Mein perfektes Wochenende. Beim Familien-Sportverein Braunschweig ist Nacktsein wichtig, aber längst kein Muss mehr.

Wenn man ganz still ist und das Zwitschern der Vögel, die im dichten Blätterdach der Bäume sitzen, für einen Moment ausblendet, kann man sie noch hören. Ganz schwach aus der Ferne, wenn der Wind ungünstig steht. Dann merkt man, dass die Autobahn 2 gar nicht so weit entfernt ist. Der Lärm der LKWs und Autos ist dann als ganz leichtes Hintergrundgeräusch zu hören. Es ist der einzige Hinweis darauf, dass dieses Idyll gar nicht so weit vom Stadtzentrum entfernt liegt. „Das ist unser kleines Paradies an der Schunter“, nennt Susanne Hornburg das etwa ein Hektar große Gelände im Braunschweiger Stadtteil Kralenriede.

Dieses wird von einem zwei Meter hohen Bretterzaun umgeben, denn neugierige Blicke sind bei dem, was sich Hornburg und ihre Mitstreiter vom Familien-Sportverein Braunschweig auf die Fahnen geschrieben haben, nichts Ungewöhnliches. Sie sind Anhänger der FKK-Kultur, die Mitglieder des FSV dürfen also jederzeit die Hüllen fallen lassen.

Bei einem Rundgang über das Vereinsgelände treffen wir aber nur angezogene Menschen. Es ist Mitte Mai, mit angenehmen Temperaturen, doch der Hochsommer ist noch fern. Auf einem rechteckigen Schotterplatz spielen ein paar Männer Pétanque. Sie tragen T-Shirt und kurze Hose. Auch die Menschen, die einem auf der kleinen Laufrunde, die über das Gelände führt, entgegenkommen, sind angezogen. Viele haben kleine Parzellen mit Wohnwagen zwischen den Bäumen und Büschen gemietet und so ihr eigenes kleines Reich geschaffen. Trotzdem läuft nicht jeder den ganzen Tag ohne Hose durch die Gegend. Auch im Gymnastikraum, wo einige Mütter mit ihren Kindern turnen, haben alle etwas an. „Die FKK-Regeln sind inzwischen nicht mehr so streng. Keiner muss bei uns schon am Eingangstor seine Kleidung abgeben“, erklärt Hornburg. Gerade mit Neumitgliedern haben die Naturisten Geduld, bis alle Hemmschwellen überwunden sind. „Wenn jemand aber immer nur mit dem schicksten Bikini durch die Gegend läuft, würden wir sie schon einmal fragen, ob sie denn bei uns im Verein so richtig ist“, sagt Hornburg.

Denn das Nacktsein gehört weiterhin zu einem wichtigen Bestandteil dieser kleinen Gesellschaft, auch wenn sie darauf vielleicht weniger Wert legt, als mancher vermuten würde. „Wir zwingen bei uns niemanden, seine Kleidung auszuziehen. Gerade, wenn jemand bei uns neu ist, geben wir ihm Zeit, sich an die für ihn neue Situation zu gewöhnen“, so Hornburg. Nur in dem 25 Meter langen Naturwasser-Schwimmbecken ist die Badehose verboten. „Und in der Sauna natürlich, aber das ist ja auch nichts Ungewöhnliches“, fügt Hornburg hinzu.

Sie trat vor 30 Jahren das erste Mal durch das Tor am Eingang des Vereinsgeländes. Die öffentlichen Schwimmbäder, in denen alle zwar Badehose und -anzug anhaben, ansonsten aber fröhlich gegafft wird, gingen ihr damals schon auf die Nerven. „Hier schauen wir uns in die Augen“, betont sie. Und gerade an warmen Sommertagen gebe es für sie nach wie vor nichts Befreienderes, als zum FSV zu fahren und sich dort der lästigen Kleider zu entledigen. „Es ist so, als ob ich mit der Kleidung auch alle Sorgen und Gedanken des Alltags fallen lassen kann. Dann noch eine Runde Schwimmen gehen ist für mich das Schönste“, sagt sie.

Doch es gibt mehr als Nacktsein, was die Vereinsmitglieder verbindet. Neben den Pétanque-Spielern gibt es viele andere Gruppen, gemeinsame Aktivitäten, einen Bolzplatz, Tischtennisplatten, einen Spielplatz für Kinder. Vor allem für Familien wollen die Naturisten eine Adresse für Erholung und Entspannung sein. Doch obwohl es mehr als 100 Kinder in dem Verein gibt, hat der FSV wie viele Vereine ein Nachwuchsproblem. „Auch vor uns macht die demografische Entwicklung nicht halt. Früher hatten wir mal weit über 1000 Mitglieder, inzwischen wären wir froh, wenn wir mal wieder die 500er-Marke knacken würden“, sagt Hornburg.

Sie macht aber auch gesellschaftliche Veränderungen für den Rückgang verantwortlich. „FKK ist inzwischen viel verpönter als vor einigen Jahren. Schon bei Kindern wird sich manchmal beschwert, wenn sie nackt durch die Gegend laufen“, kritisiert sie. Auf der anderen Seite würde Kleidung immer knapper und aufreizender ausfallen. Für sie ist das eine Art Schere, die immer weiter auseinandergeht. Sie wünscht sich einen sehr viel lockereren Umgang mit der Natürlichkeit des Menschen. Zumindest auf dem Gelände in Kralenriede, das auf einer Seite von den Schunter umgeben ist, findet sie den noch. Hier kann sie sich zurückziehen, sie selbst sein und die Seele baumeln lassen. Von der Hektik der Großstadt ist hinter dem Eingangstor nichts mehr zu spüren. „Deshalb ist ein Wochenende oder ein Tag hier für viele von uns wie ein Urlaub“, sagt Hornburg. Sie braucht nicht weit zu ihrem Paradies. Und dass dort keine Kleidung getragen wird, steht ja schon in der Bibel.