Cremlingen. Der Cremlinger Holger Dietze lädt Freunde einmal im Jahr zum Spielen ein und verwandelt sein Haus in eine Lego-Stadt – mit beleuchteten Straßanlampen.

Durchschnittlich besitzt jeder Mensch auf der Welt 80 Lego-Steine. Wobei natürlich zu bedenken ist, dass Menschen wie der Cremlinger Holger Dietze den Schnitt durchaus in die Höhe getrieben haben.

Einmal im Jahr holt der 58-Jährige diese unverwüstlichen bunten Steinchen aus Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymerisat zu Tausenden aus ihren Kisten und verwandelt sein Haus für eine Woche in eine Lego-Miniaturwelt: Im Hauswirtschaftsraum entstehen Hafen und Güterbahnhof, in der Küche der Hauptbahnhof, im Esszimmer eine Stadt, und das Wohnzimmer bietet Platz für Flughafen und Mittelalter-Burg – das Ganze durchzogen von einem ausgeklügelten Schienennetz, das auf seinen Strecken einen Höhenunterschied von 60 Zentimetern überwindet und für Fahrspaß bei, – ja, so ist es nun mal – vor allem Vätern und Söhnen sorgt.

Holger Dietze ist beileibe nicht der eigenbrötlerische Tüftler, der jeden Näherungsversuch mit einem sorgenvollen Blick begleitet. Im Gegenteil: In dieser einen Woche im Jahr – während der sich seine Frau regelmäßig zum Tai-Chi-Workshop abmeldet – öffnet er sein Haus für Kinder und Eltern aus dem Freundeskreis zum Lego-Spielen nach Lust und Laune.

Das ist das Schöne an Lego: Nichts kann kaputt gehen. Alles ist reparabel und darf unbesorgt bespielt werden. Obwohl Holger Dietze Regeln aufgestellt: „Wer mehr als zwei Crashs baut, muss 15 Minuten aussetzen. Das ist Höchststrafe“, grinst er.

Das alljährliche Event mit Freunden ist seine Antriebsfeder für das Steine-Sammeln, Häusle-Bauen und kreative Tüfteln, für das sich Holger Dietze immer mal wieder für einige Stunden zurückzieht. Eine Auszeit zum Auftanken. „Danach“, sagt er, „bin ich selig.“

Seit Weihnachten ist er dabei, seine Lego-Welt Haus für Haus und Zug um Zug nach eigenen Schaltplänen zu beleuchten. Dazu hat er mit einem Zweieinhalb-Millimeter-Bohrer zum Beispiel Kabelschächte in ursprünglich nicht elektrifizierte Lego-Straßenlaternen gelegt.

Einmal die Lösung gefunden, geht Holger Dietze in seiner Manufaktur in Serie. Um die 30 Straßenlampen lässt er inzwischen leuchten.

Und weil eine bis in jedes Zimmerchen LED-beleuchtete Häuserzeile mit Post, Restaurant, Waschsalon oder der selbst kreierten Redaktion der „Lego-Times“ so viel beruhigende Gemütlichkeit ausstrahlt, hat diese kleine Welt mit ihren unermüdlich freundlich lächelnden Akteuren – als einzige Dauerausstellung im Haus – auch einen Ehrenplatz im geräumigen Schlafzimmer erhalten. Für Holger Dietze eine gute Einschlafhilfe. „Smiley“ nennt er das auch von der Gattin geduldete Szenario.

Wie der Ingenieur vor 15 Jahren überhaupt zu dem Hobby kam, mit dem er sich ein Stückchen Kindheit zurückerobert hat?

Dazu muss man wissen, dass Holger Dietze Vater zweier Töchter ist. Nun kann man ihm nicht vorwerfen, seine Erziehung auf Rollenklischees gestützt zu haben. Seinen Töchtern schenkte er zu Kindergeburtstagen bereitwillig Star-Wars-Fighter und Lego-Eisenbahnen. Tolle Bausätze, die er bald darauf im Tausch gegen eine begehrte Mütze sein Eigen nennen konnte. „Mir ist es leider schlecht gelungen, meine Töchter für die Eisenbahn zu begeistern“, muss er heute einräumen. Später kaufte er seinem dem Spielen entwachsenen Neffen eine Ritterburg ab – Grundsteine für seine heutige Sammlung.

Lego zog auch mit nach China, wo er beruflich für mehrere Jahre zu tun hatte. „Es waren nur wenige Kistchen. Aber ich konnte viel daraus bauen“, lobt der Cremlinger die Vielseitigkeit des Spiele-Klassikers aus Dänemark, der 2018 seit 60 Jahren auf dem Markt sein wird.

Wie Moleküle lassen sich die kleinen Steinchen zu immer neuer Gestalt zusammensetzen. So begnügt sich Holger Dietze nicht einfach mit dem Nachbau. Jeder Bausatz wird kreativ verändert. Das macht den Reiz aus. Manchmal entwickelt sich die Architektur eines Bauwerks schlicht aus der Verfügbarkeit der Steine, die er gerade günstig erstanden hat. „Steinfahndung“ nennt er das. „Von Norddeutschland bis ins Rhein-Main-Gebiet kenne ich jeden Lego-Laden.“

Auch die Figuren wollen sorgsam ausgewählt sein. Eine fürs Foto posierende Lego-Hochzeitsgesellschaft hat nicht nur zufällig Ähnlichkeit mit dem Hochzeitsfoto der eigenen Tochter.

In deren früherem Kinderzimmer tüftelt Holger Dietze gerade an Schaltplänen zur elektrischen Weichenstellung für seine Lego-Loks. Später will er auch die Autos beleuchten. „Aber dafür habe ich noch keine Lösung.“

Die Arbeit am Detail hat die Expansionsphase mehr und mehr abgelöst. Aber in jedem Jahr kommt doch ein bisschen mehr dazu. Die Kinder wünschen sich eine Erweiterung der Feuerwehr. Sollen sie in der nächsten Lego-Spielwoche bekommen.

Das Temporäre seiner Lego-Stadt macht sie für Holger Dietze so besonders. Einen Tag braucht er mit Freunden zum Aufbau der von ihm schon vorgefertigten Teile der Stadt. Im übrigen Jahr schlummern sie in den Kisten. Wo wir schon bei der nächsten Herausforderung wären: Nichts geht über eine gute Logistik. Denn schlecht sortiert ist halb verloren.