Mein perfektes Wochenende:. Von der Faszination des Fossiliensammelns – Holger Lüdtke entdeckt den Europasaurus holgeri.

Wochenende! Eine schöne Gelegenheit für einen Ausflug. Auf eine Insel. Ein kleiner Trip an den Strand, bei 35 Grad ein bisschen unter Palmen dösen, Sonne satt, im azurblauen warmen Wasser planschen …

Eine Insel im norddeutschen Flachmeer – im Harz herrschte vor 150 Millionen Jahren ein karibisches Klima. Foto: Peter Sierigk
Eine Insel im norddeutschen Flachmeer – im Harz herrschte vor 150 Millionen Jahren ein karibisches Klima. Foto: Peter Sierigk

Na, dann auf in den Harz! Ja, richtig, in den Harz oder genauer in den „Jurassic Harz“, wie auch die aktuelle Ausstellung im Naturhistorischen Museum heißt. Also Vorsicht! Es könnte mal ein kleiner Europasaurus durchs Buschwerk lugen, so eine Art Babydino, oder ein Krokodil vertritt sich im Sand die kurzen Beine… Keine Sorge – so ein Wochenendausflug wäre vor 150 Millionen Jahre möglich gewesen. Dort, wo heute schlaksige Fichten die Hänge säumen, herrschte einst Karibik-Klima. Schade eigentlich, dass das vorbei ist.

So bleibt nur die Zeitreise. Nur Mut. Was für Geologen und vor allem Paläontologen selbstverständlich ist, gelingt in einer Ausstellung wie „Jurassic Harz“ auch den Besuchern. Einer, der seit 46 Jahren auf Zeitreise ist, mal jedes Wochenende, mal täglich, mal mit einigen Monaten Pause, ist Holger Lüdtke aus Triangel, Kreis Gifhorn. Ein passionierter und ambitionierter Hobby-Paläontologe.

Holger Lüdtke aus Triangel, Kreis Gifhorn
Holger Lüdtke aus Triangel, Kreis Gifhorn

Er sucht Fossilien, Versteinerungen, stumme Zeugen der Erdgeschichte. Und er findet sie auch. Nicht Dutzende, nicht Hunderte, Tausende von Fundstücken sammelte Lüdtke im Laufe der Zeit. Bis unters Dach stapeln sie sich im schmucken Doppelhaus.

Doch die, auf die Lüdtke besonders stolz ist, finden Platz im Wohnzimmer und in den Glasvitrinen in den Fluren. Dort begrüßen Krokodile, Schildkröten, Fische, Seeigel und Pflanzen die Besucher. Zumindest Knochenreste von ihnen, rund 150 Millionen Jahre alt. Besonders beeindruckend: die Fußabdrücke von Raubdinosauriern, ein Stegosauruszahn und Reste einer Eidechse, „die einzige, die je am Langenberg gefunden wurde“, erzählt er. Und natürlich jener Zahn, mit dem im September 1998 das Entdeckererlebnis begann, der Ursprung für einen Fund war, der selbst unter Wissenschaftlern als sensationell gilt.

Holger Lüdtkes Fossiliensammlung

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Sechs Jahre hatte Lüdtke am Langenberg gesucht, hatte Knochenbrösel gefunden, die er zunächst nicht einordnen konnte. Dann fand er den Zahn, die Krone eines Zahns, gerade mal einen Zentimeter groß. „Ich wusste sofort, das ist der Zahn eines Sauropoden“, erzählt der 57-Jährige. Damals hoffte er zunächst, dass er es damit ins Wissenschaftsressort des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ schafft – doch es kam anders. Besser. Lüdtke fand weitere Knochen, Schwanzwirbel und Beckenfragmente, Rippen.

Anflug auf den Langenberg - die Dino-Fundstelle

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    Der Hobby-Paläontologe informierte die Wissenschaftler, Experten des Landesmuseums Hannover, die ein Team des Dinoparks Münchehagen hinzuzogen – alle waren sie Feuer und Flamme. Schnell zeigte sich, das Tier kann nicht allzu groß gewesen sein, keineswegs so rund 25 Meter wie ein Brachiosaurus. Eher so um die sechs Meter, keine fünf Tonnen schwer. Andere Dinos brachten es auf bis zu 30 Tonnen. Ein Leichtgewicht also. Ein Babydino?

    Zwei Fragen an Fossiliensammler Holger Lüdtke

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      Auf jeden Fall ein Pflanzenfresser, der auf seiner Harzinsel mitten im norddeutschen Flachmeer seine Farne knabberte. Doch auf der Insel war Nahrung knapp. Für Wissenschaftler wie Professor Martin Sander von der Uni Bonn liegt darin die Ursache für die vergleichsweise geringe Größe. Der Europasaurus holgeri passte sich seiner Umgebung an. Ein Evolutionsprozess. Weniger als 6000 Jahre, und aus pflanzenfressenden Riesen wurden Dinozwerge. „Es sind die kleinsten Riesensaurier“, sagt Nils Knötschke, wissenschaftlicher Leiter des Dinoparks. Knötschke organisierte die Bergung, präparierte viele der Fundstücke, knüpfte Kontakte zu weiteren Wissenschaftlern und entdeckte eine neue Krokodilart am Langenberg.

