Das perfekte Wochenende. Wer Alpha sagt, muss auch Bravo sagen: Die Funkamateure in Salzgitter wollen im Juni hoch hinaus.

An einem perfekten Wochenende gibt Christian Zirlewagen dem ehemaligen spanischen König eine 5.9. Weil „alles offen“ ist, wie man das nennt, wenn die Verbindung richtig gut ist. Perfekt wäre es übrigens auch, wenn am 10. Juni „alles offen“ ist. Dann soll sich nämlich ein gewisser Ballon über der Seefest-Szenerie in Salzgitter erheben. Und steigen. Und messen. Und peilen. Und funken. Und knipsen. Und noch mehr Sachen machen. Und dann irgendwann zerplatzen, sagen wir: in 35 000 Metern Höhe. Womöglich über Erfurt. Vielleicht aber auch über Hildesheim. Bestimmt nicht über Madrid – obwohl Juan Carlos sicher nichts dagegen hätte...

Wie? Was? Der Reihe nach: Also was ist jetzt mit dem Bourbonen? „Ja, ich hatte Juan Carlos dran“, sagt Christian Zirlewagen. Er sitzt neben seinen Vereinsfreunden Michael Dröse und Markus Schaefer in einem mit tausendundeinem Apparat und allerhand Zeitschriften und Faltblättern vollgestopften, dabei aber nicht kürmeligen Kellerraum hinter einer Grundschule in Salzgitter-Lebenstedt. Im großen Regal piepst und krächzt ein Funkgerät vor sich hin. Zirlewagen muss lächeln, wenn von seinen royalen Kontakten die Rede ist. „Ich konnte doch dem Juan Carlos keine 5.5 geben, oder?“

Tja. Schwer zu sagen für unsereinen. Man muss sich ja erstmal hineinfuchsen ins Funker-ABC, pardon: Alpha, Bravo, Charlie. Die Funkamateure (bloß nicht: Amateurfunker) haben eine Unzahl eigener Codes und Abkürzungen. QRX heißt: Bitte warten Sie kurz! 73 heißt: Viele Grüße. Ja, Funkamateure pflegen – darum geht es ja gerade – ihre eigene Kommunikation auf eigenen Kanälen und ihre ganz spezielle Weise. Die erwähnte 5.9. ist ein Kürzel, dessen erster Teil (auf der Skala von 1 bis 5) die Verständlichkeit eines Funkspruches anzeigt, während die zweite Zahl die Signalstärke markiert. Und Juan Carlos, der, wie man nun hört, ein begeisterter Funkamateur ist, war eben recht gut zu verstehen, als Zirlewagen mit ihm – auf Englisch, wie üblich – die Qualität ihrer Funkverbindung besprach.

Dieses Thema war sozusagen gesetzt. „The Medium is the Message“, die alte Parole des Kommunikationstheoretikers Marshall McLuhan, gilt hier unbedingt. Die Frage, ob man mit einem Ex-König, wenn man ihn mal in der Leitung hat, nicht auch etwas anderes als technische Daten hätte besprechen sollen, finden Zirlewagen, Dröse und Schaefer sogar zum Schmunzeln. „Nein, es geht eigentlich immer nur um die Verbindung selbst“, sagt Schaefer, „oder auch ums Wetter, was ja auch Einfluss auf die Funkverbindung hat.“ Dröse ergänzt: „Die eherne Regel, an die sich fast alle Funkamateure auf der Welt halten, lautet: keine Politik, keine Religion.“ Und Flirts? Sind auch selten, sagen die drei. Geben aber auch zu, dass die Funkerei nun nicht gerade das typische Hobby junger, unverheirateter Frauen ist. Dennoch: Wenn man sie fragt, ob sie ihre Freizeit und den einen oder anderen Euro womöglich einem angestaubten, eigentlich längst überholten Hobby für nostalgische Technikfreaks widmen, sind die drei Männer alles andere als beleidigt oder verlegen. Sondern geradezu angestachelt, einen vom Gegenteil zu überzeugen.

