Braunschweig. Die illegale Droge bleibt in der Schmerztherapie eine Notlösung, wenn nichts Anderes mehr hilft.

Drei Schwerkranke haben es geschafft: Sie dürfen Cannabis zu therapeutischen Zwecken selbst anbauen. Das Verwaltungsgericht Köln hat gestern entschieden, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ihnen diese Genehmigung erteilen muss. Alle Kläger leiden unter chronischen Schmerzen und besitzen eine Erlaubnis zum Erwerb und therapeutischen Konsum von Cannabisblüten. Sie möchten die zu therapeutischen Zwecken notwendige Menge an Cannabis selbst anbauen und verarbeiten, da sie die Kosten für den Erwerb des Cannabis nicht aufbringen können und die Kosten in ihren Fällen auch nicht von den Krankenversicherungen übernommen werden.

Das sagen die Ärzte

Dr. Steffen Neumann, Facharzt für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin am Klinikum Wolfsburg sieht den Einsatz von Cannabis zur Schmerzlinderung kritisch: „Bestimmte Wirkstoffe, die in Cannabis vorkommen, können durch chemische Substanzen gezielter und dosierter eingesetzt werden, um das Symptom Schmerz zu lindern. Eine wesentliche Säule der Schmerztherapie bei Tumorpatienten etwa sind unterschiedliche Opiate, wie beispielsweise Morphin, die zur Schmerzlinderung eingesetzt werden.“ Zunächst müssten bei der Schmerztherapie alle konservativen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, sagt auch Dr. Alexander Diehl, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Städtischen Klinikum Braunschweig. So könnten etwa Antidepressiva verabreicht werden, die nicht abhängig machten. Parallel könnten Entspannungstechniken helfen, die der Patient erlernen kann, sowie eine Psychotherapie, die dazu beitragen kann, die Aufmerksamkeit auf andere Dinge als den Schmerz zu lenken. „Wenn nichts hilft und der chronische Schmerz bleibt, ist es gerechtfertigt, auf Cannabinoide zurückzugreifen“, sagt Diehl. Allerdings müsse die Menge dosiert sein und die Therapie vom Arzt kontrolliert werden. Problematisch findet der Arzt, dass das Schmerzmittel nicht aus der Apotheke komme, sondern selbst angebaut werde. „Die Dosis ist nicht absehbar.“

Wie auch opiathaltige Schmerzmedikamente kann Cannabis zu einer Abhängigkeit führen. „Bei hohem Konsum und bei einer individuellen Disposition kann es außerdem zu Konzentrations- und Denkstörungen kommen oder auch zu Depressionen und Psychosen“, sagt Diehl. Das Kölner Verwaltungsgericht hat den Anbau zu Therapiezwecken erlaubt, wenn der schwer kranke Patient austherapiert sei, es für ihn keine andere Behandlungsalternative zu Cannabis gebe und Apotheken-Cannabis unerschwinglich sei. Doch zu erkennen, ob der Patient tatsächlich austherapiert ist, sei in der Praxis nicht immer einfach, sagt Diehl. Das hätten die Erfahrungen in einigen US-Bundesstaaten gezeigt, in denen der Cannabis-Konsum bereits zu medizinischen Zwecken erlaubt sei. Herauszufinden für welchen Patienten Cannabis einen Nutzen haben kann, in welcher Dosis und über welchen Zeitraum es als Medikament verabreicht werden sollte, ohne dass eine Abhängigkeit entwickelt wird, sei schwer. Noch sei die Datenlage zur Wirkung von Cannabis-Medikamenten dünn. „Sicherlich ist nicht für jeden Schmerzpatienten Cannabis Mittel der Wahl und ganz sicher empfiehlt sich der Eigenanbau pflanzlicher Wirkstoffe zur Schmerzlinderung nur in wenigen Einzelfällen. Das Urteil wirft aber ein Licht auf das Schicksal der Menschen, die mit den derzeit verfügbaren pharmakologischen Optionen nicht ausreichend behandelt werden können und für die – aufgrund legislativer oder fiskalischer Gründe – keine alternativen Arzneistoffe verfügbar sind“, sagt Dr. Michael Überall, Präsident der Deutschen Schmerzliga, auf Nachfrage unserer Zeitung.

Das sagen die Behörden

CANNABIS ALS MEDIZIN

Das einzige in Deutschland zugelassene Medikament auf Cannabis-Basis ist – seit 2011 – Sativex. Darüber hinaus dürfen schwer kranke Menschen nur unter engen Voraussetzungen ausnahmsweise getrocknete Blüten oder auch Extrakte aus Blüten und Blättern über die Apotheken beziehen.

Dafür brauchen sie eine Genehmigung des Bonner Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

272 Patienten besitzen bundesweit eine solche Kauf-und-Konsum-Erlaubnis – auch die Kläger. Eine Genehmigung, die illegale Droge Cannabis zu Hause zur medizinischen Therapie anzubauen, hat das BfArM nach eigenen Angaben noch nie erteilt.

Den Hauptwirkstoffen Delta-9-TCH (auch THC oder Dronabinol) und Cannabidiol wird eine krampflösende und schmerzlindernde Wirkung zugeschrieben.

Bei Sativex erstatten Krankenkassen in bestimmten Fällen die Behandlungskosten.

Bei Blüten und Extrakten aus Apotheken müssen sie sich nicht an den Kosten beteiligen. dpa