Frankfurt. DFB-Präsident Reinhard Grindel spricht im Interview über Probleme mit Teilen der Fan-Szene, leere Plätze bei Länderspielen, den anstehenden Confed Cup in Russland und ob er eine Einladung von Wladimir Putin annähme.

Der am Wochenende beginnende Confed Cup, die Weltmeisterschaft 2018 in Russland, Ärger um den WM-Ausrichter von 2022, Katar, dem Unterstützung des internationalen Terrorismus vorgeworfen wird, eine sich verschärfende Konfrontation mit Teilen der Fan-Szene, immer weniger Zuschauer bei Länderspielen – DFB-Präsident Reinhard Grindel steht in einem großen Interview zu allen aktuellen Themen Rede und Antwort. Daniel Berg und Thomas Gassmann sprachen mit ihm.

Herr Grindel, Sie fielen in den vergangenen Tagen und Wochen als kritischer Geist auf, der die Fifa und deren Präsident Gianni Infantino attackierte. Sie sprachen davon, dass sie keinen Neuanfang des Weltverbandes sehen würden. Worin besteht Ihre Motivation?

Wir haben uns beim DFB, und das gilt auch für die Uefa, für den Grundsatz entschieden, Transparenz und Good Governance zu leben. Das wird von unseren Fans, Sponsoren und Mitarbeitern erwartet. Insofern ist es nur konsequent, diese Maßstäbe auch an die Arbeit der Fifa anzulegen. Ich habe dabei keinerlei strategische oder taktische Überlegungen. Mir geht es ausschließlich um die Sache. Im Fifa-Council gibt es viele weitere Mitglieder, die wollen, dass es bei der Fifa anständig zugeht.

Wie könnte ein echter Neuanfang bei der Fifa aussehen?

Wir brauchen eine Transparenz der Fifa-Administration gegenüber denjenigen im Council, die diese Arbeit, insbesondere die des Präsidenten, kontrollieren sollen. Wir müssen die Reformen auch in der Praxis umsetzen. Wenn sie beispielsweise das Rollenspiel zwischen Fifa-Präsident und seiner Generalsekretärin beobachten, entspricht das nach meinem Eindruck noch nicht dem Geist des Reformprozesses. Hier würde ich mir wünschen, dass sich Frau Samoura mit ihren Ansätzen stärker einbringen kann.

Dann hat sich bei der Fifa in Wahrheit nicht viel geändert außer die Namen. Früher saß Sepp Blatter auf dem Thron, jetzt heißt er Gianni Infantino….

Es ist jedenfalls notwendig, dass wir uns als europäischer Vertreter im Fifa-Council intensiv an der Umsetzung der Reformideen beteiligen.

Tun Ihnen Sprechchöre wie „Fußballmafia DFB“ weh?

Ja.

Haben diese Fans Recht?

Ich würde mir wünschen, dass jeder Fan stärker erkennen und berücksichtigen würde, dass wir hier seit mehr als einem Jahr versuchen, eine anständige Arbeit abzuliefern. Dass wir eine Ethikkommission eingesetzt und viele andere Maßnahmen für mehr Transparenz umgesetzt haben. Übrigens kommt das auch bei vielen an. Aus eigenen Umfragen wissen wir, dass unser Ansehen deutlich besser bewertet wird als das anderer großer Sportorganisationen.

Wird der Confed-Cup in Russland eine politisch heikle Mission werden?

Den Confed Cup werden wir nutzen, um unsere Aktivitäten während der WM 2018 gut vorzubereiten. Wir sprechen mit Stiftungen und Personen, die Russland kennen, damit wir richtige Signale senden.

Könnte es ein Signal geben wie in Kopenhagen, als Kapitän Julian Draxler eine Kapitänsbinde in Regenbogenfarben, das Symbol der Schwulen und Lesbenbewegung, trug?

Ich war angenehm überrascht, wie sehr so eine Geste politischen Widerhall gefunden hat. So etwas wird mit der Mannschaft besprochen. Aber ja, das könnte ich mir gut vorstellen bei der WM 2018.

Gäbe es eine Einladung von Wladimir Putin: Würden Sie sie annehmen?

Ich bin Mitglied des Fifa-Councils, und wenn ich als solches eingeladen würde, würde ich die Einladung als höflicher Mensch annehmen. Wenn es die Gelegenheit zum persönlichen Gespräch geben würde, würde ich das eine oder andere Anliegen sicherlich auch vorbringen.

Was liegt Ihnen denn am Herzen?

Nur ein Beispiel: Ich habe sehr bei meinen Amtskollegen Vitali Mutko und Gianni Infantino dafür geworben, das Dopingsystem unabhängiger zu gestalten, in dem wir bei der WM die Wada mit der Thematik betrauen. Das wäre für mich ein wichtiges Signal, dass man aus Fehlern der Vergangenheit lernt. Beide haben gesagt, dass es richtig ist und dass sie es gerne machen würden. Es muss jetzt nur umgesetzt werden.

Werden die Spieler vor der Reise gebrieft?

Die Spieler bekommen schriftliche Unterlagen mit Informationen über Land und Leute, aber eben auch mit klaren Hinweisen zu aktuellen politischen Diskussionen. Darüber hinaus hat Oliver Bierhoff vorgesehen, eine Sitzung mit den Spielern abzuhalten, um Fragen dazu zu besprechen. Und ich gehe davon aus, dass sich die sportliche Leitung vor der WM in Russland mit dem dann amtierenden Bundeskanzler oder der Bundeskanzlerin trifft und es zu einer Begegnung mit dem Botschafter oder anderen Russland-Experten kommt, um spezielle Nachfragen der Spieler zu beantworten.

Wird den Spielern auch geraten, sich nicht allzu sehr zu Politischem zu äußern?

Im Gegenteil. Die Spieler sollen ja gerade in die Lage versetzt werden, sich mit bestimmten Fragestellungen auseinanderzusetzen und sich dann eine eigene Meinung zu bilden. Unsere Spieler bekommen Informationen, aber keine vorgestanzten Sprachregelungen.

Katar ist in den Schlagzeilen, weil es den Terror unterstützen soll. Würden Sie, wenn dies so ist, für einen Entzug der WM-Ausrichtung plädieren?

Wir haben jetzt noch fünf Jahre bis zu diesem Turnier, ich hoffe auf eine politische Lösung. Man darf nicht übersehen, dass erhebliche Investitionen in Katar getätigt worden sind, für die die Fifa dann möglicherweise schadenersatzpflichtig wäre. Insofern würde ein solcher Schritt politische Rahmenbedingungen voraussetzen, wie es sie 1992 beim Ausschluss Jugoslawiens von der EM gegeben hat. Ausgangspunkt war damals eine Uno-Resolution. Dafür sehe ich im Augenblick keine Grundlage. Das ist ein Thema, das die Politik lösen muss und nicht der Fußball. Allerdings würde ich mir schon wünschen – und das gilt für Katar ebenso wie für Russland – , dass mehr über die Menschenrechtssituation und die politische Lage im Land diskutiert wird und sich zum Beispiel die Arbeitsbedingungen für die Bauarbeiter verbessern.

Mercedes ist Großsponsor des DFB, VW bewirbt sich um die Nachfolge. Der DFB führt demnach Verhandlungen mit zwei Unternehmen, in denen Katar als bedeutsamer Aktionär auftritt. Ist das nicht eine Doppelmoral?

Laufende Ausschreibungsprozesse haben wir noch nie kommentiert und werden das auch jetzt nicht tun. Beide haben sich vor dem Präsidium präsentiert, die Entscheidung steht noch aus.

Ist es denn überhaupt sinnvoll, Turniere in eher zwielichtige Länder zu vergeben?

Ich begrüße es sehr, dass zum Beispiel die Uefa bei der Vergabe der EM 2024 auch die Menschenrechtslage zu einem der wichtigen Kriterien gemacht hat. Und es ist keine Frage, dass man bei allen zukünftigen Vergabeverfahren anschauen muss, wie sich dort die Verhältnisse darstellen. Andererseits habe ich immer die Meinung vertreten, dass trotz der politischen Lage in Russland die Millionen russischen Fußball-Fans das Recht haben, eine solche WM vor der eigenen Haustür zu erleben. Wollte man Großveranstaltungen nur in die Länder vergeben, die auf den ersten fünf Plätzen bei der Einhaltung der Menschenrechte geführt werden, würden wir uns wahrscheinlich permanent zwischen der Schweiz und Norwegen bewegen. Das kann es auch nicht sein. Insofern ist das ein wichtiges Kriterium, aber wir müssen auch die Chancen, die ein Turnier für die Entwicklung eines Landes bringen kann, berücksichtigen.

Haben Sie Sorge, dass sich der Fußball mit seinem Kommerz und den exorbitanten Gehältern von den Menschen entfernt?

Wenn die These stimmt, dass die Leute Sehnsucht nach anfassbarem Fußball haben, dann müssten die Stadien im Amateurfußball – was mich freuen würde – mit Zuschauern überfüllt sein. Es muss doch im Interesse der Vereine und der Fußballfans liegen, international konkurrenzfähig zu sein. Insofern ist kommerzieller Erfolg die Basis dafür.

Dem DFB laufen bei Heimspielen die Zuschauer weg.

Wir hatten zuletzt viele sehr gut besuchte Spiele, und auch in Nürnberg ist der Funke zwischen Mannschaft und Publikum übergesprungen. Insofern teile ich Ihre Formulierung nicht und sehe auch keine grundsätzlichen, strukturellen Probleme. Übrigens: Die Eintrittspreise zu unseren Länderspielen sind auf dem Niveau eines Bundesligaspiels.

Aber die Fans, speziell die Ultras, bewegen Sie schon, oder?

Ich rede regelmäßig mit Fan-Vertretern und bin auch zum Dialog mit Ultras bereit. Dabei muss klar sein: Pyro, physische und psychische Gewalt sind nicht Teil der Fankultur. In diesen Fragen müssen wir eine konsequente Haltung einnehmen. Über andere Punkte kann man reden.

Haben Sie den Eindruck, dass die Vereine ausreichend gegen solche Störenfriede tun?

Wir gehen davon aus, dass die Vereine alles tun, damit Familien ohne Angst ins Stadion gehen können. Wir als DFB haben die Zuständigkeit der Sportgerichtsbarkeit, insofern ist unsere Rolle klar definiert und dadurch kritikbehaftet.

Nach den Vorfällen ist erneut die Diskussion aufgekommen, die Sitzplätze wie in England abzuschaffen.

DFB und DFL sind sich einig, dass Stehplätze in Deutschland zur Fankultur gehören und sie deshalb erhalten bleiben sollen. Ich habe allerdings schon mehrfach darauf hingewiesen, dass mein Eindruck ist, dass in der Innenminister-Konferenz der Länder intensiver als in früheren Jahren darüber diskutiert wird, ob man durch manche politische Entscheidung auf die eine oder andere Entwicklung im Fußball reagiert. Insofern ist es auch im Interesse der Vereine, selbst die Ordnung im Stadion herzustellen, damit die Politik gar nicht die Grundlage dafür bekommt, handeln zu müssen.