Braunschweig. Interview mit Lebensmittelchemiker Oliver Schmidt: „Europäische Grenzwerte werden meistens eingehalten“

Eltern müssen nicht befürchten, dass das Spielzeug ihrer Kinder künftig deutlich höhere Schadstoff-Konzentrationen enthalten darf. Dies sieht eine EU-Richtlinie vor, die aber in Deutschland nicht vollständig umgesetzt wird. Doch wie schadstoffbelastet ist unser Kinderspielzeug eigentlich?

Oliver Schmidt, Lebensmittelchemiker beim Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, ist dafür zuständig, Kinderspielzeug auf seine Sicherheit zu überprüfen. Mit ihm sprach Eva Lienemann.

Herr Schmidt, Deutschland möchte auf keinen Fall akzeptieren, dass EU-weit die Grenzwerte für Schadstoffe in Kinderspielzug angehoben werden. Klingt so, als wären unsere Kinder andernfalls in Gefahr?

Schmidt: Ganz so dramatisch ist es nicht. Auf den ersten Blick ist die Anhebung der Grenzwerte vielleicht eine Verschlechterung, aber die EU nimmt eine Differenzierung vor zwischen Sachen, die Kinder in den Mund nehmen und aus denen sich Stoffe lösen können und solchen Spielzeugen, bei denen das nicht der Fall ist. Nicht überall werden die Grenzwerte angehoben.

Aber sind nicht beide Arten von Schadstoffen gefährlich?

Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Gesamtgehalt des Spielzeugmaterials an dem jeweiligen Element und dem löslichen Anteil des Elements aus dem Spielzeugmaterial. Diesen nennt man auch bioverfügbaren Anteil. Nur der bioverfügbare Anteil ist giftig, also toxikologisch von Bedeutung. Er löst sich unter der Einwirkung von Magensäure und bei Körpertemperatur aus dem Spielzeugmaterial heraus und wird dadurch zum gesundheitlichen Risiko. Wohingegen alle Stoffe, die nicht in der Magensäure oder im Darm löslich sind, ungehindert und ohne Gefahr für die Gesundheit durch den Körper gehen.

Man kann sich schwer einen Grund vorstellen, warum ein Hersteller von Kinderspielzeug Schadstoffe für die Produktion verwendet. Warum ist das so?

Die Schadstoffe werden bei der Herstellung von Kunststoff als Katalysator benutzt. Dann gibt es zum Beispiel Stoffe, die einen schönen Farbton ergeben und deshalb für die Produktion verwendet werden. Zudem gibt es Stoffe – zum Beispiel Nickel und Cadmium – die stecken so fest im Kunststoff drin, dass sie sich nicht lösen können, und somit auch nicht vom Hersteller wieder herausgelöst werden könnten.

Wie untersuchen Sie das Spielzeug denn?

Nehmen wir das Beispiel Gummi-Ente. Aus Erfahrung würden wir wissen, dass diese Ente eventuell verbotene Weichmacher enthalten kann. Wir schneiden ein Stück ab, legen es in Lösungsmittel ein und überprüfen es chemisch.

Wir arbeiten auch viel mit dem Skalpell: Bei Holzspielzeug wird zunächst die zugängliche, äußere Schicht des Spielzeugs vorsichtig abgetrennt. Der abgetrennte Lack wird mit Magensäure-Simulanz-Lösung bei Körpertemperatur behandelt: eine Stunde bei 37 Grad unter ständiger Bewegung und anschließend eine Stunde bei 37 Grad unter Ruhigstellung. Die entstandene Lösung wird dann auf den Gehalt an gelösten Elementen und Schwermetallen untersucht. Und es ist dann nicht so wie im Fernsehen: Da hat man das Ergebnis meist am selben Tag, in Wahrheit ist es unheimlich aufwendig, es kann auch Wochen dauern.

Würden Sie sagen, dass das Kinderspielzeug qualitativ schlechter geworden ist?

Nein, das kann man so nicht sagen. Die Chinesen, die größter Spielzeuglieferant auch für den deutschen Markt sind, produzieren das Spielzeug so, dass die europäischen Grenzwerte eingehalten werden. Man kann nicht per se sagen: Alles, was aus China kommt, ist schlecht. Es ist ohne Zweifel möglich, Spielwaren so herzustellen, dass alle Grenzwerte eingehalten werden. Qualitätshersteller versuchen natürlich, nicht nur diese Mindestanforderung einzuhalten. Es gibt Hersteller, die sich freiwillig zusätzlichen Qualitätsregeln unterziehen. Sie streben zum Beispiel das „GS-Siegel“ für geprüfte Sicherheit an, um sich von der Masse abzuheben.

Dass das Spielzeug immer schlechter wird, kann man jedenfalls nicht sagen. Der Verbraucher muss sich nicht sorgen.