Klar, der Radiowellen-Pionier Guglielmo Marconi ist nun schon seit 80 Jahren tot. Aber die Szene lebt. Es gibt beachtlichen Zuwachs. Immerhin 76 000 Menschen in Deutschland haben eine Funklizenz (obwohl die Prüfung bei der Bundesnetzagentur aasig schwer ist). Das Internet begreifen sie nicht als Ersatz der Funkerei, sondern als Ergänzung, Erweiterung. Es gibt ja sogar ein eigenes Internet für Funkamateure, Hamnet heißt es. Es gibt Wettbewerbe, Meisterschaften. Und es gibt durchaus die Perspektive, dass die Kommunikation über Funkwellen bei Katastrophen oder auch bei Stromausfall für die Allgemeinheit nützlich ist.

Vor allem macht aber die Sache ihnen natürlich Freude. Freude an der technischen Spielerei, Freude an dem mächtigen Sieben-Meter-Sendemast im Garten (den die „bessere Hälfte“ gerade noch toleriert, wie gewitzelt wird), Freude an überraschenden Verbindungen mit Leuten irgendwo auf der A 39 oder auch im Vatikan, Freude an den vielen Zusatzmöglichkeiten auf einer Funkwelle (Troll-Aktionen sind allerdings verpönt und wohl selten, die Sabotage des nachbarlichen Garagentors wäre aber schon möglich, heißt es), Freude an den kleinen Erfolgen mit dem Lötkolben bei der Reparatur oder Aufmotzung des Funkgeräts und ganz viel Freude am Verständnis und an der Vermittlung physikalischer Zusammenhänge.

Im Keller hinter der Grundschule, genauer: im Quartier des Ortsverbands Salzgitter-Lebenstedt (80 Mitglieder, 20 wirklich aktiv) im Bundesverband für Amateurfunk, teilt sich diese Freude wirklich mit. Zumal Zirlewagen, Dröse und Schaefer, die drei Männer um die fünfzig, die beruflich mit Maschinenbau oder Logistik zu tun haben, ja nicht allein im Raum sind. Damit ist nicht nur DJ5 alias Siggi gemeint, der sich gelegentlich – piep-piep, krchch macht’s dann im Regal – dazuschaltet, um die Koordinaten eines Wetterballons durchzugeben, dem er, per Funk natürlich, bei Magdeburg auf der Spur ist. Nein, in der Ecke tüfteln ja auch noch Paul Grunert (16) und der ein Jahr jüngere Timon Zirlewagen an einem irre kompliziert ausschauenden, über Funk bzw. übers Internet zu steuernden Mini-Fahrzeug herum. Manche würden sich zunächst etwas wundern über ihr Hobby, erzählen die Jungs, aber erstens lege sich das sehr schnell, und zweitens sei es ihnen sowieso egal. Und drittens, das betont natürlich die Väter-Generation, sei dies alles auch in puncto Karriere nicht von Nachteil. „Bei einem Vorstellungsgespräch bist du als Funkamateur gleich in der zweiten Runde“, sagt Dröse, „ist doch logisch.“ Das Mini-Auto-Projekt der Jungs, gefördert von der Stadt Salzgitter, ist sowieso nicht l’art pour l’art. Es soll ebenso wie der hoffentlich spektakuläre, übrigens noch auf weitere Sponsoren angewiesene Aufstieg des Funk-Stratosphärenballons am 10. Juni die Besucher des Seefestes beeindrucken. Die Hoffnung: viel, viel Werbung für einen kleinen, aber sehr sympathischen Verein.

Sympathisch? Ja, und das bezieht sich nicht nur auf die gutartige Tüftelei und die engagierte Jugendarbeit der Funkamateure. Auffällig beim Besuch in Lebenstedt war, wie angenehm das Gespräch war, wie akkurat sich alle ausreden ließen. Wie hatte Christian Zirlewagen gesagt? „Das Schöne am Funken ist, dass immer nur einer reden kann. Auch das kann man fürs Leben lernen.“