Braunschweig. Sollen Eltern vor der Geburt untersuchen lassen, ob sie ein Kind mit Down-Syndrom erwarten? Betroffene und Mediziner geben eine Einschätzung ab.

Janine Andritzki war 34 Jahre alt, als sie schwanger wurde. Das Risiko, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen, war für sie höher. Bei einer vorgeburtlichen Untersuchung kam die Bestätigung: Ihr Kind hatte das Down-Syndrom. „Ich war schockiert und habe nach der Familienberatung lange über eine Abtreibung nachgedacht“, sagt sie.

In Deutschland lassen jedes Jahr zwischen 30.000 und 40.000 Frauen das Erbgut ihrer Föten auf Veränderungen untersuchen. Wer eine Diagnose haben wollte, musste bisher entweder das Fruchtwasser oder eine Gewebeprobe aus der Plazenta untersuchen lassen. Beide Tests sind für die Föten riskant. Mediziner müssen mit einer Nadel von außen in den Mutterleib eindringen, um die nötigen Chromosomenproben zu bekommen. „Eine von Hundert Frauen verliert dabei ihr Kind“, erklärt Susanna Kramarz, Sprecherin des Berufsverbands der Frauenärzte und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.

Diese Gefahr gibt es beim neuen vorgeburtlichen Test für Down-Syndrom nicht. Eine Blutprobe der Mutter reicht aus, um die Chromosomen des ungeborenen Kindes zu untersuchen. Der Grund: „Im Blut einer schwangeren Frau befinden sich Teile des Erbguts des ungeborenen Kindes. Wir können diese Schnipsel entschlüsseln“, erklärt Elke Decker, Sprecherin des Unternehmens „LifeCodexx“, das den Test herstellt. Seit Montag sei er in mehr als 70 Praxen und Kliniken in Deutschland, Österreich, Liechtenstein und in der Schweiz verfügbar. In unserer Region bieten eine Praxis in Braunschweig und zwei in Hannover die Untersuchung an.

So funktioniert der Bluttest:

Kinder mit Down-Syndrom haben das Chromosom 21 nicht zweimal, sondern dreimal. Deshalb nennt man diese Behinderung auch Trisomie 21. In solch einem Fall hätte eine Schwangere auch mehr Erbgut-Schnipsel des Chromosoms 21 in ihrem Blut. Laut Decker kann der neue Test dies mit einer Genauigkeit von 98 Prozent anzeigen. „Wenn ein Verdacht auf Down-Syndrom besteht, wird zusätzlich noch eine Fruchtwasseruntersuchung gemacht“, erläutert Decker. Der Bluttest sei zwar sehr genau, aber eben doch nur eine Prognose.

Hundertprozentig zuverlässig sei der Test ebenfalls nicht, betont der Braunschweiger Pränatalmediziner Christian Schütte. „Bei 100 unauffälligen Tests stimmt dieses Ergebnis nur 95 Mal. Fünf Frauen könnten trotzdem ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt bringen.“ Wer den Bluttest machen lassen möchte, muss tief in die Tasche greifen. Er kostet 1250 Euro. Schwangere müssen die Untersuchung und die dafür nötige Beratung selbst bezahlen. Die Krankenkassen übernehmen nur die Kosten für eine Fruchtwasseruntersuchung, die kostet 800 Euro.

Das sagen die Kritiker:

Bei Politikern, Kirchen- und Behindertenverbänden stößt die vorgeburtliche Untersuchung auf scharfe Kritik. „Sie verstößt gegen die Menschenwürde und das Grundgesetz“, sagt Hubert Hüppe (CDU), der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. Artikel 3 besagt, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Hüppe warnt: „Ich befürchte, dass mit dem neuen vermeintlich einfacheren Test die Suche nach Menschen mit Down-Syndrom verstärkt wird.“ Eltern, die sich für ein Kind mit Down-Syndrom entscheiden, würden sich künftig noch öfter rechtfertigen müssen. Eine Klage gegen die Zulassung des vorgeburtlichen Bluttests plant Hüppe laut einer Sprecherin aber nicht.

Dem Bundesverband der Frauenärzte zufolge entscheiden sich jetzt schon 90 Prozent der Schwangeren für eine Abtreibung, wenn ihr Kind das Down-Syndrom hat. Landesgesundheitsministerin Aygül Özkan (CDU) warnt davor, ungeborene Kinder nur nach ihren Defiziten zu betrachten. „Den Einstieg in solche Verfahren beobachte ich mit großer Sorge. Wohin soll das führen?“ Das Landesgesundheitsministerium hatte prüfen lassen, ob es gegen die Zulassung des Testes in Niedersachsen vorgehen könnte. „Dafür gibt es momentan aber keine Möglichkeit“, sagt Sprecher Thomas Spieker. Der Grund: Das Sozialministerium in Baden-Württemberg ist für die Zulassung zuständig, weil der Hersteller dort seinen Sitz hat.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) steht dem Test zwar ebenfalls kritisch gegenüber. Dem baden-württembergischen Sozialministerium zufolge kann er aber nicht verboten werden. „Dafür sind die rechtlichen Voraussetzungen nach dem Gendiagnostikgesetz nicht gegeben“, erklärt eine Sprecherin.

