Mein perfektes Wochenende. Die VW-Ingenieurin Cornelia Dietz hat ihr Glück als Waldführerin und Wildnis-Pädagogin gefunden.

Der Wald ist noch kahl, es beginnt bereits zu dämmern. „Am besten, wir gehen einfach mal los“, sagt Cornelia Dietz und stiefelt schwungvoll durchs Laub vom Vorjahr. Den modernen Menschen die Wildnis wieder näher zu bringen, ist ihr Ziel. Da haken wir gleich mal ein. Wildnis? Ist der Wald heutzutage nicht eher ein mehr oder minder künstliches Wirtschaftsobjekt?

Die Waldführerin lacht. „Für die Waldbewohner ist er Wildnis. Für eine Amsel ist schon Ihr heimischer Garten Wildnis. Wenn die sich einen Fuß bricht, dann kommt kein Krankenwagen.“

Wildnis, das heißt eben auch: Härte. Das Wort Brutalität ist für sie eine unangemessen moralische Kategorie. „In der Natur gibt es kein Gut und Böse.“ Alles sei ein organisches, vielfältig miteinander verflochtenes, aufeinander abgestimmtes Ganzes. „In der Wildnis erlebt man die natürliche Ordnung der Dinge. Man kann da ehrfürchtig werden.“ Ist sie gläubig? „Gottgläubig nicht. Aber ich glaube an was.“ Doch das ist ihr zu privat.

Wo unsereins im Wald nur lauter Bäume sieht, da sieht Cornelia Dietz lauter Spuren und kleine Dramen. Sie deutet auf einen Haufen grauweißer Federn auf dem Laub. „Hier wurde gestorben“, sagt sie sachlich. Das Opfer? „Eine Ringeltaube“. Der Täter? Die Wildnispädagogin kniet sich hin, nimmt eine Feder und beäugt sie genau. „Das sieht nach Rupfung aus. Also ein Greifvogel. Vermutlich ein Falke. Die sind über 300 Stundenkilometer schnell.“ Ein Greif rupfe dem Opfer die Federn aus dem Körper, so dass die Kiele heil blieben. „Ein Säugetier hingegen beißt die Federn in Büscheln ab.“

Die allein lebende 53-jährige Ingenieurin in der technischen Entwicklung bei VW begreift ihre Zuwendung zur Natur auch als Ausgleich zum Beruf. „Aber naturbegeistert war ich schon immer, Vögel fand ich immer toll. Und wir haben früher viel Urlaub in der Natur gemacht. Aber ich wusste nicht viel. Vor etwa zehn Jahren habe ich beschlossen, das zu ändern.“ Sie absolvierte zwei Jahre lang eine Ausbildung, lernte, wie man Fährten liest, ohne Streichhölzer Feuer macht, Felle gerbt, Körbe flicht, wie man Hütten baut, darin ohne Schlafsack übernachtet, wie man sich Sachen sucht, die man essen kann. Lernte Baum-, Blatt- und Tierarten.

Danach brannte sie darauf, das Gelernte, die Zusammenhänge der Natur, die sie selbst so bereichernd und beglückend fand, weiterzugeben. Zumal sie feststellte, dass sehr viele Menschen sich gern in der Natur aufhalten. Und gewinnbringender sei das eben, wenn man sie auch verstehe.

Sie begann mit ihren Führungen an Wochenenden im Harz und in Riddagshausen. Dabei geht sie gern nach der sogenannten Coyote-Lehre vor. Eine Methode, die zum Selber-Entdecken einlädt. Vor allem durch geschicktes Fragen werden Beobachtungen angeregt, Neugierde und Achtsamkeit erweckt. „Der Coyote gilt als ein ganz Schlauer.“

Cornelia Dietz, eigentlich eine eher fröhlich-kernige Frau, gerät denn doch ins Schwärmen: „Dann macht die Natur etwas mit einem, da kommt was zurück, das mich glücklich macht!“ Deshalb legt sie auch keinen besonderen Wert auf Fernreisen. „Ich finde es spannender, durch den Harz zu laufen, als auf die Malediven zu fliegen.“

Überraschende, aber letztlich auch wieder folgerichtige Facette einer so gern ganzheitlich in der Natur aufgehenden Frau: Nach der Ausbildung zur Waldführerin und Wildnispädagogin machte sie den Jagdschein. Keineswegs aus Begeisterung fürs Jagen, betont sie. „Waffen sind eigentlich gar nicht mein Ding. Als ich zum ersten Mal eine in der Hand hatte, habe ich mich erschrocken.“ Cornelia Dietz geht nicht oft zur Jagd, isst auch nur selten Fleisch. Doch wenn, dann wolle sie gutes Fleisch essen, sagt sie, und es auch selbst machen. Das heißt: schießen, zerlegen, zubereiten, essen.

„Tiere, die kein gutes Leben gehabt haben, würde ich niemals essen. Auf gar keinen Fall Fleisch aus dem Supermarkt.“ Nach dem Schießen verabschiede sie sich mit einer Zeremonie von dem Tier und bedanke sich dafür, „dass es sein Leben gegeben hat, damit ich etwas zu essen habe“.

Wenn man der behutsam formulierenden Frau eine Weile zuhört, begreift man, dass die intensive Einfühlung in die Natur auch zur Folge haben mag, dass man sich selbst stärker als andere Menschen als Teil der Natur empfindet.