Mein perfektes Wochenende. DJ Mario Correra fasziniert die elektronische Musik. Am Wochenende macht er die Nacht zum Tag. Doch genauso wichtig ist ihm seine Familie.

Früher war der DJ der Typ, der Musikkamellen abgedudelt und nebenbei Biere gezapft hat. Viel hat sich geändert. Im Jahr 2017 gelten DJs hingegen als anerkannte Künstler, das DJing ist ein Beruf, mehr noch ein Millionengeschäft: Deutsche Stars aus der elektronischen Musikszene wie Sven Väth, Robin Schulz oder Solomun sind weltweit gefragt. Der Braunschweiger Mario Correra (43) ist ein Urgestein der regionalen Szene – sein perfektes Wochenende findet aber nicht nur im Club statt.

Das Gespräch findet nicht im Schummerlicht einer Disco statt, sondern an einem sonnigen Sonntagmittag in der Okercabana. Viele Familien mit ihren Kindern sind dort, heimatlose Nachtschwärmer sind nicht zu sichten. Correra lässt sich in einen Klappstuhl fallen und nippt an einer Mate. Also: Wie kam er zur Musik – oder kam die Musik zu ihm? Während des Gesprächs kommt er mehrmals auf diese Frage zurück, verschiedene Schlüsselerlebnisse fallen ihm nach und nach wieder ein.

Anfangs, so erinnert er sich, erstand er als Grundschüler vom Taschengeld die ersten Singles, „bei Mewes am Kohlmarkt“. Später vermachte ihm ein Bekannter seiner Mutter eine kleine Plattensammlung inklusive einer Dual-Kompaktanlage. Darauf konnten Schallplatten und Kassetten abspielt werden. Vor allem war die Anlage mit einem Crossfader ausgerüstet – das ist ein Schieberegler, mit dem man zwischen den Kanälen überblenden kann. Der Jungspund mischte so seine ersten Kassetten mit Musik zum Beispiel von Kraftwerk, Depeche Mode, OMD, Cure, Soft Cell zusammen – und seine Freunde waren begeistert.

Anfang der 80er Jahre war außerdem Breakdance das große Ding aller Jugendlichen, auch für Correra. „Zu der Zeit habe ich zum ersten Mal Elektronic Body Music (Anmerkung: ein Musikstil und Wegbereiter von Techno) richtig wahrgenommen und dazu getanzt. Man kann sagen, dort wurde ich elektrifiziert.“

Später kommt er auf die Zeit der Wende mit den ersten Loveparades (ab 1989) in Berlin zu sprechen. „Das war das Woodstock unserer Generation.“ Zu dieser Zeit weihte ihn sein DJ-Kollege Flow, der schon damals in Norddeutschland viele Auftritte hatte, in die DJ-Technik ein. Bereits sein erster Auftritt auf einer Privatparty brachte Correra viel Zuspruch von den Zuhörern.

Er räkelt sich im Sonnenstuhl und schmaucht an einer Zigarette. „Ich stelle mir manchmal vor“, fängt Correra den Satz an und pustet dabei langsam den Rauch aus dem Mund, „wenn wir alle nicht arbeiten müssten, würden wir den ganzen Tag Musik hören, dazu tanzen und uns berauschen. Wie früher Indianer, die ums Lagerfeuer herumgetanzt sind.“ Dazu singt er leise „heya heya heya“ und schmunzelt.

Natürlich gehöre in der heutigen Gesellschaft Arbeit zum Leben dazu, fährt er fort, „aber am Wochenende legen alle gern den Schalter um. Als DJ eine Atmosphäre zu kreieren mit der Musik, die mir wichtig ist, und dann zu sehen, wie sich die Menschen darüber freuen, feiern und den Alltag vergessen, ist mein persönliches Nonplusultra.“

Dass Star-DJs für einen zweistündigen Auftritt vier- oder fünfstellige Gagen bekommen, stört ihn nicht. „Natürlich gibt es viele DJ-Ikonen, die von ihrem früheren Ruhm leben und sich auf den Montag freuen, wenn sie aufs Konto schauen. Aber mal ehrlich: Ich und viele andere würden solche Gagen doch auch nicht ablehnen.“ Für ihn ist das DJing kein Beruf, sondern eine aus einem Hobby entstandene Passion. „Ich bin ein Entertainer“. Als er mit DJing angefangen hat, war elektronische Musik kulturell im „Underground“ verankert, sprich eine unkommerzielle Nische. In die örtlichen Plattenläden verirrten sich damals selten derart exotische Scheiben.

