Braunschweig. Die Bewohner eines Braunschweiger Pflegeheims treffen sich jede Woche zum Bowlen – allerdings nicht mit echten Kugeln, sondern mit einer Spielkonsole.

Heinz Weule klemmt sich den Gehstock zwischen die Beine. Der 92-Jährige hat auf dem Stuhl neben dem Beamer Platz genommen und holt mit seinem Arm tief aus. Mit Schwung will er die virtuelle Bowlingkugel auf die Bahn werfen, die an die Wand projiziert wird. Doch es klappt nicht, Abbruch, ein Raunen geht durchs Publikum. „Du hast wieder losgelassen!“, ruft eine Zuschauerin vorwurfsvoll. Eigentlich weiß Heinz Weule doch, dass er den Knopf gedrückt halten muss.

Im Speisesaal des Braunschweiger Awo-Pflegeheims Am Inselwall werden jeden Donnerstagnachmittag Bilder abgehängt und Tische verrückt. Eine Stunde lang bowlt ein Ehrenamtlicher der Volker-Brumme-Stiftung mit den Bewohnern – allerdings nicht mit echten Kugeln, sondern mit der Spielkonsole Wii. Die Bahn existiert nur virtuell an der Wand.

Normalerweise spielen Schüler mit den Senioren, doch an diesem Ferientag ist Projektgründerin Angela Volker-Brumme eingesprungen. An dem schwülen Nachmittag sind nur fünf Damen und zwei Herren zum Kegeln – wie sie es nennen – gekommen, sonst sind es zehn bis zwölf. Aber das Spiel ausfallen zu lassen, kommt nicht infrage für Weule und seine Mitbewohner.

Von Anfang an bowlte der Rentner mit, als die Stiftung den Wii-Nachmittag vor gut eineinhalb Jahren einführte. So etwas „Neumodisches“ wie einen Computer hat er nie besessen, doch Berührungsängste hatte er nicht. Er sei sogar besser als früher im Kegelverein, die echten Kugeln zu werfen, findet er schwieriger. Vom virtuellen Bowlen hält den 92-Jährigen nicht einmal sein gebrochener Arm ab. Die Schmerzen hält er aus, denn das Spiel bringt „ein bisschen Abwechslung“ in seinen Heimalltag.

Aus diesem Grund bietet die Stiftung das digitale Bowlen inzwischen in elf Braunschweiger Heimen an. Die Idee hatte Angela Volker-Brumme, als sie die Konsole bei ihrem Neffen ausprobierte. Von einem ähnlichen Projekt von Münchner Studenten hatte sie schon im Radio gehört. 2010 startete die 66-Jährige ihr eigenes.

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Manche Heimbewohner hatten sehr große Berührungsängste, das Gerät auch nur anzufassen, erinnert sich Volker-Brumme. Doch nach einem halben Jahr beherrsche etwa die Hälfte die Technik. Dem ein oder anderen muss sie allerdings jedes Mal aufs Neue erklären, wie die Konsole funktioniert.

Die Spieler feuern sich gegenseitig lautstark an. Ganz alleine können nur zehn bis 15 Prozent von ihnen spielen, schätzt Volker-Brumme. Vielen hilft sie bei der richtigen Armbewegung; andere drücken ständig auf die falschen Knöpfe der Fernbedienung, deren Sensoren die Bewegungen übertragen. Einer der Freiwilligen hat deshalb eine Hülle für die Fernbedienung entwickelt, damit die Spieler nicht mehr aus Versehen einen Neustart auslösen.

Immer wieder hört Volker-Brumme, echtes Kegeln mache mehr Spaß. Dafür geht es mit der Konsole auch im Sitzen, sogar Bewohner im Rollstuhl spielen mit. Zum Beispiel Lilo Geldmacher, die es heute zum ersten Mal ausprobiert. Beim zweiten Wurf landet sie gleich einen Strike. Die Zuschauer applaudieren, die 85-Jährige strahlt.

Heimleiter Arnold Sebök hätte es am Anfang nicht für möglich gehalten, dass die Bewohner mit der Technik umgehen können. Er ist begeistert: „Das belebt unseren Alltag.“ Zudem bringe das Projekt die Generationen zusammen.

Inzwischen hat die Stiftung mehr Anfragen als Ehrenamtliche. Die Wii komme bei den Heimbewohnern besser an als Ballgymnastik. Neben Applaus und Selbstwertgefühl gibt es am Inselwall sogar Preise wie eine Tafel Schokolade. Angela Volker-Brumme sorgt dafür, dass nicht immer dieselben gewinnen. Das lässt sich mit ihrer Hilfe bei der Armbewegung ganz gut steuern. Bei ihrem Traum würde sie aber nicht eingreifen: einer Meisterschaft zwischen den Heimen.