Regensburg. Nach 17 Jahren gibt Clemens Prokop das Präsidenten-Amt des Deutschen Leichtathletik Verbandes auf.

Es ist ein mulmiges Gefühl, das einen beschleicht, wenn man Clemens Prokop besucht. Es liegt nicht an ihm. Es liegt an der Aussicht. „Wann hatten Sie denn zuletzt bei einem Interview direkten Blick auf eine JVA?“, fragt der 60-Jährige und zeigt lachend aus dem Fenster auf ein graues Gebäude. Clemens Prokop ist nicht nur seit 17 Jahren Präsident des Deutschen Leichtathletik Verbandes und Vorreiter im Anti-Doping-Kampf, er ist auch Direktor des Amtsgerichts Regensburg. Die Verbrecher hat er von seinem Büro aus fest im Blick. Bald wird er noch öfter auf sie schauen: Prokop legt beim Verbandstag am kommenden Freitag sein Amt als Präsident nieder. In seiner Heimatstadt sprach er darüber, warum der Abschied für ihn noch längst kein Ende ist.

Herr Prokop, nächste Woche treten Sie als DLV-Präsident ab, was liegt noch auf Ihrem Schreibtisch?

Ich habe eigentlich schon recht viel abgearbeitet. Seit Juli habe ich rund 60 DLV-Termine gemacht. In Israel unterzeichne ich nun noch ein Kooperationsabkommen mit dem israelischen Leichtathletik-Verband. Anlässlich des 70-jährigen Staatsbestehens Israels organisieren wir einen Austausch von Sportlern. Geschichtliche Verantwortung steht bei uns sehr hoch. Deshalb freut es mich, fast zum Schluss noch dieses Abkommen zu unterzeichnen.

Warum geben Sie jetzt Ihr Amt auf?

Wenn ich auf die 17 Jahre zurückblicke, dann ist es eigentlich unzumutbar, so ein Amt als Ehrenamt auszuüben und mit Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Urlaub und Freizeit gehen komplett für Termine drauf. Das Amt des Präsidenten ist einfach eine Herausforderung in vielfacher Hinsicht. Das beginnt mit der wirtschaftlichen Komponente. Der DLV hat derzeit ein Budget von 15 Millionen Euro und finanziert seinen Haushalt zu 90 Prozent über Sponsoren.

Sie müssen also Kontakte pflegen?

Und Sponsoren finden. In einer Sportart, die mit dem Doping-Problem konfrontiert ist, ist das keine Selbstverständlichkeit. Es stehen nicht die Sponsoren Schlange und warten darauf, in die Leichtathletik zu gehen.

Hat sich das in den vergangenen 17 Jahren verschlechtert?

Ich denke wir hatten Wellen. Wellen, in denen das Image schlechter war. Aber jetzt höre ich auch von Sponsoren, die honorieren, dass wir eine klare Kante im Anti-Doping-Kampf zeigen. Dass wir keine Konfrontation gescheut haben, auch nicht mit dem IOC. Wir haben derzeit auf der wirtschaftlichen Seite das beste Ergebnis seit Bestehen des Verbandes. Das sind schon Sachen, bei denen ich denke: Wenn es kein anderer tut, dann klopfe ich mir eben selber auf die Schulter.

Sie sind ohne Zweifel einer der profiliertesten Anti-Doping-Kämpfer. Doch gerade in der Leichtathletik ist das Problem noch lange nicht vom Tisch. Ist es nicht etwas verantwortungslos, jetzt ihre starke Stimme verstummen zu lassen?

Ich hoffe, dass die Nachfolger diese Linie fortsetzen. Meine Stimme wird nicht verstummen. Im Dezember bin ich in Neu Delhi. Da hat mich die indische Regierung gebeten, ihnen beim Aufbau eines Anti-Doping-Systems zu helfen.

Haben Sie auch aus Kenia oder Äthiopien schon Anfragen bekommen? Dort gibt es ja auch kein funktionierendes Kontrollsystem.

Ich habe mich mit dem kenianischen Botschafter tatsächlich schon in Berlin getroffen. Aber ich gehe noch einen anderen Weg. Ich spreche mit den Sponsoren der Athleten. Die haben einen sehr starken Einfluss.

Wie kann man sich das vorstellen?

Ich frage die Sponsoren, ob sie sicher sind, einen Sportler zu unterstützen, der an kein funktionierendes Anti-Doping-System angebunden ist.

Können Sie Beispiele nennen?

Ich nenne keine Namen. Aber ich habe mich bereits mit Sportartikelherstellern getroffen. Es beginnt schon ein Umdenken, ob wirklich Athleten aus Systemen gefördert werden sollen, in denen die Leistung unter einem Verdacht steht. Ein Ansatz kann zum Beispiel sein, zu sagen, wir fördern euch gerne weiter, aber ihr müsst euch regelmäßig kontrollieren lassen. Man muss Druck aufbauen. Kein Sportartikelhersteller freut sich ja, wenn sein Leistungsträger positiv getestet wird. Wir alle – Athleten, Verbände, Funktionäre, Sportartikelhersteller – sitzen im Kampf um die Glaubwürdigkeit im Sport im selben Boot. Die ethischen Werte, die letztlich auch die materiellen Werte des Sports stellen, müssen erhalten bleiben.

Dürfen die Russen Ihrer Meinung nach bei den Winterspielen 2018 in Südkorea starten?

Ich weiß es nicht. Da gibt es eine IOC-Kommission, die soll Ende November eine Entscheidung treffen. Aber ich bin überzeugt, dass am Ende ein Weg gefunden wird, der den russischen Athleten wieder den Weg öffnen wird.

Was aber nicht heißt, dass das Anti-Doping-System dort wieder funktioniert?

Da kann ich mich jetzt nur auf die Ergebnisse aus der Leichtathletik beziehen und da hat die Kommission bislang noch nicht festgestellt, dass das Anti-Doping-System in Russland wieder den Standards der Wada entspricht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es im Wintersport anders ist.

Ist es wichtig, dass Deutschland mal wieder Olympische Spiele ausrichtet?

Ich fände es gut. So eine Veranstaltung im eigenen Land hat eine unglaubliche Auswirkung auf das Wir-Gefühl. Bei der WM 2006 hat man das ja gesehen.

Nach der Leichtathletik-EM 2018 in Berlin wird neben Ihnen auch Diskus-Star Robert Harting aufhören. Wer wird das neue Gesicht der Leichtathletik?

Da sind viele, die Potenzial haben. Wir haben eine Gina Lückenkemper, die mit Persönlichkeit, sportlicher Leistung und noch größerem Potenzial auf sich aufmerksam macht. Ich persönlich bin großer Fan von Gesa Felicitas Krause. Sie ist wirklich ein Gesicht und wertvoller als mancher Medaillengewinner.

Wird zu viel auf Medaillen geguckt?

Ich glaube ja. Man muss ja ehrlicherweise sagen: Medaille ist nicht Medaille. Manchmal ist ein Finalplatz von der sportlichen Wertigkeit noch höher zu bewerten als eine Medaille.

Aber die Realität ist so, dass nach Medaillenchancen gefördert wird.

Das ist richtig. Auch die Spitzensportreform richtet sich danach aus. Ich habe das immer als Fehler empfunden. Es passt nicht in unser kulturelles Verständnis, sich auf Medaillen zu versteifen – wohlwissend, wie Leistungen zustande kommen. Das ist einfach unfair gegenüber den Sportlern.