      "Jurassic Harz" im Naturhistorischen Museum Braunschweig

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      Der Fund des kleinen Europasaurus war großartig – für die Wissenschaft und für Holger Lüdtke sowieso. Aus der erhofften „Spiegel“-Meldung wurden große Geschichten, Besuche bei Stern-TV, Spiegel-TV und ein Bericht in der Wissenschaftszeitschrift „Nature“ – „das ist der Adel“, freut sich Lüdtke.

      Er sucht und findet noch immer. Mal in Baugruben wie am Wolfsburger Klieversberg, auf Äckern bei Klein Sisbeck, mal in der Westerbecker Kieskuhle. Seit seinem elften Lebensjahr. Ihn faszinieren die Versteinerungen, fesseln die Geschichten um die Tier- oder Pflanzenreste. Dann sind die Zeugen der Erdgeschichte gar nicht mehr stumm. Sie erzählen spannende Erlebnisse, von Sturmfluten, Überschwemmungen, plötzlichen tragischen Todesfällen.

      Und am Langenberg bei Oker sind sie besonders eindrucksvoll. Über die einzigartige geologische Quadratmeile zwischen Goslar und Bad Harzburg, Clausthal und Altenau schwärmte schon Alexander von Humboldt. An kaum einer anderen Stelle weltweit treten auf so engem Raum Gesteinsschichten aus einem Zeitraum von 500 Millionen Jahren zutage.

      Der Steinbruch Langenberg

      Der Steinbruch am Langenberg zwischen Harlingerode und Oker,
      Der Steinbruch am Langenberg zwischen Harlingerode und Oker, "Geburtsort" des Europasaurus holgeri. Foto: Dinopark Münchehagen © Dinopark Münchehagen
      Ein eindrucksvolles Panorama: der Kalksteinbruch am Langenberg.
      Ein eindrucksvolles Panorama: der Kalksteinbruch am Langenberg.
      Rund 150 Millionen Jahre sind die Kalksteinschichten alt.
      Rund 150 Millionen Jahre sind die Kalksteinschichten alt.
      Fast senkrecht wurden die Kalksteinschichten aufgefaltet.
      Fast senkrecht wurden die Kalksteinschichten aufgefaltet.
      Der Steinbruch Langenberg liegt zwischen Oker und Bad Harzburg - mitten in der geologischen Quadratmeile.
      Der Steinbruch Langenberg liegt zwischen Oker und Bad Harzburg - mitten in der geologischen Quadratmeile.
      Aufgeschlagene Seiten aus dem Buch der Erdgeschichte: Geologen und Paläontologen können nicht aufhören darin zu lesen...
      Aufgeschlagene Seiten aus dem Buch der Erdgeschichte: Geologen und Paläontologen können nicht aufhören darin zu lesen...
      Außerdem dem Europasaurus holgeri fanden die Experten dort Reste von Schildkröten, Krokodilen, Fischen, Seeigeln und Pflanzen.
      Außerdem dem Europasaurus holgeri fanden die Experten dort Reste von Schildkröten, Krokodilen, Fischen, Seeigeln und Pflanzen.
      Der Steinbruch ist noch immer in Betrieb. Ohne Genehmigung darf er nicht betreten werden.
      Der Steinbruch ist noch immer in Betrieb. Ohne Genehmigung darf er nicht betreten werden.
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      Mittendrin der Langenberg, der Lüdtke nicht mehr loslässt. Seine dort gefundenen Pflanzen werden derzeit von einer Paläontologin in Bonn untersucht. Der Gifhorner freut sich über die Unterstützung, vor allem des Steinbruchbesitzers. „Ohne Fabian von Pupka wäre das alles nicht möglich gewesen“, sagt er. Und schickt eine Warnung hinterher. „Ohne Erlaubnis sollte niemand den Steinbruch betreten. Dort wird gesprengt, das ist lebensgefährlich.“ Aus den steil aufgerichteten Schichten fallen immer wieder Gesteinsbrocken. „Ich musste schon mehrmals laufen.“

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      Wer sich für die Faszination der Fossilien interessiert, sollte in einer Kieskuhle beginnen oder rund um den Elm auf Äckern suchen. Dort finden sich Ammoniten aus Muschelkalk.

      Tipps vom Fossiliensammler

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        Es muss ja nicht gleich ein Eurosaurus holgeri sein. Der vor der offiziellen Anerkennung zunächst Hanna hieß. Wie Lüdtkes Tochter, die zur Zeit des Fundes drei Jahre alt war. Jetzt studiert sie, allerdings nicht Geologie und Paläontologie, sondern Lehramt. Aber darauf ist Lüdtke mindestens genauso stolz und hilft beim Umzug. Da müssen die Fossilien warten – aber was sind schon ein oder zwei Wochenenden bei 150 Millionen Jahren!?