Berlin. Für Trainer Thomas Tuchel dürfte es trotz des Pokalsiegs beim BVB nicht weitergehen.

Tief in der Nacht erlaubte sich der Chef, nach dem Pokal zu greifen, ihn zumindest zu berühren. Vorher hatte sich Hans-Joachim Watzke nach eigener Aussage nicht getraut, in Kontakt mit dem Gold zu treten. Die Möglichkeit dazu ist schließlich eine, die auch von Demut geprägt sein sollte. „Vor einem Jahr“, begann der BVB-Boss seine Bankett-Rede vor der Mannschaft in einem Berliner Nobel-Hotel. „Vor einem Jahr habe ich hier gestanden und war – wie die meisten von euch – enttäuscht. Ich habe aber gesagt, dass der BVB in seiner DNA hat, dass wir immer wieder aufstehen. Und ich habe gesagt: Wir werden wieder Titel gewinnen, und zwar schneller als der eine oder andere glaubt.“

Die Trophäe neben ihm taugte ihm als der Beweis: DFB-Pokalsieger 2017, erster Titel seit dem magischen Double 2012 und nach schmerzhaften vier Final-Niederlagen in den vergangenen vier Jahren. Watzke wirkt in diesen Augenblicken stolz. Aber auch leise, ermattet, zermürbt von einer Saison, die die gesamte schwarz-gelbe Familie in schwere Turbulenzen gestürzt hat. Turbulenzen, die noch nicht ausgestanden sind. Das war zu sehen. Mit verschränkten Armen harrten Watzke und Präsident Reinhard Rauball auf dem Rasen der Siegerzeremonie. Ein Bild, das viel erzählte.

Unbeschwerteres hatte es durchaus auch gegeben an diesem Abend in Berlin, an dem Mannschaftskapitän Marcel Schmelzer im goldenen Lamettaregen die Trophäe überreicht bekam. Ein Sehnsuchtsmoment. Ihn erreicht zu haben, löste ein wenig Leichtigkeit aus. Pierre-Emerick Aubameyang, der Mann, der mit seinem lässigen Elfmeter den Siegtreffer zum 2:1 gegen das wackere Eintracht Frankfurt herbeilupfte, sah mit dem um den Kopf gebundenen BVB-Schal aus wie ein Pirat. Er erbeutete den Teil des Tornetzes und legte sich die Maschen um den Hals. Zum Bankett hatte er sie wieder abgelegt und erschien mit dunkelblauem Anzug, auf dem silberne Sternchen glitzerten. „Granaten-Sakko“, scherzte Watzke.

Auch schon im Stadion war gute Laune zu erkennen gewesen. Marc Bartra entblößte für ein im Internet veröffentlichtes Video sein Hinterteil, Shinji Kagawa gab zu: „I’m drunk.“ Betrunken. Schon um Mitternacht. Und dazu dröhnte aus den Boxen in der Kabine Bob Marley: Alles wird gut. Ist es das? Wird es das? Nein.

„Es ist sicher einer der schönsten Tage als Trainer“, sagte Thomas Tuchel nach dem Gewinn seines ersten Titels, „aber es muss erst noch ankommen bei mir. Im Moment fühle ich mich echt leer.“ Er kündigte an, dass sich das mit Hilfe von Gin Tonic ändern werde. Und behielt offenbar recht. Tuchel feierte mit, bis in die Morgenstunden verdingte sich die Mannschaft im Berliner Club Adagio.

Ein ausgelassenes Ende einer schweren Saison. Auch Tuchel hat all das schwer mitgenommen, vor allem die vergangenen Wochen, in denen die Zerwürfnisse zwischen dem Trainer auf der einen Seite sowie der Vereinsspitze und Teilen der Mannschaft auf der anderen öffentlich mitverfolgt werden konnten.

Auch in Berlin wurde deutlich, dass es mit Tuchel kaum weitergehen wird. Kapitän Marcel Schmelzer kritisierte seinen Trainer öffentlich. Dieser hatte für die Vertretung des verletzten Strategen Julian Weigl zunächst auf den auf dieser Position überforderten Matthias Ginter gesetzt – und nicht wie erwartet auf den ebenfalls einsatzfähigen Nuri Sahin. Den Mann, der beim BVB beinahe den Status einer Legende genießt, strich Tuchel gar ganz aus dem Kader. Ein Politikum. „Mich hat es sehr geschockt, weil ich es einfach nicht verstehe“, grimmte Schmelzer: „Wir wissen alle, welche Qualitäten Nuri hat.“ Und: „Wir alle stehen hinter Nuri.“

Alle. Gegen einen?

Der Umzug durch die Stadt am Sonntag geriet zu einem riesigen Fest in Gelb. Den Themen, die auf die Stimmung drücken, widmen sich Watzke und Co. in den Tagen danach.