Braunschweig. An einem Herzinfarkt sterben eher Männer, Depressionen treiben eher Frauen in den Freitod. Soweit die Vorurteile. In Wahrheit ist es umgekehrt.

Frauen können auch in der Arztpraxis Opfer von Rollenklischees werden: So lautet die Bilanz des in der vergangenen Woche veröffentlichten Arzneimittelreports, den die Barmer GEK auf Grundlage ihrer Versichertendaten erstellt hat. Besonders auffällig zeigt sich das bei der Behandlung der beiden großen Volkskrankheiten: Herzinfarkt und Depression. Demnach werden Frauen eher wegen seelischer Leiden mit Medikamenten behandelt, während sie nach einem Herzinfarkt häufig später als Männer ärztlich versorgt werden.

Herzinfarkt

Im Jahr 2010 verstarben laut Statistischem Bundesamt 32975 Männer (52,9%) und 26132 Frauen (44,2%) an einem Infarkt. Ja, auch Frauen bekommen Herzinfarkte. „Allerdings im Durchschnitt etwa 10 Jahre später als Männer“, sagt Professor Matthias Heintzen, Kardiologe und Chefarzt der Medizinischen Klinik II am Klinikum Braunschweig. Doch die Symptome sind bei Frauen andere als bei Männern. Trotzdem werden immer noch männliche Kriterien angesetzt: Starke Schmerzen, die in den linken Arm ausstrahlen, ein massives Engegefühl in der Brust. Dass Frauen übel ist und sie schlecht Luft bekommen, wenn sie einen Herzinfarkt haben, ist kaum bekannt.

„Frauen denken oft gar nicht an den Herzinfarkt, die Symptome erscheinen nicht so lebensbedrohlich“, sagt Kardiologe Heintzen. Die Folge: Sie kommen seltener und zu spät ins Krankhaus. Laut der Versichertenstudie der Barmer sterben 32 Prozent der Männer, aber 38 Prozent der Frauen direkt in Folge einer Herzattacke noch vor Einlieferung in eine Klinik.

Doch auch im Krankenhaus wird es nicht besser: „Bei Frauen ist die Diagnose nicht so einfach zu stellen“, sagt Heintzen. „Deshalb schicken Ärzte die Patientinnen manchmal nicht sofort zur Abklärung zu einer Herzkatheteruntersuchung.“ Obwohl doch gerade bei einem Herzinfarkt gilt: Eine zügige Behandlung ist entscheidend.

Der Herzinfarkt ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich Medizin immer noch stark am männlichen Körper orientiert: Selbst Medikamente wurden lange Zeit nur an Männern erprobt. „Frauen brauchen häufig eine ganz andere Dosierung der Medikamente, auch bei Herzkrankheiten“, sagt Heintzen. Häufiger litten die Betroffenen unter Diabetes, seien älter als männliche Herzinfarktpatienten – das müsse sich auch in der Auswahl und Dosierung der Medikamente niederschlagen. Schon seit einigen Jahren beschäftige sich die Kardiologie in Arbeitsgruppen mit diesem Thema.

Der Arzneimittelreport deutet jedoch auf nur geringe Fortschritte hin. Wenn eine Frau einen Infarkt überlebt hat, wird sie demnach zwar gleich gut mit Medikamenten weiterbehandelt wie ein Mann. Trotzdem hätten Frauen ein erhöhtes Risiko, gar keine angemessene Therapie mehr zu erhalten.

Depressionen

Auch bei der Behandlung von Depressionen schnappt die Rollenfalle oft noch zu. Der Arzneimittelreport schlägt Alarm: Frauen bekommen viel häufiger und länger Psychopharmaka verschrieben als Männer, heißt es dort. „Ein Grund dafür ist natürlich, dass Frauen doppelt so häufig an Depressionen erkranken als Männer“, sagt Christiane Stein, leitende Oberärztin im Awo-Psychiatriezentrum Königslutter, der die Aussagen in dem Report zu pauschal sind. „Wer eine mittelschwere oder schwere Depression hat, der muss behandelt und vor allem auch entlastet werden“, sagt Stein. Ziel sei es, die Patienten stabil und belastbar aus der Klinik zu entlassen.

