Braunschweig. Interview mit dem Chefarzt der Pathologie in Braunschweig – Informationstag zum Thema Krebs am Samstag

Eine winzige Gewebeprobe reicht aus, um festzustellen, ob ein Patient an Krebs erkrankt ist. Wie funktioniert so etwas? Und was ist Krebs eigentlich? Darüber sprach Eva Lienemann mit dem Chefarzt der Pathologie im Klinikum Braunschweig, Professor Konrad Donhuijsen.

Herr Professor Donhuijsen, als Pathologe stellen Sie mit Hilfe eines Mikroskops fest, ob ein Patient Krebs hat. Wie sieht Krebs eigentlich aus?

Anders als eine normale Zelle aussehen würde. Wir kennen als Pathologen die normale Struktur einer Zelle und des sie umgebenden Gewebes, und vergleichen dieses Bild mit der Probe, die vor uns auf dem Objekttisch liegt. Im Prinzip machen wir eine Bildanalyse. Wir bewerten Abweichungen von der Normalstruktur und wissen so, welche Art von Krebs es ist.

Ist Ihr Job nicht frustrierend? Sie sehen sich ein Bild an und wissen, dass ein Mensch todkrank ist.

Krebs ist eine gefährliche Krankheit, aber sie muss nicht mehr tödlich verlaufen. Außerdem stellen wir nicht bei jedem der Fälle Krebs fest. Bei vielen der Proben, die wir untersuchen, finden wir Vorstufen oder frühe Krebsstufen, die gut heilbar sind.

Beim Pathologen denken ja viele an Tod, an Leichenöffnungen, an den Rechtsmediziner aus der amerikanischen Krimiserie. Doch Obduktionen mit klinischer Fragestellung werden heute nur noch relativ selten durchgeführt. Wir untersuchen im Jahr Proben von etwa 60 000 lebenden Patienten und nehmen etwa 100 Obduktionen vor.

Die Diagnostik ist heute sehr vielfältig, und das fasziniert viele Kollegen. Vielen älteren Pathologen fällt es deshalb schwer, sich von der mikroskopischen Welt zu verabschieden. Es gehört viel Erfahrung dazu, bis man als Pathologe dieses riesige Bildarchiv im Kopf hat und mit dessen Hilfe man die verantwortungsvolle Diagnose stellen kann.

Der Vortrag, den Sie am Samstag in Braunschweig halten werden (siehe „Service“), hat den Titel „Was ist Krebs?“ Wie erklären Sie Laien diese komplizierte Krankheit?

Zunächst mit einem Grundsatz: Der Körper besteht aus Zellen, die sich erneuern. Manche tun dies intensiv, andere weniger intensiv. Das geschieht nach einem festgelegten Programm. Aber dieses Programm ist anfällig für Störungen. Manche Veränderung oder Störung ist nicht von Dauer: eine Verletzung etwa, oder Hormonschwankungen. Krebs aber ist eine dauerhafte Störung. Auch wenn sich Zellen ständig erneuern – eines tun sie normalerweise nicht: sich unplanmäßig vermehren. Beim Krebs versagt quasi die Wachstumsbremse – die Zelle wächst einfach weiter. Wer am Samstag den Vortrag besucht, wird die Möglichkeit haben, sich einige Beispiele unter dem Mikroskop anzusehen. Im Vergleich von gutartigen und bösartigen Gewebeproben sehen auch Laien, wenn ein Bild gravierend vom anderen Bild abweicht.

Natürlich möchte jeder gerne wissen: Wie kann ich diese Störung – also den Krebs – bloß verhindern?

Krebs kann man nicht absolut vermeiden, und je älter wir werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken. Denn mit dem Körper vergreisen auch die Zellen. Sie können sich so schlechter selbst reparieren. Aber: Man kann das individuelle Risiko verringern. Es gibt drei gravierende Risikofaktoren, die eigentlich allen bekannt sind: Rauchen, Sonne, Viren.

Ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis man sagen kann: An Krebs muss niemand mehr sterben?

Die Hoffnung auf eine Weltformel gegen Krebs halte ich für unrealistisch. Immerhin sind wir mittlerweile so weit, dass man mit Hilfe molekularer Techniken das Genom eines Menschen auf Veränderungen untersuchen kann und damit ein Risiko für bestimmte Krebserkrankungen aufdecken kann. Da müssen wir uns aber fragen: Wollen wir wirklich alles wissen? Wer als Patient in so einen Test einwilligt, der muss sich darüber im Klaren sein, dass es schwere Konsequenzen für die eigene Zukunft haben kann.

Was zeigt Ihnen eigentlich das Mikroskop für ein Bild, wenn der Patient Krebs hat – einen Tumor etwa?

Wir sehen keinen kompletten Tumor, sondern Gewebe. Normalerweise wird erst an einer sehr kleinen Probe von zwei bis drei Millimetern die mikroskopische Diagnose Krebs gestellt. Das geschieht an Gewebeschnitten, die nur vier tausendstel Millimeter dick sind. Dann erst wird der Tumor vom Chirurgen entfernt und zu uns geschickt. Erst dann können wir sagen, wie weit der Tumor ausgedehnt ist, ob er Metastasen bildet, und auch, ob er komplett entfernt wurde.

Auf Ihrem Tisch liegen jetzt einige Gewebeschnitte. Wie werden die hergestellt?

Anfangs sehen die Proben natürlich nicht so aus, wie wir sie hier sehen. Ich gebe mal ein Beispiel: Wir haben eine Gewebestanze aus der Lunge, die weniger als einen Zentimeter groß ist. Diese Stanze ist aber immer noch viel zu groß, um sie zu untersuchen, wir brauchen ja vier tausendstel Millimeter.

Also wird die Probe mit Wachs durchtränkt werden, damit sie schnittfest wird. Von diesem Wachsblock wiederum werden dünne Schnitte angefertigt, die aussehen wie Hobelspäne. In einem Wasserbad werden sie geglättet und danach eingefärbt und zur gemeinsamen Begutachtung mit den Kollegen auf ein Glasplättchen fixiert.

Das klingt aufwendig. Wie viel Zeit vergeht denn zwischen der Operation und dem Ergebnis der pathologischen Untersuchung?

Wenn wir die Probe am Vortag bis nachmittags erhalten, können wir am nächsten Morgen die Diagnose stellen. Bei uns gilt das Vier-Augen-Prinzip. Das heißt: Zwei Ärzte sehen die krebspositiven Präparate. In komplizierten Fällen wird die Probe dann aber auch noch zu einem Referenzzentrum geschickt, dann dauert es natürlich länger. Manchmal muss es aber auch sehr schnell gehen. Wenn die Ärzte während einer Operation wissen müssen, wie viel Gewebe dem Patienten entnommen werden muss, können wir die Probe unter der Operation ins Labor gegeben – ein sogenannter Schnellschnitt. Nach 15 Minuten erhalten die Ärzte im OP das Ergebnis.

Können Sie anhand der Probe feststellen, welche Heilungschancen ein Patient hat?

Eine Prognose zu stellen bedeutet, die Ergebnisse für einen einzelnen Patienten im Vergleich zu sehen zu anderen ähnlich gelagerten Fällen. Dabei kommt ein statistischer Wert heraus, eine Wahrscheinlichkeitsaussage. Ein Patient kann ober- oder unterhalb des Durchschnitts liegen. In vielen Fällen kann man aber Hoffnung machen, wenn der Krebs früh entdeckt wurde.