Braunschweig. Wer seine schriftliche Diagnose vom Arzt erhält, versteht sie oft nicht. Ein Braunschweiger Orthopäde hat uns mit der Übersetzung geholfen.

Wer seine schriftliche Diagnose vom Arzt erhält, versteht sie oft nicht. Deshalb boomt der Arztbrief-Übersetzungsdienst „Was hab ich?“ im Internet. Ein Braunschweiger Orthopäde hat uns einmal mit der Übersetzung seines Befundes geholfen.

„Die Patientin hat ein deutliches Genu varum und eine medial und retropatellar betonte Pangonarthrose links.“ Wer solche Sätze in seinem Arztbrief findet und kein Mediziner ist, ist nicht schlauer als vorher. Ärzte eignen sich während des Studiums erst die Fachbegriffe an, manch einer kann sie im Berufsalltag kaum noch ablegen.

Professor Karl-Dieter Heller, Chefarzt der Orthopädie im Braunschweiger Herzogin-Elisabeth-Hospital, hat für uns einen Arztbrief aufgesetzt – einmal in der medizinischen Fachsprache, dann in der Übersetzung ins Hochdeutsche. So eine Übersetzung ist vermutlich sehr viel seltener als die Diagnose, die am Ende auch wir verstehen: O-Beine, Kniegelenksverschleiß.

Schon klar: Ein Arztbrief, das ist der Schriftverkehr zwischen Fachleuten, ein Austausch unter Kollegen. „So ist die Nomenklatur. Es wäre eigenartig, wenn man einem Kollegen gegenüber die Erkrankung auf Hochdeutsch umschreiben würde“, sagt Orthopäde Heller.

Andererseits halten immer mehr Patienten den schriftlichen Befund als Kopie in ihren Händen, was ihr gutes Recht ist. Denn auch wenn der Arzt mündlich über die Krankheit informiert hat, möchten einige Patienten ihren Befund in Ruhe nachlesen. „Vielleicht hat der Patient vor lauter Aufregung nicht richtig zugehört oder die entscheidenden Fragen nicht gestellt“, sagt Elke Gravert. Sie leitet die Beratungsstelle Hannover der Unabhängigen Patientenberatung und hat oft mit Patienten zu tun, die mit ihren Unterlagen zu ihr kommen, weil sie sie nicht verstehen. „Manchmal trauen sich die Patienten nicht, nachzufragen, manchmal verstehen sie die Ausführungen ihres Arztes einfach nicht“, sagt Gravert, „manchmal sind Sprachprobleme die Ursache.“

Es ist paradox: Viele Menschen nutzen wie wild das Internet, um sich in Gesundheitsforen auszutauschen, sind interessiert, was ihre Krankheiten bedeuten – und fühlen sich offenbar durch ihren Arzt am wenigsten gut informiert.

Auch deshalb boomt wohl der Internet-Übersetzungsdienst „Was hab’ ich?“, den Medizinstudenten höherer Fachsemester, Ärzte und Diplom-Psychologen ehrenamtlich im Internet anbieten. Dort können Patienten ihre Befunde übermitteln und erhalten sie ins Hochdeutsche übersetzt und mit Anmerkungen versehen zurück. Inzwischen ist der Dienst so überlaufen, dass die Patienten auch hier mit ihrem Befund in einem Wartezimmer Platz nehmen müssen – einem virtuellen natürlich. 509 Medizinstudenten und Ärzte aus ganz Deutschland sind bei „Was hab ich?“ tätig, das Portal gibt es erst seit einem guten Jahr. 150 Arztbriefe übersetzen die ehrenamtlichen Mitarbeiter laut eigener Auskunft pro Woche. Schwerpunkt: ausgerechnet Orthopädie. Das berichtet „Was hab ich?“-Gründungsmitglied Ansgar Jonietz aus Dresden.

„Eigentlich ist das eine traurige Entwicklung“, sagt Professor Karl-Dieter Heller vom Braunschweiger Herzogin-Elisabeth-Krankenhaus. „Es bedeutet ja, dass der Arzt sich nicht klar genug ausgedrückt hat, oder der Patient nicht so lange gefragt hat, bis er alles verstanden hat.“ Heller vermutet aber, dass durch die Übersetzung des Arztbriefes die Fragen eher mehr als weniger werden. „Übersetzen löst keine Probleme. Viel wichtiger ist es, sich persönlich mit dem Arzt auszutauschen“, sagt der Orthopäde. Doch gerade dieser Austausch zwischen Arzt und Patient wurde bislang bei der Medizinerausbildung zu wenig berücksichtigt – „Das kam früher definitiv zu kurz“, sagt auch Heller.

Das ändert sich gerade: Wo früher private Anbieter Seminare in Arzt-Patienten-Kommunikation anboten, wird diese heute an den Universitäten gelehrt. Erst im Mai wurde in einer Änderung der Zulassungsordnung für Ärzte festgeschrieben, dass Gesprächsführung Inhalt der Ausbildung wird. An der Medizinischen Hochschule in Hannover üben sie das Arzt-Patienten-Gespräch schon seit sechs Jahren in einem Modellstudiengang. „Im Regelstudium fängt der Kontakt zum Patienten erst an, wenn die naturwissenschaftliche Ausbildung nach zwei Jahren beendet ist“, sagt Professor Ingo Just, Studiendekan in Hannover. „Im Modellstudiengang steht der Patient vom ersten Tag an im Mittelpunkt.“ An Schauspielpatienten wird beispielsweise geübt, wie man schlechte Diagnosen übermittelt.

Zweites Beispiel Oldenburg. Dort wird ab Wintersemester ein deutsch-niederländischer Medizinstudiengang angeboten: Die Anwärter dafür werden auch danach ausgewählt, wie mitfühlend sie im Gespräch sein können.

Wie viel Gesprächsbedarf ein Patient hat, ist unterschiedlich. „Natürlich kommt es auch auf die Art der Diagnose an“, sagt Orthopäde Heller. In der Orthopädie lägen die Fälle meist etwas klarer und seien nicht lebensbedrohlich wie in der Krebsmedizin. „Es ist etwas anderes, wenn es um eine lebensbedrohliche Erkrankung geht, dann gibt es natürlich viel mehr zu besprechen, dann fragen die Patienten auch genauer nach“, sagt Heller

Fürs Nachfragen plädiert auch Patientenberaterin Gravert: Patienten müssten sich mehr trauen, sagt sie. „Sie müssen ihren Arzt in die Pflicht nehmen.“

Seriöse Gesundheitsinformationen im Netz und am Telefon:

Die unabhängige Patientenberatung: www.unabhaengige-patientenberatung.de, Telefon: (0511)7014829

Krebsinformationsdienst www.krebsinformationsdienst.de, Telefon 0800 4203040

Der kostenlose Übersetzungsdienst für Befunde: www.washabich.de

Die Internetseite des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen: www.gesundheitsinformation.de

Die Internetseite der Kassenärztlichen Vereinigung: www.kbv.de