Braunschweig. Ferrari rutscht von einer Panne in die nächste. Italien bangt mit. Denn Konkurrent Lewis Hamilton kann am Sonntag Formel-1-Weltmeister werden.

Bei seiner überhasteten Abreise nach der frühen Panne beim Großen Preis von Japan muss Sebastian Vettel den Tempel des Heiligen Pferdes passiert haben, der an der Ausfallstraße von Suzuka liegt. Denn Beten ist das einzige, was vielleicht hilft, um den Rückstand auf Lewis Hamilton im Mercedes in der Gesamtwertung der Formel 1 noch irgendwie aufzuholen.

Während sich der Brite am Sonntag (21 Uhr/RTL) in Austin/Texas schon im viertletzten Rennen zum Weltmeister machen kann, stecken Vettel und Ferrari in einer schweren Krise. Auch wenn es der Deutsche nicht wahrhaben will: „Es gleicht sich alles immer wieder aus. Wenn das Tempo passt, dann können wir alles schaffen.“ Aber wer setzt sonst darauf, dass die Titel-Durststrecke der Scuderia, die nun schon ein Jahrzehnt dauert, endlich zu Ende geht?

Das Management macht Druck

Alte Vorurteile brechen wieder auf, neue Rivalitäten entstehen, multipliziert mit der erstklassigen Intrigentauglichkeit des italienischen Rennstalls, dem Druck des Fiat-Managements und der fantasievollen Kritik der Medien, die sich als Sprachrohre der Ferraristi-Weltanschauung verstehen. Der Kritiker der Tageszeitung „La Republicca“ analysiert die missliche Lage mit dem angemessenen Pathos: „Ferrari ist (oder war) das Beste von Italien, ein Konzentrat aus Wissen, Expertise, Tradition und Innovation, technischer Handwerkskunst und Futurismus. Was für den freien Fall der italienischen Fußball-Nationalmannschaft gilt, gilt für Ferrari unter Sergio Marchionne: ein verlorenes Team. Wo ist nur diese einst gelobte Kraft der Gruppe?“

Es ist wie ein Hurrikan der Gefühle, der Ferrari auf der Schlussgeraden dieser WM-Saison zu verschlingen droht. Rot in höchster Not. Und, auch wenn das gemein klingen mag: Niemand leidet so schön wie das Traditionsteam aus Maranello. Zuverlässig und schnell zugleich zu sein, das ist der erfolgreiche Spagat, den Mercedes bis jetzt besser hinbekommen hat. Aber aufzugeben, das entspricht nicht Sebastian Vettels Naturell.

Lewis Hamilton könnte mit einem vierten Titel gleichziehen, der Heppenheimer mit seinem fünften einen weiteren Schritt in Richtung seines Idols Michael Schumacher tun. Der Deutsche ist ein Renn-Realo, bei allem Frust bleibt er sich treu: „Man kann über Pech oder Glück sprechen. Ich glaube aber generell nicht an so etwas. Aus Prinzip nicht.“

Entscheidend ist, wie tief das Vertrauen in seine Mannschaft ist – oder umgekehrt, wie tief dieses erschüttert ist. Denn Angst ist bekanntermaßen ein denkbar schlechter Ratgeber. Doch die Angst, wieder einen Fehler zu machen, ist groß. Das zerstört die Kultur, verstört zumindest. Vettel als verlängerter Arm von Teamchef Maurizio Arrivabene muss jetzt die Stimmung heben, die Moral retten und das Tempo für die rasende Rekonvaleszenz vorgeben. Ferrari braucht einen – im Wortsinn – schnellen Erfolg. In dieser Saison hat es für den italienischen Rennstall eine Panne zu viel gegeben.

„Wir sind alle am Limit. Da gehen Dinge manchmal halt auch kaputt“, gestand Vettel nach seinem zweiten Ausfall in den letzten drei Rennen.

„Potenzial ist vorhanden“

Jetzt muss sich zeigen, wie stark Arrivabene tatsächlich ist, oder ob ihm der polternde Fiat-Herrscher und Ferrari-Präsident Sergio Marchionne nur eine Gnadenfrist bis zum Winter eingeräumt hat. Ross Brawn, der zur Jahrtausendwende nach vier vergeblichen Anläufen mit Michael Schumacher und Jean Todt schließlich das erfolgreichste Scuderia-Trio der Geschichte bildete, bekundete öffentlich Mitleid.

„Die Asientournee war ein echter Alptraum für Ferrari. Ich fühle mit ihnen in diesen schwierigen Zeiten, denn das Team wird zuhause unter unglaublichen Druck geraten. Aber der einzige Schlüssel zum Erfolg ist es, Ruhe zu bewahren und die nächsten Ziele zu verfolgen.“

Vieles ist jetzt Kopfsache, damit Ferrari wieder zu Durchschlagskraft findet. Vettel hatte in einem Interview vor Suzuka noch die Aufholjagd seines Teams in dieser Saison gelobt, das auf Augenhöhe mit Mercedes fahre. Es ist lange her, dass Ferrari so konkurrenzfähig war. Deshalb sagt der Hesse: „Das Potenzial ist bei Ferrari vorhanden, die richtigen Leute sind an Bord, es gibt genügend talentierte Menschen. Es geht nur darum, die Zusammenarbeit zu optimieren.“