Braunschweig. Dank digitaler Technik wissen wir jederzeit, wie gesund wir sind. Den ärztlichen Rat ersetzt sie aber nicht.

Sensoren-Pflaster ermöglichen einen Rundum-Check.
Sensoren-Pflaster ermöglichen einen Rundum-Check. © König

Egal, ob man sich täglich auf die Waage stellt, den Bizeps misst, die Kalorien zählt oder die Zeit beim Training für den Halbmarathon misst: In unserem Alltag beschäftigen wir uns viel mit Zahlen, sobald wir unser Verhalten einschätzen und verändern wollen. Daten sagen uns, ob wir abnehmen, gesünder essen, schneller werden oder Stress vermeiden sollten.

„Immer dann, wenn eine App in Richtung Diagnose oder Therapie geht, ist Vorsicht geboten.“
„Immer dann, wenn eine App in Richtung Diagnose oder Therapie geht, ist Vorsicht geboten.“ © Urs-Vito Albrecht, Leiter einer Arbeitsgruppe für medizinische Apps.

Wie das geht, zeigt uns die digitale Technik von heute. Mittels Apps, tragbaren Sensoren oder Computersoftware messen und beobachten wir unser Verhalten – mit dem Ziel, besser zu werden. Die Rede ist dabei vom sogenannten Selftracking, der Selbstvermessung. Die Idee dahinter ist ganz simpel: Indem wir unsere Aktivitäten regelmäßig messen, übernehmen wir die Kontrolle über unsere körperliche Verfassung.

Dass das Bewusstsein für den eigenen Körper und die Gesundheit wächst, wird nicht nur an der steigenden Zahl der Fitnessstudios oder dem Interesse an veganer und vegetarischer Ernährung deutlich. Ein Blick in die Produktpalette von Unterhaltungselektronikfirmen, Sportartikelherstellern oder der Gesundheitsbranche zeigt, dass das Thema insbesondere die jüngeren Generation zunehmend beschäftigt.


Fitness bequem mobil messen

Daniela König testet ein Mini-Messgerät, das die zurückgelegte Distanz und die verbrannten Kalorien festhält. Gesundheitsexperten und Ärzte empfehlen, täglich mindestens 10 000 Schritte zu gehen.
Daniela König testet ein Mini-Messgerät, das die zurückgelegte Distanz und die verbrannten Kalorien festhält. Gesundheitsexperten und Ärzte empfehlen, täglich mindestens 10 000 Schritte zu gehen. © Bernward Comes

„Es war nie einfacher, Aktivitäten per App aufzuzeichnen und zu dokumentieren“, meint Urs-Vito Albrecht, stellvertretender Leiter am hannoverschen Standort des Peter L. Reichertz Instituts für Medizinische Informatik der Technischen Universität Braunschweig (TU) und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). „Die neue Technik verspricht mehr Mobilität und Komfort.“ Seine Arbeitsgruppe geht der Frage nach, wie und unter welchen Bedingungen Apps im medizinischen Bereich angewandt werden (mobile Medical Apps).

Viele Fitness-Apps halten digitale Trainingspläne bereit.
Viele Fitness-Apps halten digitale Trainingspläne bereit. © dpa

Denn nicht nur im Lifestyle-Bereich gibt es zahllose Anwendungen. Gerade in den Gesundheitssektor ist durch Selftracking viel Bewegung gekommen. Inzwischen gibt es Multifunktionspflaster, die Puls, Kalorienverbrauch und Herzfrequenz messen, oder Bänder mit Sensoren, die auf die Matratze gelegt werden und die Schlafqualität messen.

Apps für Schlaganfall-Patienten

Tragbare Messgeräte zeigen die Anzahl der gelaufenen Schritte an.
Tragbare Messgeräte zeigen die Anzahl der gelaufenen Schritte an.

Auch Andreas Schreiber, Geschäftsführer der Firma Medando, entwickelt stetig neue Gesundheitsprodukte. Nachdem er selbst im vergangenen Jahr einen Schlaganfall erlitten hatte, musste er seine Sprechfähigkeiten neu trainieren. Neben der herkömmlichen Sprechtherapie wollte Schreiber aber zu Hause üben. Also tüftelte er an einer App, die auf Störungen der Sprechmotorik ausgerichtet ist. Dabei gibt eine Frau auf dem Handydisplay logopädische Übungen vor, um die Zungen- und Mundmotorik zu trainieren. Derzeit feilen er und sein Team an einer Kinder-Version, die spielerisch mit Memorykarten an die Übungen heranführt.

Daneben gibt es zahlreiche Apps, die Blutdruck- oder Pulswerte erfassen und über einen längeren Zeitraum speichern. Damit lassen sich Veränderungen der Werte langfristig ablesen. Das sei bequemer als zu Zeiten, als Patienten mit chronischen Erkrankungen die Daten auf Papier notierten.

„Richtig eingesetzt und in Zusammenarbeit mit dem Arzt kann ein penibel geführtes Patiententagebuch gerade bei chronischen Erkrankungen sicher helfen, Spätfolgen vorbeugen“, sagt Urs-Vito Albrecht.

Teufelswerk oder Erleichterung?

Doch wie offen sind Ärzte gegenüber den neuen digitalen Trends? Albrecht ist sich sicher: Es kommt auf die technische Affinität des Arztes an. Wer Apps als neumodischen Quatsch betrachte, werde mit den Daten nichts am Hut haben wollen. Den Grund sieht er vor allem im Datenschutz. Ärzte, die sich für die moderne Technik interessieren, stünden den medizinischen Entwicklungen positiver gegenüber.

Dennoch gibt es Grenzen. Denn in den App-Stores kursieren auch Anwendungen, die den Job des Arztes übernehmen. So ist es möglich, auffällige Hautflächen mit der Handy-Kamera zu fotografieren und maschinell auswerten zu lassen. Mit Blick auf bösartige Krankheiten warnen Experten davor, sich allein auf das Urteil einer App zu verlassen. „Kurz gesagt: Immer dann, wenn eine App in Richtung Diagnose oder Therapie geht, ist Vorsicht geboten – den ärztlichen Rat kann sie keineswegs ersetzen“, meint Urs-Vito Abrecht. Ob auch Ärzte und Kliniken künftig eigene Apps entwickeln, müsse sich aber erst zeigen. „Es ist viel Bewegung im Markt. Das ideale Anwendungsszenario wird noch gesucht.“