Braunschweig. Die Bortfelder Rübe kehrt zurück. Für Freunde der regionalen Küche und für die, die es werden wollen, ist das eine kleine Sensation.

„Was es an Obst und Gemüse in der Region gibt, kenne ich“, stellt Thorsten Pitt fest. „Und dann erzählte mir jemand etwas von der Bortfelder Rübe. Was soll ich sagen? Die kannte ich gar nicht, obwohl ich aus Wendeburg komme.“

Thorsten Pitt ist Direktor des Mövenpicks in der Wolfsburger Autostadt. In seinen Restaurants dort wird immer mehr typisches Obst und typisches Gemüse aus der Region angeboten. „Weil wir eine Geschmacks-Kulturregion sind“, sagt Pitt.

Geschmacks kultur hat in der Region gut und gerne 500 Jahre Tradition. Das weiß Heiner Schrobsdorff aus Braunschweig. Als er von der Bortfelder Rübe hörte, musste sich der Bio-Bauer und Kräuter-Experte erst einmal gründlich informieren.

„Ich fand in Goslarer Annalen aus dem Jahr 1508 über die damalige Ratswahl die Notiz, dass man ,bortfeldische rove unde appele unde castandien‘ aß“, sagt Schrobsdorff.

Und Hans-Helmut Oestmann von Slow-Food Braunschweig begegnete die Bortfelder Rübe bei einer völlig anderen Recherche: „Ich beschäftigte mich mit Braunkohl und arbeitete mich durch die Bibliothek des Braunschweigischen Landesmuseums. Und immer wieder stieß ich auf Rezepte, in denen die Bortfelder Rübe wichtiger Bestandteil war.“

Saatgut für „Bortfelder“ ist schwer zu bekommen

Wie es so kommt: Pitt erzählte Oestmann bei einem Slow-Food-Treffen von der Bortfelder Rübe und Oestmann erzählte bei einem ebensolchen Treffen Schrobsdorff davon.

Was dabei herauskam? Die drei Herren beschlossen, dass die Bortfelder Rübe unbedingt auf die heimischen Teller zurückkehren muss. Aber es gibt auch noch einen anderen Grund: Sie steht auf der Roten Liste der gefährdeten einheimischen Nutzpflanzen in Deutschland. Das hat sie wirklich nicht verdient, sagen die drei Herren. Also, her mir der Rübe.

Leicht gesagt. Heiner Schrobsdorff erhielt Saatgut über das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben, das wiederum auf Bestände in Schweden zurückgreifen musste.

Apropos Schweden. „Der schwedische Züchter W. Weibull gab im Jahr 1911 das ,Illustrierte Jahrbuch für Kultur der Wurzelgemüse‘ heraus. Darin schreibt er: ,Bemerkenswert sind unter anderem Bortfelder mit hohem Gehalt an Trockensubstanz, mildem Geschmack und bedeutender Ertragsfähigkeit‘“, zitiert Heiner Schrobsdorff.

Die Sache mit dem Ertrag wird sich erweisen. Spannender ist die Geschmacksfrage. Thorsten Pitt urteilt: „Nussig.“ Hans-Helmut Oestmann stellt fest: „Eine leichte Schärfe, die an Senf erinnert.“ Heiner Schrobsdorff beschreibt: „Geschmacklich zwischen Kohlrabi und Steckrübe.“

So wird die Rübe zum Genussmittel

So viel dazu. Und wie wird sie zubereitet? 1847 behauptete die Augsburger Allgemeine Zeitung: „Als Trost in der Kartoffelnot wird der Anbau der Bortfelder Ackerrübe (sehr ertragreiche, längliche Stoppelrübe) empfohlen.“

Das klingt nach Beilage. „Als Beilage kann man sie nehmen. Ich stelle mir vor, dass sie ausgezeichnet als Rohkost im Salat schmeckt“, sagt Oestmann und Schrobsdorff setzt auf: „Suppe!“

Thorsten Pitt lässt seinen Küchenchef Daniel Kluge entscheiden, wenn die Ernte eingetroffen ist. „Kann sein, dass wir ein Süppchen daraus machen. Es kann aber auch sein, dass wir sie leicht anbraten, glasig werden lassen und dann mit einem Spritzer naturtrüben Apfelsaft ablöschen“, überlegt Pitt.

Nun, daheim selbst ausprobieren können es die Freunde der regionalen Küche und die, die es werden wollen, noch nicht. Die Erntemengen reicht noch nicht aus, um damit den Wochenmarkt zu beliefern.

Vermutlich werden die in diesem Jahr von Heiner Schrobsdorff geernteten Bortfelder Rüben – im Übrigen die Schwestern der Teltower Rübchen – ausreichen, um sie beim Genießertreffen „Natürlich tafeln“ am 26. Oktober in der Autostadt vorzustellen (Info: www.autostadt.de).

Wenn es nach Hans-Helmut Oestmann geht, dann soll der Anbau so ausgeweitet werden, wie schon der des regionaltypischen Braunkohls.

Weshalb es wichtig ist, sich so für Gemüse einzusetzen? „Es wäre schade, wenn die Rübe endgültig verloren ginge. Sie hat einen guten Geschmack. Und sie hat mit unserer regionalen Identität zu tun“, sagt Oestmann.

Rezept:

Hans-Helmut Oestmann von Slow-Food Braunschweiger Land ist unermüdlich im Finden historischer Rezepte. Selbstverständlich hat er sie auch für die Bortfelder Rübe gefunden – in einem mehr als 300 Jahre alten Braunschweiger Kochbuch. Hier ein Auszug:

Maria Sophia Schelhammerin

„Die wol unterwiesende Köchinn“

In Verlegung Christoph Friedrich Fichels, Braunschweig, 1704.

Von allerley Rüben.

Die Rüben sind hier zu Lande viellerley Arten und halten wir die Märckischen für die besten. Es seynd deren auch unterschiedliche Arten/ davon doch eine viel schmackhafter/als die andere. Die kleinen sind die besten/ un nennen sie etliche trockene Rüben/ und essen sie/ weil sie sonderlich delicat sind/ oder schaben sie/ un legen sie im Nachtische für Confect auf. Somit haben wir ferner die Früh-Rüben/ die Bortfeldischen/ die grossen weissen/ welche man auch wol Kuhrüben nennet/weil man das Vieh damit füttert. Die Bortfeldische Art ist unter diesen die beste. Sie arten aber/ ob man gleich den Samen hat nirgends gut/ als zu Bortfeld/ wie die Märckischen in der Marck.

Man bereitet sie auf folgende Art zu:

1. Märckische Rüben zu kochen.

Man schabet und kochet sie in Wasser ein wenig/ alsdenn thut man Fleischbrühe/ Butter/ Semmelkrumen/ Pfeffer/ Muscatblumen/ und einen Löffel voll oder zwei süssen Rahm daran. Wenn man sie anrichtet/ belegt man den Schüsselrand mit Schnitten von dürren Peckelfleisch/ auch wohl guter Bratwurst/ gekochetem oder rohen Schincken. Man kochet sie auch an Hüner und Portagen/ auch allerley Fleisch und Fische/ absonderlich am Hechte/ wie schon gemeldet.