Zwar wird die Depression doppelt so häufig bei Frauen als bei Männern diagnostiziert, laut Statistischem Bundesamt nehmen sich aber dreimal so oft depressive Männer als Frauen das Leben: Im Jahr 2010 waren es 7564 (74,5%) Männer und 2556 (25,5%) Frauen.

Dass die Depression bei Frauen häufiger erkannt wird, liegt auch daran, dass Frauen häufiger zum Arzt gehen. „Sie lernen eher, auf ihren Körper zu hören“, sagt Ute Sonntag, Psychologin und Sprecherin des Bündnisses gegen Depression aus Hannover. Bei Männern hieße es immer noch: „Ein Mann ist so lange gesund, bis er tot umfällt.“ Frauen würden schon früh für ihren Körper sensibilisiert. Teenagersprechstunden beim Frauenarzt, die Antibabypille ab der Pubertät: „Mädchen werden schon an den Arztbesuch gewöhnt“, sagt Sonntag.

So treffe dann die schlechte Befindlichkeit einer Frau auf schlechte gesellschaftliche Bedingungen: Zu viele Ärzte würden Frauen Rezepte für Psychopharmaka ausstellen: „Psychotherapien werden weniger, Psychopharmaka mehr“, beklagt Sonntag. Die langen Wartezeiten für einen Platz bei Psychotherapeuten seien auch ein Grund dafür, dass Frauen die Praxis des Allgemeinmediziners mit einem Rezept für Psychopharmaka verließen.

Schön wäre es, so die Psychologen, wenn die Empfindsamkeit bei Männern zu- und bei Frauen etwas abnähme. „Doch das ist nicht nur ein individuelles Problem. Dazu müsste sich auch gesellschaftlich etwas ändern.“

Das sind die Anzeichen für einen Herzinfarkt:

•Starke Schmerzen mit einer Dauer von mehr als fünf Minuten, die in Arme, Oberbauch, Schulter ausstrahlen.

•Einschnürungsgefühl im Herzbereich

•Heftiges Brennen

Bei Frauen treten häufiger als bei Männern folgende Symptome auf:

•starke Kurzatmigkeit

•Übelkeit

•Erbrechen

•Luftnot

•Schmerzen im Oberbauch

Sind diese Schmerzen vorher noch nie oder noch nie so intensiv aufgetreten, sollten Sie den Notarzt rufen!

Beschwerden, die auf eine depressive Störung hinweisen können:

•Abgeschlagenheit, Mattigkeit

•Ein- und Durchschlafstörungen

•Appetitstörungen, Magendruck, Gewichtsverlust

•diffuser Kopfschmerz

•Druckgefühl in Hals und Brust

•funktionelle Störungen von Herz und Kreislauf

•Libidoverlust

•Gedächtnisstörungen

•Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit

Wann zum Arzt?

Einen schlechten Tag hat jeder einmal.

Wenn jedoch jede Kleinigkeit zur Last wird, Sie morgens schon niedergeschlagen aufwachen und kaum aufstehen können, wenn Sie sich isolieren, Sie keine Interessen mehr haben und dies über 14 Tage andauert, sollten Sie einen Arzt aufsuchen.

Wer Depressionen hat, kann sich zudem schlechter konzentrieren, jemand, der immer gern gelesen hat, schafft dies zum Beispiel plötzlich nicht mehr. Männer haben oft körperliche Symptome und werden gereizter.

Vorbeugen:

Es gibt vielfältige Ursachen für eine Depression. Auch traumatische Erlebnisse wie Missbrauch oder der Tod eines geliebten Menschen können eine Depression auslösen. Solche Ereignisse passieren unverhofft, daher lässt sich in solchen Fällen nicht vorbeugen – die Depression muss zunächst von einem Facharzt erkannt und behandelt werden. Ärzte sprechen von depressiven Episoden. Diese können nach einer Behandlung erneut auftreten. Um der erneuten Erkrankung vorzubeugen, gibt es Strategien. „Soziale Kontakte, Sport und Kreativität helfen dabei, stabiler zu werden“, sagt Psychiaterin Christiane Stein. Insbesondere sei es wichtig, seine Belastungsgrenze zu erkennen. Dabei leistet die Psychotherapie einen entscheidenden Beitrag, die Alltagsfähigkeit von Patienten wieder herzustellen.