Die ursprünglich für Juli geplante Markteinführung des Tests hatte sich trotzdem verzögert, da das Unternehmen dem Regierungspräsidium Freiburg nachträglich Fragen zum Medizinprodukterecht beantworten musste. Die Behörde gab Ende Juli grünes Licht. Eine Prüfung durch das Präsidium sei damit nicht verbunden, hieß es damals. Anders als bei Arzneimitteln gibt es bei Medizinprodukten kein besonderes Zulassungsverfahren.

Ärzte befürworten den Test:

Frauenärzte verteidigen den neuen Bluttest. „Er soll nur bei Schwangerschaften mit erhöhtem Risiko eingesetzt werden. Ein Dammbruch oder eine sprunghafte Zunahme von Schwangerschaftskonflikten ist deshalb nicht zu befürchten“, betont Klaus Friese, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Er erwarte lediglich einen Rückgang von Eingriffen wie der Fruchtwasseruntersuchung.

Frauen, die die neue Blutuntersuchung machen lassen möchten, müssen seit mindestens 12 Wochen schwanger sein und von einem Experten über das Down-Syndrom aufgeklärt und beraten werden. Friese zufolge ist eine Beratung auch bereits nach einer Fruchtwasseruntersuchung vorgesehen. Diese Untersuchung ist ab der 15. Schwangerschaftswoche möglich.

So bewertet eine Betroffene die Untersuchung:

Auch Janine Andritzki wurde nach der Diagnose beraten. Ihr Beratungsgespräch fand sie aber zu einseitig: „Es ging vor allem um eine mögliche Abtreibung. Berater sollten betroffenen Eltern auch empfehlen, eine Selbsthilfegruppe zu besuchen.“ Dort könnten sie erfahren, wie das Leben mit Down-Syndrom-Kindern ist. Den neuen Bluttest sieht die Braunschweigerin zwiespältig. „Wenn werdende Eltern umfassender beraten würden, wäre der Test an sich nicht schlimm. Ich würde ihn bei der nächsten Schwangerschaft auch machen lassen“, sagt Andritzki. Sie traf sich nach ihrer Beratung mit einer betroffenen Familie und entschied sich für das Kind. Ihre Tochter Lea ist heute drei Jahre alt, wie vorhergesagt, hat sie das Down-Syndrom.

Daniela Nielsen aus Wendhausen ist im neunten Monat schwanger und freut sichüber den neuen Bluttest. „Eltern haben das Recht zu wissen, ob ihr Kind gesund wird“, sagt sie. Die 28-Jährige hätte ihr Blut untersuchen lassen und bei einer positiven Diagnose wahrscheinlich abgetrieben. „Natürlich kann sich niemand in diese Lage hineinversetzen, aber ich weiß, dass ich weiterhin arbeiten möchte. Das wäre mit einem behinderten Kind nicht möglich.“

Das sieht Janine Andritzki anders. „Die Arbeit ist kein Grund. Ich bin Physiotherapeutin und habe wieder angefangen zu arbeiten, als Lea ein Jahr alt war“, betont sie. Für Frauen, die abtreiben wollen, habe sie Verständnis: „Ich habe ja auch darüber nachgedacht. Letztendlich habe ich mich für Lea entschieden, weil ich nicht damit klar gekommen wäre, mein Kind abzutreiben.“ Bereut hat sie ihren Entschluss nicht.

„Es ist anstrengend, aber sehr schön! Lea spürt, wie ich mich fühle, und liebt mich bedingungslos.“ Andritzki würde auch ein zweites Kind mit Down-Syndrom bekommen. Wichtig sei, die Unterstützung des Partners und der Familie zu haben. „Dass mein Mann sich schon vor mir für Lea entschieden hat, hat mich sehr bestärkt. Andere waren anfangs skeptischer. Heute sind diese Menschen Leas größte Fans.“

Fakten - Down-Syndrom:

Auf fast 700 Geburten kommt durchschnittlich ein Kind mit Trisomie 21. Charakteristisch sind körperliche Auffälligkeiten und eine verminderte Intelligenz. Typische Probleme sind Herzfehler, die Anfälligkeit für Infekte und Schwerhörigkeit.

Diese Praxen bieten den Bluttest an:

Braunschweig: Praxis für Pränataldiagnostik, Küchenstraße 10. Rufnummer: (05 31) 440 41.

Hannover: Zentrum für Pränatalmedizin, Podbielskistraße 122, Rufnummer: (05 11) 663 064.

Zentrum für Pränatalmedizin und Humangenetik, Podbielskistraße 122, Rufnummer: (05 11) 965 400