstoffe in alle Körperbereiche und damit auch in die Herzkranzgefäße.“ Cholesterinspiegel und Blutdruck sinken durch Sport langfristig. Becker betont jedoch: „Ältere, Patienten mit Herzkrankheiten, Bluthochdruck oder schweren Erkrankungen sollten mit einem Arzt sprechen, bevor sie mit dem Training beginnen.“