Heute ist elektronische Musik im Mainstream angekommen, meint Correra. „Manche behaupten, ein großer Teil der Musik, die heute produziert wird, sei Mist. Das sehe ich anders. Auch die aktuelle Popmusik hat ihre Berechtigung. Darin hört man viele schöne Elemente, auch Anleihen aus der elektronischen Musik.“ Dann singt er den Refrain des Liedes „No roots“, von Alice Merton. „Diese Nummer finde ich cool, aber schon lange, bevor die in den Charts gelandet ist.“ Vor Techno war Acid, vor Acid House, nach Techno kam Electro, Minimal, Tech House und zig verschiedene weitere Stile in der elektronischen Musik. Für Correra ist solches Genredenken nicht relevant. Er sagt, er legt „elektronische Musik“ auf und will sich nicht auf bestimmte Stile begrenzen.

Doch wie findet er ein neues Lied, das in sein Repertoire passt? „Elektronische Musik ist gemeinhin sehr strukturiert. Wenn ich neue Tracks durchhöre, suche ich nach Nummern, die diese Strukturen durchbrechen“, erklärt er. Das kann eine ungewöhnliche Melodie sein, zählt er auf, ein ausgefallener Beat oder Groove oder einfach nur Klänge, die es in anderen Tracks vorher so nicht gab, ebenso wie der Einsatz von Instrumenten, die ursprünglich in anderen Musikrichtungen beheimatet sind. „Ich weiß spätestens nach 20 Sekunden, ob mich ein neuer Track mitnimmt oder nicht. Wenn ein Lied dieses gewisse Etwas hat, dann ist es mir egal, ob es auch in den Charts ist.“

Vom Einzelnen zum Ganzen – wie stellt er sein Programm für einen Auftritt zusammen? „Vorbereitung ist immer gut. Aber die findet bei mir nicht abends vor dem Auftritt statt, sondern an allen Abenden davor, an denen ich aufgelegt habe.“ Alle Musikstücke liegen als digitale Dateien auf seinem Laptop, von jedem Auftritt wird eine Musikliste abgespeichert. So kann er sich während des Auftritts in Erinnerung rufen, was schon einmal bei den Clubgängern gut angekommen ist. „Zu 90 Prozent spiele ich aber frei. Das DJing ist vor allem eine Sache von Aktion und Reaktion zwischen mir und den Gästen. Ein guter DJ geht eben aufs Publikum ein – und jeder Abend verläuft anders.“ Nicht zuletzt sieht er es auch als seine Aufgabe an, den Gästen neue Musik zu servieren. „Der DJ ist der Selekteur“, sagt er.

Ein Abend in der Disko kann acht Stunden und länger dauern. Der 43-Jährige ist vor eineinhalb Jahren zum zweiten Mal Vater geworden. Wie bekommt er Auftritte und Familie unter einen Hut? „Um einen kleinen Menschen zu einem anständigen großen Menschen zu erziehen, braucht es Zeit“, räumt er ein. Meine große Tochter, auf die ich sehr stolz bin, ist dafür das beste Beispiel. „Deshalb versuche ich weitestgehend diszipliniert zu sein“, sagt er. Seine Familie habe Verständnis, warum er das DJing so gerne mache. „Nach fast 15 Jahren Vollgas in der Heimatstadt und anderswo ist es gut, dass ich die Schlagzahl der Auftritte reduziere. Aber mit dem DJing aufzuhören, kommt für mich noch lange nicht infrage.“