Essen. Der Sportwissenschaftler Michael Mutz hat die EM in Frankreich untersucht. Ergebnis: Fußballturniere machen uns zufriedener – bloß durchs Zuschauen.

Es gibt Fußball-Fans, die das schon immer wusssten. Und andere, die zweifelten. In Kürze werden sie es schriftlich bekommen: Ihr Sport macht glücklich! Und zwar schon beim Zugucken. Prof. Dr. Michael Mutz von der Justus-Liebig-Universität Gießen hat vor, während und nach der Europameisterschaft 2016 rund 1000 Menschen nach ihrer Lebenszufriedenheit gefragt. Das Ergebnis wird bald veröffentlicht. Im Interview mit dieser Zeitung spricht der Sportwissenschaftler über Gefühlsausbrüche und Biergärten.

Herr Mutz, macht Fußball wirklich glücklich?

Michael Mutz: Wenn man den Satz auf die EM- und WM-Turniere bezieht, würde ich sagen ja. Wir haben herausgefunden, dass die Lebenszufriedenheit während der Fußball-EM im letzten Jahr tatsächlich höher war als vor und nach dem Turnier. Wir finden relativ starke Effekte bei all denen, die sich für Fußball interessieren, die sich mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft identifizieren, und die die Spiele auch live im Fernsehen gesehen haben. Bei denen, die sich gar nicht für Fußball interessieren, verändert sich die Lebenszufriedenheit nicht. Sie sinkt aber auch nicht ab (lacht).

Warum waren Fußball-Fans während der EM in Frankreich zufriedener?

Michael Mutz: Wir sind noch dabei, das genauer auszuwerten. Erste Anhaltspunkte deuten auf die Emotionen, die man beim Fußballschauen erlebt. Viele Menschen berichten von intensiven und positiven Emotionen, die in gewisser Weise im Kontrast zur Gleichförmigkeit des Alltags stehen. Darüber hinaus dürften bei der Europameisterschaft soziale Bedürfnisse nach Gemeinschaft und Geselligkeit stärker befriedigt werden, weil man Fußball oft zusammen mit anderen schaut. Und ein dritter Faktor ist die Befriedigung von symbolischen Bedürfnissen nach Zugehörigkeit. Wenn die deutsche Nationalmannschaft erfolgreich spielt, kann man nicht zuletzt seinen eigenen Selbstwert stärken, wenn man sich mit dem deutschen Team identifiziert.

Es hängt also auch mit dem Abschneiden der Nationalmannschaft zusammen?

Michael Mutz: Das ist ganz sicher so. Wenn die Fußball-EM aus deutscher Sicht richtig ungünstig verlaufen wäre, hätten wir wahrscheinlich keine größere Zufriedenheit gemessen. Wir sehen in unseren Daten auch, dass es nach der Niederlage im Halbfinale einen kurzen Einbruch gibt – die Menschen waren enttäuscht. Aber der ist nach ein, zwei Tagen wieder verschwunden. Dann freuen sich die Leute aufs Finale.

Was ist besser: Alleine oder zusammen die Spiele schauen?

Michael Mutz: Wir können in unseren Daten sehen, dass das Emotionserleben beim Fußballschauen bei Personen deutlich intensiver war, die zum Public Viewing oder in den nächst gelegenen Biergarten gegangen sind. In der Gemeinschaft ist das Erlebnis intensiver.

Wenn ich die Spiele im Biergarten sehe, kann ich meine Lebenszufriedenheit steigern?

Michael Mutz: Im Grunde ist das so. Es kommt zu einer Art emotionaler Ansteckung. Man sieht die Freude oder auch die Anspannung bei anderen, und das springt über auf einen selbst. Das kommt natürlich nicht nur im Biergarten vor, sondern auch dann, wenn Sie mit mehreren Personen zu Hause das Spiel schauen. Erstaunlich dabei ist, dass sich positive Emotionen scheinbar schneller in der Gruppe übertragen als etwa Ärger oder Trauer nach dem verlorenen Halbfinale gegen Frankreich.

Wie lange hält der Effekt nach dem Turnier an?

Michael Mutz: Wir können nach unserer Studie sagen, dass im September der positive Effekt auf die Zufriedenheit fast vollständig verpufft ist. Allzu lange halten die Fußball-Effekte also nicht an: Ungefähr nach zwei Monaten ist alles wieder, wie es vorher war.

Lassen sich die Ergebnisse auch auf andere Ereignisse wie die Handball-EM übertragen?

Michael Mutz: Dort greifen die gleichen Mechanismen: Wer sich dafür interessiert und stark mitfiebert, kann auch beim Handball glücklich werden. Der große Unterschied zum Fußball ist aber die Reichweite in die Gesellschaft hinein. Unsere Daten zeigen, dass mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland die Spiele des DFB-Teams bei der EM gesehen haben. An diese Reichweite wird keine andere Sportart herankommen. Wenn Deutschland im Viertelfinale gegen Italien spielt, sitzt die halbe Republik vor einem Fernseher – mindestens.

Könnte die nächste Fußball-Weltmeisterschaft 2018 auch unsere Lebenszufriedenheit erhöhen?

Michael Mutz: Dass die Lebenszufriedenheit steigt, davon würde ich wieder ausgehen. Es gibt allerdings mittlerweile eine gewisse Erwartungshaltung an die deutsche Nationalmannschaft, die ja Titelverteidiger ist und die letzten Male immer mindestens ins Halbfinale kam. Sie sollte also nicht allzu früh ausscheiden. Zufriedenheit hat immer auch ganz viel damit zu tun, was ich erwarte.