Braunschweig. Der 54 Jahre alte Braunschweiger hat ein Bronchialkarzinom, Lungenkrebs, unheilbar. Er sieht einen 5:0-Sieg seiner Eintracht.

Jens Fischer ist 54 Jahre alt und seit frühester Jugend großer Fan von Eintracht Braunschweig. Anfangs noch im Stadion-Norden, wo er bei den Besuchen mit seinem Vater ein frühes Erbe vermacht bekam: das der untrennbaren Verbundenheit zu einem Fußballklub. In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren sammelte Jens hier schon Becher auf, besserte so sein Taschengeld auf und sah die wilden Jahre der Eintracht aus nächster Nähe. Die typische Genese eines Eintracht-Fans seiner Generation.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Jens war am Samstag beim begeisternden 5:0-Sieg der Blau-Gelben im Zweitliga-Spiel gegen die SV Elversberg einer der 20.110 Zuschauer, die nach Schlusspfiff jubelten und sangen von einem „Tag, so wunderschön wie heute“. So wunderschön, so normal. Doch war es für Jens anders, als für wahrscheinlich alle anderen Stadionbesucher. Denn er war womöglich zum letzten Mal im Eintracht-Stadion. Jens hat ein Bronchialkarzinom, Lungenkrebs, einen bösartigen Tumor. Er ist unheilbar krank. Der Krebs hat auch schon gestreut. Er bekommt die Chemotherapie nur noch, um das Unvermeidliche hinauszuzögern. Für eine Heilung ist es zu spät. Es ist wohl ein Abschiedsspiel.

Das hofft Jens nicht. Ohnehin sind er und seine Lebensgefährtin Nicole Murrer voller Hoffnung trotz seiner ausweglosen Diagnose. Sie sind seit 19 Jahren ein Paar, nachdem sie beide vorher schon eine Ehe aufgelöst hatten. Nächstes Jahr im Juli wären sie 20 Jahre zusammen. Sie denken sogar darüber nach, „vorher“ noch zu heiraten. „Vorher“? Bevor der Krebs zu stark wird für Jens. Ihre Hoffnung ist beeindruckend.

Die spezialisierte ambulante palliative Versorgung unterstützt die Kranken

Was wäre das hier alles auch ohne Hoffnung? Ohne die Zuversicht, dass es besser wird? Dass sich Dinge zum Positiven drehen können, auch wenn sie noch so ausweglos erscheinen? Hier geht es nur ganz nebenbei, aber eben auch um Fußball, weil es in diesem Sport wie sonst nirgends Geschichten gibt, deren Ende noch so unrealistisch erscheint. Oft wird es martialisch in der Sprache des Sports, in den Gesängen gehen auch die Eintracht-Fans mit ihren Farben Blau und Gelb bis in den Tod. Kaum einer muss sich aber mit der harten Realität hinter den Worten beschäftigen. Jens schon.

Auch interessant

Es war sein großer Wunsch, seine Mannschaft noch einmal zu sehen. Die spezialisierte ambulante palliative Versorgung (SAPV) der Diakoniestationen Harz-Heide unterstützt Jens und seine Lebensgefährtin in deren Wohnung beim Lösen der Aufgaben, die diese Krankheit stellt. Er wird regelmäßig versorgt, je nach Verfassung wird der Rhythmus der Betreuung angepasst. Monika Bergmann von der SAPV organisierte mit ihren Kontakten zur „Eintracht Braunschweig Stiftung“ die Tickets für Jens und seine Lebensgefährtin. Die Stiftung spielte sofort mit, der Verein ebenfalls.

Jens Fischer und Nicole Murrer waren jahrelang Stammgäste bei Eintracht

Jetzt ist Jens noch einmal in dem Stadion, in dem er bereits hunderte Male gewesen war. Bis zum letzten Sommer hatten seine Lebensgefährtin und er Dauerkarten in der Südkurve. In Block 7 und 8, dort, wo das Stimmungsherz der Eintracht-Fans pumpt. Aber seitdem die Fanszene dorthin umgezogen ist, fühlten sie sich nicht mehr so unbefangen und wohl. Diese Saison ist die erste des Paars ohne Dauerkarte. Zuhause in einer Vitrine stehen aufgereiht die Dauerkarten der vergangenen fast 20 Jahre. Jens war immer dabei – ligaunabhängig. Auch so etwas, das die Verbundenheit zur Eintracht mit sich bringt: Drama.

Im Januar wachte Jens wie gewohnt in der Früh auf, trank seinen Kaffee. Und landete im Krankenhaus. Irgendwas war los mit ihm, zwei Wochen später wusste er, was es war: Lungenkrebs. „Einfach so, es gab keine Anzeichen“, sagt er. Gefasst, mit wachen Augen und festem Händedruck. Er hat Maler und Lackierer gelernt, war dann zuletzt als Hausmeister tätig. Man merkt, dass er mit seinen Händen gearbeitet hat.

Die Mannschaft der Eintracht jubelt nach dem Spiel mit den Fans in der Südkurve.
Die Mannschaft der Eintracht jubelt nach dem Spiel mit den Fans in der Südkurve. © regios24 | Sebastian Priebe

Dann geht es im Rollstuhl auf seinen Platz zwischen Gäste-Trainerbank und Auswärtsblock. Nach vielen Jahren ist er zurück im Norden des Stadions, wo für ihn einst alles begann. Er wünscht sich einen 2:1-Sieg seiner Eintracht, bekommt aber eine 5:0-Gala. Und am Saisonende? „Platz 15 oder besser“, sagt er. Aber Jens kennt seinen Verein. „Ohne Drama wird‘s auch diesmal nicht gehen.“

Ein paar seiner Helden von damals waren auch am Samstag wieder ins Stadion gekommen. Nicht speziell wegen Jens, sondern für ein Wiedersehen der Legenden. Wolfgang Grobe, Uwe Hain, Hans-Jürgen Hellfritz, Reiner Hollmann, Uwe Krause, Bernd Franke, Dietmar Erler, Bernd Gersdorff, Dieter Zembski, Franz Merkhoffer und Hartmut Konschal waren da. Sie alle kennt Jens natürlich. Sie waren Teil seines Lebens. Und irgendwie war Jens auch ein Teil des Lebens der Legenden. Ohne dass sie es wussten.

Mehr wichtige Nachrichten zu Eintracht Braunschweig lesen:

Täglich wissen, was bei Eintracht Braunschweig passiert: