Braunschweig. Die Eintracht-Spielzeit aus Fan-Sicht: Die ganz große Aufstiegseuphorie entstand erst am Saisonende. Dann erinnerte sie aber an 2013.

Es ist keine vier Monate her, da setzte es im Eintracht-Stadion ein gellendes Pfeifkonzert. Als Schiedsrichter Lasse Koslowski an einem tristen Freitagabend im Februar das magere 1:1-Unentschieden gegen das damalige Schlusslicht aus Aue beendete, flogen nach Abpfiff sogar vereinzelt Bierbecher von den Rängen auf die Eintracht-Spieler. Jene Spieler, die am Ende der Saison eben jene Aufstiegseuphorie entfachten sollten, wie im legendären Aufstiegsjahr 2013. Was für ein Wechselbad.

Das Umfeld rund um die Eintracht gilt nicht erst seit gestern als unberechenbar. Die Ansprüche sind groß, die Emotionen, die mit dem Verein verbunden sind, sind es auch. Zwar hat es die Klubführung in den vergangenen Jahren geschafft, durch Kontinuität viel Vertrauen aufzubauen – wie schnell aber auch das aufgebraucht sein kann, zeigte insbesondere diese Saison. In der die Extreme so nah beieinander lagen, wie selten zuvor.

In die Spielzeit waren die Fans ohne die ganz großen Erwartungen gestartet. Natürlich sollte Eintracht oben mitspielen, aber angesichts der starken Absteiger und einer ausgeglichenen 2. Bundesliga ging die überwiegende Zahl der Anhänger realistisch in die Saison. Auch nach einem furiosen Start, mit dem ersten Sieg beim FC St. Pauli seit über 15 Jahren, dem 6:1 gegen Nürnberg daheim und der Übernahme der Tabellenführung war von echter Aufstiegseuphorie kaum eine Spur. Das zeigten auch die Zuschauerzahlen: War zumindest der Heimbereich im Bundesliga-Aufstiegsjahr 2012/13 stets ausverkauft, gab es in dieser Saison nicht selten noch Karten an der Tageskasse. Eintracht spielte nicht immer schön, aber effektiv, holte wichtige Siege, fesselte aber nicht wirklich das Publikum.

Die Fans hatten zunächst auch offenbar andere Prioritäten, alles blickte die Derbys gegen Hannover: Die Ultras hatten in der kompletten Hinrunde auf eine Choreographie verzichtet und für das Hinspiel eine große Aktion angekündigt. Die dann aber nicht stattfand, weil die aktive Fanszene mit Stadtverboten durch die Polizei haderte und wohl als Trotz-Reaktion während des Spiels eine große Pyroshow abbrannte. Eine Aktion, die innerhalb großer Teile der Fanlandschaft kritisch betrachtet wurde und irgendwie in das Gesamtbild passte: Eintracht verpasste den Derbysieg, verspielte zuvor in Dresden eine 2:0-Führung.

Und so ging Eintracht zwar als Tabellenführer in die Winterpause, nach dem abschließenden 0:0 in Karlsruhe machten Fans und Spieler aber nichteinmal gemeinsam die Welle. Und nach dem Fehlstart im neuen Jahr, mit nur drei Punkten aus den ersten vier Spielen, drohte die Stimmung sogar zu kippen. Nach dem Aue-Spiel flippten einige Teile der Zuschauer aus, schmissen die eingangs genannten Bierbecher auf die Spieler. Anhänger gerieten aneinander, die Stimmung schien am Boden. Nach Sandhausen fuhren gerade einmal 300 Braunschweiger. Und das, obwohl Eintracht als Tabellenvierter noch direkten Kontakt zu den Aufstiegsrängen besaß.

Doch die Mannschaft kämpfte sich aus dem Tief und riss so das Umfeld mit. Ken Reichels Wahnsinnstore in den Schlussminuten gegen Heidenheim und Dresden ließen das Stadion beben, der Verein stellte kostenlose Busse nach München: Auf einmal gelang der Schulterschluss zwischen den Spielern und den Rängen und es war eine Aufstiegseuphorie spürbar, an der auch das verlorene Derby-Rückspiel mit seinen Begleiterscheinungen und die Schmach vom 0:6 in Bielefeld nichts veränderte. Vielmehr wurde sie bildlich in den großartigen Choreographien zum Saisonfinale: Gegen Union Berlin, bei der die Ultras das gesamte Stadion über 90 Minuten in blau-gelb hüllten, und am letzten Spieltag, als sich die Fans wie die Zuschauer von 1967 verkleideten und dem Meisterjahr damit einen würdigen Abschluss verleiten.

Der „Traum von Liga eins“, er lebte wieder und wurde genährt durch eine Relegation, die an Spannung kaum zu überbieten war. Aus ganz Fußballdeutschland flogen Eintracht nach dem unberechtigten Elfmeter in Wolfsburg die Sympathien zu, die treuen und lautstarken Fans wurden zum Sinnbild für die Bewahrer des kommerzkritischen Fußballs.

Bis zur 49. Minute im Rückspiel: Nach zuvor grandioser Stimmung und erneut einer tollen Choreographie explodierte ein Böller vor der Südkurve, traf beinahe einen Ordner und ließ sämtliche Euphorie verstummen. Wolfsburg erzielte das 0:1, wenig später entluden Teile der Fans ihren Frust auf dem Rasen. Ein tragisches Ende, eingeleitet von einem verirrten Einzeltäter – aber irgendwie symptomatisch zu dieser emotionalen Achterbahnfahrt, dem Auf und Ab einer gesamten Saison. Zeit für die Sommerpause.